DEMO:POLIS – das Recht auf Öffentlichen Raum – Tschapulieren
Buchwelten:"Everyday I’m çapuling" stand auf dem Plakat. Nur wenige Stunden zuvor hatte Recep Tayyip Erdogan, damals noch Ministerpräsident, die Gezi-Park-Demonstranten als "Çapulcu" bezeichnet: Plünderer, Marodeure. Kaum hatte der Ministerpräsident das ausgesprochen, münzten die Protestler das als Schimpfwort gedachte Erdogan-Donnern einfach in die Bedeutung "für die eigenen Rechte kämpfen" um. Schnell wurde es als "tschapulieren" eingedeutscht. Der Frühling und Sommer 2013 war in vielfacher Hinsicht kreativ, unerschrocken, offensiv. Begonnen hatte es mit Plänen für den Bau eines Einkaufszentrums auf dem Gelände des Gezi-Parks. Am 27. Mai 2013 stellte sich ein Mann einem Bagger entgegen, einen Tag danach protestierten zahlreiche Menschen gegen das Bauvorhaben, kurz darauf gab es landesweite Demonstrationen. Der Gezi-Taksimplatz-Sommer war Ausdruck einer Stadtgesellschaft, die genug vom neo-osmanisierenden Real Estate-Diktat des Global Player-Istanbuls hatte. Stattdessen forderte z. B. die unabhängige Non-Profit-Organisation Herkes İçin Mimarlık eine "Architektur für alle", indem sie demokratische und interdisziplinäre Design-Prozesse zwischen Architekten, Stadtplanern und Bürgern anstößt. Als Teil der Gezi-Protestbewegung hielten sie die temporären Besetzungsarchitekturen (#OccupyGeziArchitecture) in Fotos und detaillierten Zeichnungen fest, die auf mehreren Seiten Eingang in den Architekturführer Istanbul von mir und Hendrik Bohle fanden und der im Mai 2014 erschienen ist.
"Der Öffentliche Raum ist zum politischen Spannungsfeld geworden, seine Nutzung und Gestaltung zur Verhandlungssache der Zukunft."
"Die Ära der alten Gewissheiten, der Selbstzufriedenheit ist vorbei. Der Öffentliche Raum ist zum politischen Spannungsfeld geworden, seine Nutzung und Gestaltung zur Verhandlungssache der Zukunft", heißt es im Katalog zur Ausstellung DEMO:POLIS in der Akademie der Künste am Hanseatenweg in Berlin-Tiergarten. Was im Rückblick wie ein Kommentar auf die Unruhen in der Türkei und Istanbul klingt, ist von den MacherInnen der Ausstellung als eine Art Anleitung und Anregung zur "Vielschichtigkeit der Bedeutung von Öffentlichem Raum" gedacht. Dieser Relevanz tragen sie Rechnung, indem sie öffentlich mit großem Ö schreiben. Wie heikel und politisch aufgeladen dieses Recht ist, zeigt sich natürlich nicht nur an den Ereignissen eines eigentlich kleinen Parks am Bosporus. Allerdings standen sie symbolisch für die grundsätzliche Unzufriedenheit Vieler mit der Politik und der Art und Weise der Handlungen ihrer Regierung. Dazu gehörte auch die Bereitschaft für das Recht auf den öffentlichen Raum auf die Straße zu gehen.
Wenn unser Recht auf den öffentlichen Raum von Real Estate-Empires mit Glossy-Gebäuden weggeschaufelt wird, ist es eben Zeit zurückzuwühlen.
Bevor der Besucher in der Ausstellung mit dieser gesellschaftspolitischen Brisanz konfrontiert wird, empfängt ihn das Thema "Berlin" in all seinen Facetten. Als Stadt im Wandel, als Stadt der vertikalen Träume, als Stadt mit Geschichte – anhand der Ackerstraße um 1900, 1950, 2000 und 2050 anschaulich und nachvollziehbar mit Fotografien und Bewegbildmaterial illustriert. Passend also das Thema dieses ersten Raums: "Transformation". Die nächsten Etappen der Schau: "Paradigmen" unter anderem mit den Themen "Kämpfe um Rechte, Kunstaktionen, Neoliberalisierung vs. Demokratisierung". Den Abschluss bilden "Visionen", wo es um internationale Workshops mit Studien, Experimenten usw. geht.
Während die Ausstellung zwar umfangreich und umfassend um das Kernthema kreist, führt eben diese detailliert-weitschweifige Materialtiefe zum Gewirr der Gedanken und Möglichkeiten. Hier hilft die ordnende Übersichtlichkeit des Katalogs mit seinen fast 300 Seiten und knapp 500 Abbildungen. Was sich mit den Berlin-Themen zum Start der Ausstellung andeutete, kristallisiert sich im weiteren Gang durch die Räume deutlich heraus. Berlin als Synonym für Stadtentwicklung, für die Transformation einer Stadtgesellschaft, für stadtplanerische Visionen und für echte und gelebte Partizipation an der Gestaltung der eigenen Stadt. Insofern kann man die Ausstellung als Zusammenfassung des Status quo verstehen, aber auch als Impulsgeber. Eine Schau, die auch auf andere Orte blickt und den Umgang der dortigen Einwohner mit ihrem Recht auf den öffentlichen Raum. Wie hochpolitisch das ist, zeigen sie bei den "Paradigmen" mit der Revolution in Tunesien, der Occupy-Bewegung in New York City und den Taksim-Platz-Protesten 2013. Wahrscheinlich werden wir erst zu Plünderern gemacht. In dieser Zusammenfassung zeigt sich der Wille des Stadtmenschen zur Unwilligkeit, zur Ablehnung der neoliberal-uniformen Hausse der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Wenn unser Recht auf den öffentlichen Raum von Real Estate-Empires mit Glossy-Gebäuden weggeschaufelt wird, ist es eben Zeit zurückzuwühlen, umzudeuten, Beteiligung einzufordern. Zu tschapulieren. Jeden. Tag.
DEMO:POLIS – das Recht auf Öffentlichen Raum
Erschienen bei Park Books. Herausgegeben von Barbara Hoidn. 1. Auflage, 2016, gebunden 288 Seiten, 407 farbige und 85 sw Abbildungen. 21.5 x 27.5 cm. ISBN 978-3-03860-004-6. In Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste, Berlin, und der University of Texas at Austin, School of Architecture
Ausstellung
DEMO:POLIS veranschaulicht mit Plänen und Modellen, Fotografien und Filmen, wie Architekten, Stadtplaner, Künstler, Studierende und Bürger den Öffentlichen Raum gestalten und nutzen. Die Beispiele reichen vom Brooklyn Bridge Park in New York über den Campo de Cebada in Madrid bis zum Tempelhofer Feld in Berlin. Zu sehen sind Werke von u. a. Barkow & Leibinger, Foster + Partners, Hans Haacke, Seán Harrington und A2 Architects, Reinhild Hoffmann, Kleihues + Kleihues, Lacaton & Vassal, Andrés Mignucci, Elfi Mikesch, Rozana Montiel, Michael Najjar, Michael Ruetz, Stih & Schnock, Sadar + Vuga, Michael van Valkenburgh, Wermke/Leinkauf, Zuloark. Noch bis 29. Mai in der Akademie der Künste, Berlin.
Park Books http://park-books.com/
Akademie der Künste http://adk.de/