Usedom. Deutschland. [Anzeige] Schneeweißer Stein und zuckriger Stuck aus der Kaiserzeit machten Deutschlands östlichste Insel berühmt. Kaum jemand weiß, dass hier bereits um 1900 Deutschlands erste Systemhäuser aus Holz gefertigt wurden. Ein guter Grund auch in der kalten Jahreszeit vorbeizuschauen. Denn gerade im Winter verzaubern die Seebäder mit leeren Stränden, einer steifen Brise und dem besonderen Charme der Bäderarchitektur.
... man hat Ruhe und frische Luft und diese beiden Dinge erfüllen Nerven, Herz und Lungen mit einer stillen Wonne.
Theodor Fontane, Schriftsteller, 1863 in einem Brief an seine Frau Heringsdorf Das ehemalige Fischerdorf ist mit seinen herrschaftlichen Villen und weitläufigen Parkanlagen das älteste und mondänste Seebad auf Usedom. Sein 508 Meter langes Wahrzeichen ist die längste Seebrücke Deutschlands. Die ehemals hölzerne Kaiser-Wilhelm-Brücke wurde Ende des 19. Jahrhunderts von der Wolgaster Actien-Gesellschaft für Holzbau errichtet. © Hendrik Bohle Heringsdorf Sie brannte in den 1950er-Jahren nieder. Das heutige Bauwerk entstand 1995 und lehnt sich mit seinen Cafés, Geschäften und Ferienwohnungen programmatisch an das Angebot des historischen Gebäudes an. © Hendrik Bohle Ahlbeck Die älteste Brücke der Insel steht einige Kilometer südöstlich. Sie entstand 1882 zunächst als über dem Meer schwebendes Ausflugslokal. 1898 kam ein Seesteg mit Schiffsanleger hinzu. © Hendrik Bohle Ahlbeck Hier ist der Strand am breitesten. Das Seebad Ahlbeck zog von Beginn an neben den Wohlhabenden auch weniger betuchte Gäste an. 1907 hatte „die Badewanne von Berlin“ bereits mehr als 16.000 Besucher. © Jan Dimog Bansin Nordöstlich von Heringsdorf entstand 1897 das jüngste der drei Bäder. Es liegt in einem schmalen Streifen direkt zwischen der Steilküste und der See. Die Häuser wurden „auf Lücke“ gebaut, sodass auch die zweite Reihe direkt auf das Meer blickt. Der Seesteg hier ist schlicht und bescheiden. © Jan Dimog Charlottenburg am Meer Fast meint man Kutschen und Hufschlag zu hören. An der östlichen Usedomer Küste scheint die Zeit stehen geblieben. Auf zwölf Kilometern reihen sich mehr als 200 denkmalgeschützte Bauwerke, dicht gedrängt oder locker platziert. Die drei einstigen Fischerkolonien entwickelten sich zu den wohl berühmtesten Seebädern Deutschlands und waren im 19. Jahrhundert sehr beliebt. Adel, Banker und Großindustrielle verbrachten ihre Sommerfrische selbstverständlich auf Usedom, aber auch Intellektuelle, Maler, Musiker und Schriftsteller zog es das ganze Jahr über auf die Insel. Hier fanden sie die Ruhe, die es in der Metropole nicht gab, inklusive einer magischen Verbindung aus Licht, Luft und Landschaft. Thomas Mann beendete hier im Sommer 1924 seinen großen Roman „Der Zauberberg“. Ahlbeck galt als „die Badewanne von Berlin“. Schließlich war die Hauptstadt damals direkt und schnell mit der Bahn zu erreichen. So ein Anschluss heute? Das wäre doch was.
