5 Fragen an ... Robert Conrad –  Gefrierpunkte

Buchwelten:

Die Architekturfotografen Robert Conrad, Thomas Kemnitz und Michael Täger haben Gebäude an verlassenen Orten portraitiert..

Gefrierpunkte

Deutschland | 

»Ein auf besondere Weise illustriertes Geschichtsbuch, das den Betrachter in die vergangenen Zeiten der industriellen Revolution, der Diktaturen im 20. Jahrhundert oder des Kalten Krieges versetzen kann.«

Robert Conrad, Architekt, Fotograf und Bauhistoriker aus Berlin
Das Buzludzha-Denkmal auf dem Gipfel des 1.441 Meter hohen Berges Chadschi Dimitar wurde 1981 nach den Plänen des Architekten Georgi Stoilow errichtet. Das anlässlich des 1.300-jährigen Jubiläums der Staatsgründung Bulgariens errichtete Denkmal umfasst einen Kongressaal, der umlaufend mit realsozialistischen Mosaiken verziert ist, einen mit ebensolchen verzierten Außengang sowie einen 115 Meter hohen Turm, dessen rote Sterne einst beleuchtet und weithin sichtbar waren. Seit dem Ende der sozialistischen Herrschaft in Bulgarien steht das Denkmal leer und ist Verfall und Vandalismus ausgesetzt.

Innenraum bei aufziehender Bewölkung

Das Buzludzha-Denkmal auf dem Gipfel des 1.441 Meter hohen Berges Chadschi Dimitar wurde 1981 nach den Plänen des Architekten Georgi Stoilow errichtet. Das anlässlich des 1.300-jährigen Jubiläums der Staatsgründung Bulgariens errichtete Denkmal umfasst einen Kongressaal, der umlaufend mit realsozialistischen Mosaiken verziert ist, einen mit ebensolchen verzierten Außengang sowie einen 115 Meter hohen Turm, dessen rote Sterne einst beleuchtet und weithin sichtbar waren. Seit dem Ende der sozialistischen Herrschaft in Bulgarien steht das Denkmal leer und ist Verfall und Vandalismus ausgesetzt.

Bild vergrößern (Innenraum bei aufziehender Bewölkung)(Abbildung © Michael Täger)
Das Kraftwerk wurde nach Entwürfen von Kálmán Reichl errichtet und 1914 in Betrieb genommen. Die Jugendstil-Schaltwarte von Virgil Borbíró war seit den 1930er Jahren in Betrieb. Das nach dem Zweiten Weltkrieg für die Fernwärmeerzeugung umgerüstete Kraftwerk versorgte im Jahr 1980 41.000 Budapester Haushalte. Die Stilllegung und der teilweise Rückbau des  historischen Teils erfolgten 2005. Die Schaltwarte diente u.a. im US-Amerikanischen Film "Chernobyl Diaries" (2014) zur Darstellung des Kontrollraums des Kernkraftwerks Tschernobyl.

Schaltwarte mit Splitterschutzzelle

Das Kraftwerk wurde nach Entwürfen von Kálmán Reichl errichtet und 1914 in Betrieb genommen. Die Jugendstil-Schaltwarte von Virgil Borbíró war seit den 1930er Jahren in Betrieb. Das nach dem Zweiten Weltkrieg für die Fernwärmeerzeugung umgerüstete Kraftwerk versorgte im Jahr 1980 41.000 Budapester Haushalte. Die Stilllegung und der teilweise Rückbau des  historischen Teils erfolgten 2005. Die Schaltwarte diente u.a. im US-Amerikanischen Film "Chernobyl Diaries" (2014) zur Darstellung des Kontrollraums des Kernkraftwerks Tschernobyl.

Bild vergrößern (Schaltwarte mit Splitterschutzzelle)(Abbildung © Michael Täger)
Der Teufelsberg ist ein aus 26 Mio. Kubikmetern Trümmern bestehender Berg auf den Resten des Rohbaus des NS-Bauprojektes "Wehrtechnische Fakultät". Ab den 1950er Jahren war der US-Geheimdienst NSA (neben anderen amerikanischen und britischen Diensten) Hauptnutzer des Areals. Mit den unter fünf "Radomes" verborgenen Antennenanlagen wurde tief in die Staaten des Warschauer Paktes hinein spioniert. Obwohl die Briten und Amerikaner bereits 1991 den Berg verließen, scheiterten bisher alle Pläne zur Umnutzung. Verschiedene Initiativen versuchten seitdem, Konzepte für eine Unterschutzstellung und Nutzung umzusetzen.

