Urbane Bühne und social design in Istanbul – Smart’stanbul
Skurrile Simitkringelhüte thronen auf den Köpfen. Gummibereifte Gefährte holpern über den Asphalt. Merkwürdige Messi-Architekturen füllen die Lücken der Stadt. Möwen meckern, Katzen kreischen und an den Hängen kauern komische Konstruktionen. Beim Durchstreifen der Bosporusmetropole stößt man immer wieder auf clever konstruiertes. Die Istanbuler nutzen ihre Stadt ganz selbstverständlich als abwechslungsreiche Aktionsfläche. Die Schönheit der unmittelbaren Umgebung spielt dabei oftmals eine untergeordnete Rolle. Umtost von Autos und Schwerlastfahrzeugen werden Picknickdecken auf trostlosen Verkehrsinseln ausgebreitet. Es zählt jeder Quadratmeter Grün und Glückseligkeit. Besonders die Meerenge, die das Schwarze Meer mit dem Marmara Meer verbindet, ist der gemeinsame Identifikationsraum vieler Istanbuler. An den Ufern findet man eine Vielzahl informeller Teestuben und Restaurants. Hinzu kommen jede Menge anderer spontaner und formloser Freizeitaktivitäten. Die Vielfalt des Flüchtigen, Improvisierten, manchmal auch des Anarchischen prägt die Charakter dieser Stadt. Durch performative Praktiken ist ein intensives Flechtwerk an sozialen und wirtschaftlichen Verbindungen entstanden mit denen diverse Versorgungsnachfragen bedient, Dienstleistungsbedürfnisse befriedigt und neue Existenzen gegründet werden.
Resträume füllen, Schwellenräume in Besitz nehmen.
Kleine mobile Straßenstände, Dessertwagen, Simitkarren, Schutzputzer und Messerschlefer schwärmen täglich in den städtischen Raum, breiten sich aus und ziehen sich am Arbeitsende wieder zurück. Urbane Resträume werden gefüllt und Schwellenräume in Besitz genommen. Mit dem Prinzip der Fina wird in der osmanischen Tradition seit jeher der städtische Raum als Aktionsfläche betrachtet, die dem privaten Raum ganz selbstverständlich zugeordnet werden kann. Eine vielschichtige Struktur räumlicher Sequenzen von Öffentlichkeit und Privatheit, die sich vom Zentrum eines jeden Hauses über viele Schichten bis in die Mahalles (Stadtquartiere) erstreckt, wahrt aber dennoch eine gewisse Distanz.
Die Smart-Liste: wir stellen die 10 intelligentesten informellen Architekturen Istanbuls vor.
History Takes Place: Istanbul
Momentaufnahmen aus verschiedenen Bereichen: das ist ein Schwerpunkt des Buchs "History Takes Place: Istanbul" (bei Jovis auf Englisch erschienen). Beiträge junger Wissenschaftler aus unterschiedlichsten Disziplinen behandeln historische Fakten und Erinnerungen, Erfahrungen von Heimat und Exil und Widerstand im öffentlichen Raum. Teile des "Smart'stanbul"-Texte sind auch im Buch erschienen. Historiker, Kultur- und Sozialwissenschaftler, Architekten und Stadtplaner beleuchten die Bezüge zwischen "historischer Vergangenheit" und "ethnografischer Gegenwart". Eine Publikation, die auch angesichts der aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen in der Türkei und in Istanbul, hochaktuell ist und zeigt: Geschichte entsteht am Bosporus permanent und mit voller Kraft.
Informelle Architektur
Ohne "offizielle" Zustimmung erbaut.
Social Design
Eine Form der Architektur, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und zugleich in den Entstehensprozess des Gebäudes mit einbezogen wird. Auch eine Richtung der Architekturpsychologie.
Smart City
Ein Sammelbegriff für gesamtheitliche Entwicklungskonzepte, die darauf abzielen, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu gestalten. (Wikipedia)
Fina
Prinzip des "etappenweisen Übergangs". In der islamischen Stadt gehört der Straßenraum der gesamten Gemeinde. Dabei nimmt mit der Nähe zum Eigentum das Recht der Inanspruchnahme im Verhältnis zum Recht anderer Anwohner zu.
History Takes Place: Istanbul. Dynamics of Urban Change
Herausgeberinnen Anna Hofmann und Ayşe Öncü. Bei Jovis Verlag. Broschur, 17 x 22 cm, 208 Seiten, ca. 30 farb. Abb. Englisch. ISBN 978-3-86859-368-6