Bansin Die „Kurmuschel“ mit dem Konzertplatz wurde 1932 mit einem Pfingstkonzert eröffnet und ist heute denkmalgeschützt. Zu beiden Seiten stehen Nachbauten der historischen Badekarren, in denen die Badegäste mit vorgespannten Pferden zur See gebracht wurde. © Hendrik Bohle Bansin Die Villenreihe der Bergstraße ist eine der längsten zusammenhängenden Ensembles der Bäderarchitektur. © Jan Dimog Bansin Entlang der Küste wurden die Häuser in zwei Reihen „auf Lücke“ gebaut. So konnten die Gäste auch in der zweiten Reihe aufs Meer blicken. Treppenanlagen verbinden die Promenade mit der höher gelegenen Bergstraße. © Jan Dimog Heringsdorf Während die Zentren der Seebäder dicht bebaut sind, finden sich an ihren Rändern immer wieder märchenhafte Villen in weitläufigen Parkanlagen. © Hendrik Bohle Heringsdorf Den Platz des Friedens dominiert eine hohe Düne, bewachsen von großgewachsenen Buchen. Entlang der Seestraße stehen mit dem Grand Hotel Seeschloss, dem Pommerschen Hof und dem Esplanade die typischen Heringsdorfer Hotels aus der Gründungszeit. © Hendrik Bohle Heringsdorf Das Seeschloss ist bis heute das vornehmste Haus am Platz. Schon damals hatte es nicht zuletzt wegen seiner exklusiven Ausstattung, seines Personenaufzugs und der Etagenbäder, sowie seines ausgezeichneten Restaurants, einen besonders guten Ruf im ganzen Land. © Jan Dimog Heringsdorf Die Villa Staudt steht sinnbildlich für das Berliner Großbürgertum auf Usedom und könnte so auch in Charlottenburg oder im Berliner Grunewald stehen. Der Kaufmann Wilhelm Staudt erwarb das Anwesen um 1900, ließ es nach seinem Geschmack umbauen und nannte es passend „Miramar“, übersetzt der Meeresblick. © Jan Dimog Heringsdorf Die schöne Puschkinstraße liegt im südlichen Teil des Ostseebades. © Hendrik Bohle Ahlbeck Der Ahlbecker Hof war seit 1890 das erste und mondänste Haus des Ostseebades. Das Ensemble besteht heute aus dem Haupthaus an der
Dünenstraße, zwei Villen ... © Jan Dimog Ahlbeck ... und einer Suiten-Residenz an der Seestraße. Hier stand bis 2007 die historische Villa Seeblick mit ihrer imposanten Zwiebelkuppel, deren Form im Neubau wieder aufgenommen wurde. © Jan Dimog Innovationen aus Holz Ganz auf Holz setzte dagegen die Wolgaster Actien-Gesellschaft im ausklingenden 19. Jahrhundert. Nachdem es mit dem Bootsbau nicht mehr so gut lief und ein Großbrand die Wolgaster Schiffswerft 1884 zerstört hatte, entwickelte das Unternehmen bereits ab 1889 die ersten Fertigbauholzhäuser Deutschlands. Dabei fertigten sie keine einfachen Schachteln, sondern aufwendig und detailliert gestaltete Wohnhäuser und Villen, verschiedenfarbig und geschnitzt, im nordischen oder Schweizer Stil oder in einer wilden märchenhaften Mischung. Drachen kauern auf den Giebeln und Wikingerschiffe segeln auf den hölzernen Gesimsen der Villen Odin, Asgard und Heimdall. Kaum vorstellbar, das die Bauten nicht individuell gefertigt, sondern in Serie vorproduziert waren. Die Wolgaster Fertighäuser wurden schnell über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Sie finden sich nicht nur an der pommerschen Küste, sondern auch in Berlin und Potsdam, in der Lüneburger Heide, in Österreich, ja sogar in Südamerika und Ostafrika. Ihre Blütezeit erlebten die Wolgaster Werkstätten zwischen 1890 und 1910. Ihr Baumaterial kam aus dem firmeneigenen Forst in Nordamerika. Auch aufgrund der ausgezeichneten Qualität dieser Hölzer sind die denkmalgeschützten Häuser der Insel nach aufwendigen Sanierungsmaßnahmen seit den 1990er-Jahren heute meist in einem guten Zustand. Mehr als 100 Jahre später glänzt die Usedomer Bäderarchitektur so prachtvoll und fabelhaft wie zu ihrer Entstehung.