Kuppel mit Antennenfundament im mittleren und höchsten "Radome"

Der Teufelsberg ist ein aus 26 Mio. Kubikmetern Trümmern bestehender Berg auf den Resten des Rohbaus des NS-Bauprojektes "Wehrtechnische Fakultät". Ab den 1950er Jahren war der US-Geheimdienst NSA (neben anderen amerikanischen und britischen Diensten) Hauptnutzer des Areals. Mit den unter fünf "Radomes" verborgenen Antennenanlagen wurde tief in die Staaten des Warschauer Paktes hinein spioniert. Obwohl die Briten und Amerikaner bereits 1991 den Berg verließen, scheiterten bisher alle Pläne zur Umnutzung. Verschiedene Initiativen versuchten seitdem, Konzepte für eine Unterschutzstellung und Nutzung umzusetzen.

Bild vergrößern (Kuppel mit Antennenfundament im mittleren und höchsten "Radome")(Abbildung © Thomas Kemnitz)
Das Speisehaus ist eines der wenigen verbliebenen Gebäude des 1956–1958 errichteten Produktionskomplexes zur Herstellung von Triebwerken für das erste deutsche Passagier-Düsenflugzeug "152". Nach dem Aus für die DDR-Luftfahrtindustrie, 1961, produzierte man als VEB Strömungsmaschinen Pirna Strömungs- und Kraftanlagen bis Anfang der 1990er Jahre. Der im Stile der Nachkriegsmoderne errichtete Stahlbeton-Skelettbau stand seitdem leer. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude wird seit 2012 durch die Loft-Projekt Pirna GmbH für Wohnzwecke umgebaut und vermarktet.

Treppenhaus mit Wandbild "Entwicklung des Flugwesens"

Das Speisehaus ist eines der wenigen verbliebenen Gebäude des 1956–1958 errichteten Produktionskomplexes zur Herstellung von Triebwerken für das erste deutsche Passagier-Düsenflugzeug "152". Nach dem Aus für die DDR-Luftfahrtindustrie, 1961, produzierte man als VEB Strömungsmaschinen Pirna Strömungs- und Kraftanlagen bis Anfang der 1990er Jahre. Der im Stile der Nachkriegsmoderne errichtete Stahlbeton-Skelettbau stand seitdem leer. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude wird seit 2012 durch die Loft-Projekt Pirna GmbH für Wohnzwecke umgebaut und vermarktet.

Bild vergrößern (Treppenhaus mit Wandbild "Entwicklung des Flugwesens")(Abbildung © Thomas Kemnitz)
Turmrestaurant der Autobahnraststätte Berlin Dreilinden

Dreilinden Raststätte in Berlin

Turmrestaurant der Autobahnraststätte Berlin Dreilinden

Bild vergrößern (Dreilinden Raststätte in Berlin)(Abbildung © Robert Conrad)
Bettenhäuser des "Kraft-durch-Freude"-Seebades Prora auf Rügen

Ferienheim in Prora

Bettenhäuser des "Kraft-durch-Freude"-Seebades Prora auf Rügen

Bild vergrößern (Ferienheim in Prora)(Abbildung © Robert Conrad)
Ehemaliger Helikopterlandeplatz des DDR-Regierungskrankenhauses in Buch bei Berlin

Regierungskrankenhaus

Ehemaliger Helikopterlandeplatz des DDR-Regierungskrankenhauses in Buch bei Berlin

Bild vergrößern (Regierungskrankenhaus)(Abbildung © Robert Conrad)
In London, Großbritannien

Battersea Power Station

In London, Großbritannien

Bild vergrößern (Battersea Power Station)(Abbildung © Robert Conrad)
Der faschistischen Partei in Chiavari, Italien

Kinderferienheim

Der faschistischen Partei in Chiavari, Italien

Bild vergrößern (Kinderferienheim)(Abbildung © Robert Conrad)
Fahrzeugrampen des Automobilwerkes Lingotto, Turin, Italien

Autofabrik Lingotto

Fahrzeugrampen des Automobilwerkes Lingotto, Turin, Italien

Bild vergrößern (Autofabrik Lingotto)(Abbildung © Robert Conrad)

1. Wie inszenieren Sie Ihre Bilder und was kann und sollte (Architektur)Fotografie beim Betrachter bewirken? Was ist Ihre Arbeitsphilosophie?

