5 Fragen an ... Johanna Diehl – „Ein Konzept, eine Geisteshaltung, ein Begehren“
Buchwelten / Interview:1. Was ist das große Thema Deiner Arbeiten?
In meiner künstlerischen Praxis tauchen immer drei Punkte auf. Einmal geht es um einen Impuls, welcher fast wie wissenschaftliches Arbeiten an einem Durchdringen von komplexen Themen, Aufarbeitung von Geschichte und gesellschaftlichen Zusammenhängen orientiert ist. Zum zweiten geht es um einen eher technischen Aspekt, um das fotografische Bild, welches ganz fein komponiert wird, um gewisse Inhalte in ihrer Inszeniertheit zu zeigen. Es kommt etwas drittes hinzu, welches sich einem einfachen Benennen, durch Sprache beispielsweise, entzieht, aber in Arbeiten zum Ausdruck kommt, nämlich eine ganz eigene Notwendigkeit und Begehren, etwas zu sagen über die Anwesenheit von Abwesendem.
2. Du sagst, dass mit Deiner Kunst die Architektur des Abwesenden sichtbar gemacht wird. Wie ist das anhand eines Beispiels gemeint?
Zum Beispiel in der Serie Displace, die sich sehr zurücknimmt und durch dieses Zurücknehmen und Zeigen der Inszeniertheit der Räume komplexe Zusammenhänge, kulturelle Konflikte offenlegt, Fragen nach dem, was das Europäische ist, stellt. Ich nehme mich als Fotografin zurück und zeige dadurch überhaupt erst die Inszenierung oder das Poetische oder das Spektakuläre.
3. Derzeit findet Deine Ausstellung „The Ukraine Series“ in der Münchner Pinakothek der Moderne in München statt. Zugleich erschien dazu das gleichnamige Buch im Sieveking Verlag. Welche Bedeutung hat diese Arbeit für Dich? Was hat Dich dazu bewogen?
Ich war bereits 2003 mit dem Künstler Boris Mikhailov und einer Gruppe Künstler in der Ukraine, seitdem fasziniert mich dieses Land. Mein leiblicher Großvater ist in der Ukraine 1944 gefallen. Die Ukraine ist eng verknüpft mit unserer Geschichte, mit der Frage nach europäischer Identität und Gedächtnis. Die Konzentration auf die Synagogenräume hat zu tun mit einem unbewältigten europäischen Trauma, das sich in ihnen offenbart, mit der Lücke, dem Widerspruch der Gegenwart, der Suche nach Identität.
4. Wie schwierig bzw. einfach ist es, Architektur und Baukunst zu fotografieren? Wann bist Du mit einer Arbeit zufrieden?
Eigentlich finde ich es nicht interessant, das dreidimensionale Werk eines Künstlers in die Fotografie zu überführen, da kann man nur verlieren. Mir geht es darum, Bilder zu machen, von etwas, das ich sagen möchte, etwas das dahinter liegt, ein Konzept, eine Geisteshaltung, ein Begehren. Ein Bild ist etwas grundsätzlich anderes, soll nicht eine Abbildung sein. Für mich ist es ein gutes Bild, wenn es darüber hinaus geht, was ich gesucht habe, auch für mich zum Bild wird, etwas betrifft, was vielleicht auch nicht direkt zu versprachlichen ist.
5. Wo ist Dein Lieblingsort in Berlin und warum?
Die kleine Pizzeria Charlotte gegenüber von meinem Studio in Kreuzberg ist mir wichtig. Alle Leute, die in diesem Viertel arbeiten oder lernen kommen hier jeden Mittag zusammen, vom Arbeitssuchenden, Supermarktangestellten über den linken Zeitungsredakteur, zum Galeristen.
Irgendwas passt nicht. Mal sind es Räume ohne jede Freifläche, als ob jeder Zentimeter mit Gegenständen zugestellt werden sollte. Dann sind da die schiefen Einbauten. Raum und Inneneinrichtung scheinen nicht kompatibel zu sein. Vielleicht sind es die Farben oder die teilweise grobe Anmutung mit überraschenden Elementen: Luftballons an Vorhängen, Hanteln in einem kahlen Raum, eine Trockenhaube in einem barbiemäßigen Sammelsurium. "Geschichte ist gnadenlos, ihre Spuren beschönigen nicht ...", so der Kunstwissenschaftler und Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung Bernhard Maaz in seinem Text "Phantomschmerz" im "Ukraine Series"-Bildband. Für diese Serie hat sich Johanna Diehl auf den Weg zu den Geschichten von Synagogen gemacht, die nicht als solche sein durften. Synagogen in der heutigen Ukraine wurden während der deutschen Besatzung entweder zerstört oder in der Sowjetzeit radikal zweckentfremdet. Aus den Gebetsräumen wurden Kinos, Sporthallen, Friseursalons. Mit einer Großformatkamera dokumentierte Diehl die Umnutzung chirurgisch genau und in einer zunächst sachlichen Anmutung. Die Räume breiten sich vor dem Betrachter aus und offenbaren dabei Schritt für Schritt ihre Geschichten. Aus der Nüchternheit schälen sich Details heraus: die zugemauerte Thora-Nische, abblätternde Deckenmalereien, hebräische Schriftzeichen. Die Teilstücke fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen, das in der Tat von einer Geschichte erzählt, die gnadenlos ist. An manchen Stellen scheinen die Synagogen zu erwachen. Zwar geschwächt, verfärbt, gefügig gemacht. Aber mit dem Drang sich zu zeigen.
Johanna Diehl
Jahrgang 1977, geboren in Hamburg, hat ihr Atelier in Berlin, wo sie auch lebt. Die Künstlerin hat Fotografie in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst und an der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris studiert. Ihre mehrfach ausgezeichneten Arbeiten wurden national und international ausgestellt.
Ukraine Series
Im Sieveking Verlag
Buchdaten
Mit Texten des ukrainischen Schriftstellers Juri Andruchowytsch und des Kunstwissenschaftlers Bernhard Maaz, Deutsch/Englisch, 23,6 x 27 cm, 160 Seiten, 72 Abb., Hardcover