Bansin An der östlichen Strandpromenade reihen sich gleich mehrere vorgefertigte Holzbauten. Von den sonnengeschützten und mit Wikingermotiven verzierten Veranden der Villa Strandklause (um 1900) fällt der Blick aufs Meer und auf den rückseitigen Schloonsee. Die Giebel der benachbarten Villa Vineta (um 1903), einem Holzbau in süddeutschem Landhausstil, zieren Drachen. Der schlichte Seehof mit seinen abgerundeten Fenstern entstand zwischen 1904 und 1906. © Hendrik Bohle Bansin Nur wenige Meter entfernt stehen das im schweizerischen Stil errichtete Café Asgard (1898), ein beliebter Künstlertreff der Zwanziger- und Dreißigerjahre, und die Villa Heimdall (1887), benannt nach dem Schutzgeist der nordischen Götter, mit einem Spitzdach in unverkennbar skandinavischem Stil. © Hendrik Bohle Bansin Die „Ut kiek“ am südöstlichen Ende der Bansiner Strandpromenade erinnert in ihrer äußeren Form stark an eine nordische Stabkirche. Sie wurde 1878 erstmals auf der Pariser Weltausstellung gezeigt. Der norwegenbegeisterte Zimmermannsmeister Gradehand ließ sie im Anschluss auf Usedom für sich und seine Familie aufstellen. © Hendrik Bohle Heringsdorf Der frühere Entwurf eines Schweizerhauses zierte lange Zeit den Firmenkopf der Wolgaster Actien-Gesellschaft. Die Villa Müller (um 1895) an der Maxim-Gorki-Straße 55 kommt diesem „Katalogvorschlag für moderne Holzbauten“ sehr nahe. © Hendrik Bohle Heringsdorf Dieser schlichte Holzbau steht auf dem Grundstück der denkmalgeschützten Strandvillen Heringsdorf, in denen man auch sehr gut übernachten kann. © Hendrik Bohle Heringsdorf Die Villa Auguste Victoria an der südlichen Promenade (1893) entstand wie viele andere Bauten nach Entwürfen des Berliner Architekten Johannes Lange. Die aufwendig gestaltete Pension war ursprünglich mit Schindeln aus amerikanischem Hartholz gedeckt. © Jan Dimog Heringsdorf An der Grenze zu Ahlbeck geht es wieder alpenländisch zu. Ein Leipziger Pelzhändler ließ seine Holzvilla im Schweizerischen Stil errichten. Trotzdem zierten auch hier ursprünglich Drachenköpfe das Haus und den kleinen Pavillon im Garten des Anwesens. © Jan Dimog Mensch, dit Meer liegt vor de Tür (...), wir ham ne eigene Badewanne jenau vor unsre Tür.