Meine Arbeit besteht darin, vor allem im Bereich der Architektur "eingefrorene Momente" zu erzeugen, welche es uns Zeitgenossen und künftigen Generationen ermöglicht, den derzeitigen Zustand von Bauwerken später noch zumindest im zweidimensionalen Bild erleben zu können - auch wenn diese Bauten dann längst verändert wurden oder verschwunden sind. Meine Verantwortung als Fotograf besteht darin, hierbei eine größtmögliche Aussagekraft bei meinen "Gebäudeportraits" zu erzeugen, um Architektur repräsentativ in ihrer städtebaulichen Einbindung, ihren Baustilen und -techniken, in Kubatur, Materialität aber auch den Spuren ihrer Nutzungen zu zeigen.
Auch sich noch so objektiv gebende Dokumentarfotografie ist dabei subjektiv. Schon durch Wahl der Objekte, der Perspektive, des Bildausschnitts und der Brennweite sind meine Bilder inszeniert. Allerdings eher im Sinne des In-Szene-Setzens des tatsächlich Vorgefundenen. Mein Ziel ist es dabei, dem Ort bzw. dem Bauwerk und der hier herrschenden Stimmung gerecht zu werden, gleichgültig ob in Auftragswerken zum Beispiel für Denkmalämter oder in meinen freien Arbeiten.

2. Wie kam es zu der Arbeit an "Stillgelegt" und was sind die Merkmale der verlassenen Orte in Deutschland und Europa?

Inzwischen sind es schon 20 Jahre, in denen ich zusammen mit einigen Kollegen für die Online-Plattform VIMUDEAP (Virtual Museum of Dead Places / vimudeap.info) fotografiere. In diesem virtuellen Museum zeigen wir unsere Bilder von Orten und Bauten aus dem späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, welche ihre ursprüngliche Funktion und Bedeutung verloren haben. Es geht um Architektur-, Technik- und Sozialgeschichte – und um die rätselhafte Ästhetik des Verfalls.
Als wir im vorigen Jahr die Anfrage des DuMont Verlages erhielten, 100 dieser "toten Orte" in ganz Europa in einem Bildband zu präsentieren, nahmen meine beiden Kollegen Thomas Kemnitz und Michael Täger und ich die Arbeit auf und wählten entsprechende Arbeiten aus unseren Portfolios. Ein wichtiges Kriterium für unsere Auswahl verlassener Orte in Deutschland und Europa für das Buch "Stillgelegt" waren neben dem Vorhandensein architektonischer Qualitäten die Sichtbarkeit historischer Spuren, in welchen sich exemplarisch auch politische und wirtschaftliche Verhältnisse der Entstehungs- und Nutzungszeit widerspiegeln.

3. Was ist die Stärke des Buchs und seine Aussage?

Der Fotoband "Stillgelegt" entstand in enger Zusammenarbeit von uns drei Fotografen mit der Redaktion im Verlag und den Designern der Berliner Agentur "Polygraph Design". Ziel war es von Anfang an, kein Coffee Table Book mit vordergründig romantischen Ruinenmotiven zu produzieren, sondern eher ein auf besondere Weise illustriertes Geschichtsbuch, das den Betrachter in die vergangenen Zeiten der industriellen Revolution, der Diktaturen im 20. Jahrhundert oder des Kalten Krieges versetzen kann. Die verlassenen und verfallenden Bauanlagen in verschiedensten Regionen Europas werden dabei in fünf Kapitel entsprechend ihrer ursprünglichen Nutzungen eingeordnet und durch akribisch recherchierte Kurztexte beschrieben. So kann der Betrachter auch Parallelen zwischen artverwandten Bauten ausmachen und historische Entwicklungen innerhalb verschiedener Bauaufgaben erkennen. Trotz dieses eher rationalen Ansatzes strahlen die Fotografien natürlich nebenher immer auch eine gewisse Romantik und Melancholie aus.

4. Ein besonderer Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die Dokumentation von Bauten der Klassischen und der Nachkriegsmoderne. Was macht für Sie den speziellen Reiz dieser Epochen aus?