Toni Mahoni, Berliner Liedermacher Usedom Die Insel liegt in der Pommerschen Bucht der südlichen Ostsee und gehört zu Deutschland und zu einem kleinen Teil zu Polen. Sie ist durch den Peenestrom und das Stettiner Haff vom Festland, sowie durch die Świna (Swine) von der Nachbarinsel Wolin getrennt. Usedom ist nach Rügen die zweitgrößte deutsche Insel. Der größere deutsche Teil gehört zum Land Mecklenburg-Vorpommern und ist Teil des Landkreises Vorpommern-Greifswald. Im östlichen polnischen Teil liegt die zur Woiwodschaft Westpommern gehörende Hafenstadt Świnoujście (Swinemünde), in der allein schon mehr als die Hälfte der 76.500 Einwohner (Stand: 2014) zählenden Gesamtinselbevölkerung lebt. Die größten Orte auf deutscher Seite sind Heringsdorf im Osten und Zinnowitz im Westen der Insel. Mit durchschnittlich 1906 Sonnenstunden im Jahr ist Usedom regelmäßig die sonnenreichste Gegend Deutschlands und der Ostsee, weshalb sie durch das Tourismusmarketing auch als Sonneninsel beworben wird. Ab etwa 1850 und besonders im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts blühten auf der Insel zahlreiche Seebäder auf, die vor allem Gäste aus den Metropolen wie Berlin und Stettin anzogen. Seitdem ist Usedom stark durch den Tourismus geprägt, seit dem Wendejahr 1990 auch zunehmend durch internationalen. Zeugnisse dieser Zeit sind zahlreiche Villen in Stilen der Bäderarchitektur, traditionell gebaute Reethäuser, Fischerkaten sowie die Seebrücke Ahlbeck. Touristische Zentren der Insel sind im Nordwesten Karlshagen, Trassenheide und Zinnowitz, im Mittelteil der Insel die Bernsteinbäder Koserow, Loddin, Ückeritz und Zempin und im Osten die Kaiserbäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck sowie Świnoujście. Die Europa-Promenade, die längste Strandpromenade Europas, erstreckt sich über eine Länge von über zwölf Kilometern von Bansin bis Świnoujście und soll bis zur Swine verlängert werden. (Quelle: Wikipedia)
Bäderarchitektur Der Begriff bezeichnet die Gesamtheit aller unterschiedlichen Baustile, die charakteristisch für die deutschen Seebäder sind. Diese sind vor allem an der Ostseeküste und insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern zu finden. Die prägende Zeit reichte von 1793 bis 1918. Ihre Hochblüte erlebte sie in der Gründerzeit. Dieser Baustil wurde erstmals im 1793 gegründeten Seebad Heiligendamm an der mecklenburgischen Ostseeküste angewendet, dem ältesten Seebad auf dem europäischen Kontinent, und zwar im dortigen Kurhaus, das damit als Gründungbau dieser Stilrichtung bezeichnet werden kann. Der Stil verbreitete sich schnell entlang der deutschen Ostseeküste, seit 1810 erstmals in Pommern mit der Gründung des Seebades Putbus-Lauterbach auf Rügen. Die Seeheilbäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck auf Usedom gehören zu den bekanntesten. Vereinzelte Bauten befinden sich auch an der Nordseeküste. Begonnen im Stil des Klassizismus, entwickelte sich die Bäderarchitektur über den Historismus bis hin zum Jugendstil. Dabei ist sie keine in sich geschlossene Stilepoche wie beispielsweise die Renaissance oder der Barock. Ihre Besonderheit ist die Zusammenführung verschiedener Baumerkmale in ihren jeweiligen Epochen. Dazu gehören große antikisierende Säulen, reich verzierte Dreiecksgiebel, Kapitelle mit fantasievollem Schmuck, große Loggien, thelink.berlin Baukultur_Deutschland_Usedom auffällige Erker und Schmucktürmchen.
THE LINK-Übernachtungstipp Strandvillen Heringsdorf Badstraße 11, Heringsdorf. Drei denkmalgeschützte Ferienvillen mit 28 Zimmern und Suiten direkt am Ostseestrand. Die Geschichte der Anlage reicht bis Mitte des 19. Jahrhunderts zurück.
Hendrik Bohle (Architekt, Autor und Stadtforscher) Dipl.-Ing. Architekt Hendrik Bohle betreibt mit studio HBohle ein kreatives Architektur- und Designstudio, das Architektur und Kultur im urbanen Raum ergründet und passgenaue Konzepte entwickelt und erstellt. Studium in Hannover, Cottbus, Berlin – aufgewachsen in Bielefeld. Er lässt sich bei Stadterkundungen gerne durch die Straßen treiben. Es sind die überraschenden Momente, die die Schönheit und Seele eines Ortes sichtbar machen. Mehr über die Autoren von The Link .