Mich als auf Baugeschichte spezialisierten Architekten und Architekturfotografen interessiert das 20. Jahrhundert schon deswegen, weil es meine Kindheit und Jugend geprägt hat. Ich bin aber besonders fasziniert von den frühen Jahrzehnten der Neuen Sachlichkeit und des International Style, als vor allem die damals neuen Techniken des Stahlbeton- und Stahlskelettbaus neue, mutige Bauformen hervorbrachten und moderne Planungsgrundsätze für eine humanistische, demokratische Architektur entwickelt wurden. Auch der spätere, politisch vergiftete Funktionalismus etwa im Industriebau des Nationalsozialismus oder im faschistischen Italien kann oft hohe technische und ästhetische Qualitäten aufweisen und ist architekturgeschichtlich durchaus interessant. Die in Folge des weltweiten wirtschaftliche Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg unsere Städte besonders prägenden Bauten der Nachkriegsmoderne sind heute paradoxerweise besonders vom Abriss bedroht, da sie uns historisch noch so nah sind, während der sie prägende Zeitgeist verflogen ist. Erst seit wenigen Jahren hat hier eine langsame Sensibilisierung der Denkmalpflege begonnen, noch gibt es für uns Architekturfotografen viel zu tun, Bauwerke dieser Epoche vor ihrem Verlust noch einmal im Bild festzuhalten.

5. Wo ist Ihr Lieblingsort in Berlin und außerhalb der Stadt und warum?

Ich lebe seit 1986 in der Stadt und habe hier inzwischen sehr viele Lieblingsorte. Dazu gehören der Wasserturmhügel und der Mauerpark bei mir im Prenzlauer Berg, der Jüdische Friedhof in Weißensee, das ehemalige Künstlerhaus Tacheles in Mitte ebenso wie die vom Wald überwucherte in Folge des Mauerbaus stillgelegte Autobahn bei Dreilinden, die auch in unserem Buch zu sehen ist. Das sind beispielhaft einige von vielen Orten und Plätzen in Berlin, die sowohl eine hohe Aufenthaltsqualität besitzen, als auch sehr deutlich von der geschichtlichen Entwicklung der Stadt erzählen.
Außerhalb der Stadt besuche ich immer wieder gern Hannes Meyers beeindruckende, inzwischen sanierte Bauhaus-Architektur der ehemaligen Gewerkschaftsschule bei Bernau, oder ich spaziere über das ebenfalls baugeschichtlich sehr aussagekräftige, inzwischen langsam wiederbelebte Ruinengelände des Olympischen Dorfes von 1936 bei Elstal. Auch diesen "toten Ort" findet man in unserem Bildband.

Architekturfotograf und Bauhistoriker (1962–2023)

Robert Conrad

Architekturfotograf und Bauhistoriker (1962–2023)

Bild vergrößern (Robert Conrad)
Erschienen 2016 bei DuMont

Stillgelegt – 100 Verlassene Orte in Deutschland und Europa

Erschienen 2016 bei DuMont

Bild vergrößern (Stillgelegt – 100 Verlassene Orte in Deutschland und Europa)

Stillgelegt – 100 Verlassene Orte in Deutschland und Europa

DuMont Bildband. Mit Bildern von Thomas Kemnitz, Robert Conrad, Michael Täger. Texte von Stefan Bitterle, Frank Druffner, Thomas Kemnitz, Robert Conrad und Michael Täger. 1. Auflage 2016. 224 Seiten, Softcover, Format 22 x 27 cm, ISBN: 978-3-7701-8888-8

Robert Conrad

1962–2023, geboren in Quedlinburg, Dipl.-Ing. Architekt. Studium von Kunstgeschichte und Architektur seit 1998 Arbeit als Architekturfotograf für den Berliner Senat, Landesdenkmalämter, Architekturbüros, Museen und Verlage, daneben Ausstellungen zu freien Projekten. Besonderer Schwerpunkt war die Dokumentation von Bauten der Klassischen und der Nachkriegsmoderne.

Thomas Kemnitz

Geboren 1966 in Schönebeck. 1990–1994 Fotografie- und Computeranimations-Studium, Abschluss als DiplomMediendesigner. Seit 1998 Mitarbeiter im Studio für digitale Medien im Fachbereich Gestaltung und Kultur der HTW Berlin. Seit 1996 Betreuung des Forschungsprojektes "VIMUDEAP.info – Virtuelles Museum der Toten Orte".

Michael Täger

Geboren 1990 in Wolfsburg. Abitur und Studium der Fahrzeugtechnik in Wolfsburg. Seit 2013 freiberuflicher Fotojournalist im Bereich Reportage und Sportfotografie. Schwerpunkt ist die Dokumentation der Veränderungen in den neuen Bundesländern und Osteuropa seit der Wende und seit dem Abzug der Sowjetarmee.