Gestaltung und Geschichte der maltesischen Balkone – Der Logenplatz
„Offener freitragender Austritt an Gebäudeobergeschossen, meist auf Deckenvorkragungen, mit Brüstungsabschluss nach außen.“ So erklärt das Wörterbuch der Architektur von Reclam den Balkon. Maltas Definition sieht ein wenig anders aus. Sie nennen ihre Balkone „Gallariji“ (Plural. Singular: „Gallarija“), was auf das Italienische zurückgeht. Von Austritt kann nicht die Rede sein, dazu ist der Raum zu schmal. Im Gegensatz zu einem Erker gleicht eine Gallarija einem Durchgang mit Platz für vielleicht zwei Stühle. Ihrer Popularität tut das keinen Abbruch. Die Gallariji gibt es in allen Farben, Variationen und Größen. Was auch ein Problem darstellt. Denn besonders in der raschen Urbanisierungszeit von 1960 bis weit in die 1990er-Jahre verfielen zahlreiche Gallariji. Oder die Bewohner erschufen fragwürdige Balkon-Interpretationen, die mancherorts wenig mit der stimmigen, eleganten Schönheit der Vorgängerbauten zu tun hatten. Da kann man Aluminium, Metall und Kunststoff noch so verzieren oder kaschieren – sie sind schlicht Gallariji-fremd.
Inzwischen haben die Behörden Regeln für die Gestaltung und Instandhaltung der Gallariji erstellt. Zudem gibt es Zuschüsse für die Restaurierung der Holzbalkone. So erstrahlen besonders in der UNESCO-Welterbestätte Valletta zahlreiche Gallariji in neuem, traditionellem Glanz. Für Boutiquehotels wie das Palazzo Prince d’Orange in der St. Paul’s Street sind sie ein besonderer Blickfang. Apropos Blicke: der ausgewiesene Malta- und Geschichtsfachmann Nick Ripard von Foundinmalta Guided Tours, den wir für eine Stadterkundung treffen, führt die Entstehung der Gallariji auf den türkisch-osmanischen Einfluss zurück. Geschützt hinter Vorhängen und vor Blicken fremder Männer dienten die Gallariji als Aussichtsplattform und Rückzugsort für die Frauen. Die Gallariji-Bauweise erlaubte es diesen trotzdem etwas vom Stadt- und Straßenleben mitzubekommen. Den Ursprung dieses Balkontypus verorten Historiker in Nordafrika, vor allem in Marokko. Dort sind sie als Mashrabiya bekannt, in Malta als "Muxrabija". Türkische Handwerksmeister verfeinerten und interpretierten die Muxrabija auf maltesische Art. Spätestens mit der Gallarija des Großmeisterpalastes begann die große Architekturkarriere des Holzbalkons. Nick Ripard begründet das mit den zwei langgestreckten Gallariji auf drei Seiten des flächenmäßig größten Gebäudes der Hauptstadt, die längere misst über 70 m. Diesen Gallariji wollten fortan alle Malteser nacheifern. Es dem Nachbarn gleichtun ist übrigens auch "sehr maltesisch", so Nick Ripard. Wenn am Ende alle einen Logenplatz haben, klingt das nach einer positiven Eigenschaft.
Unsere redaktionell unabhängige Architekturrecherche wurde von Visit Malta, Air Malta und dem Palazzo Prince D’Orange unterstützt.
Unsere (architektonische) Bilderserie über Malta und die Gallariji finden Sie: hier.
Valletta
Maltesisch auch: il-Belt Valletta, Valetta oder il-Belt ist die Hauptstadt der Republik Malta. Sie ist nach Fläche mit 0,840981 Quadratkilometer und Einwohnerzahl mit 5.700 Menschen (Dezember 2013) die kleinste Hauptstadt eines EU-Staates. Aufgrund ihres kulturellen Reichtums wurde Valletta 1980 als Gesamtmonument in die Liste des UNESCO-Welterbes eingetragen. Sie ist die älteste, auf dem Reißbrett geplante Stadt Europas und wurde nach dem Großmeister Jean Parisot de Valette benannt, der im März 1566 den Grundstein legte. Zuvor hatten die Johanniterritter und maltesische Soldaten die Osmanen in einem mehrmonatigen Krieg besiegt. Dies leitete die 233 Jahre währende Herrschaft der Ritter auf Malta ein. Valletta ist die am massivsten befestigte Stadt Europas und wurde von dem italienischen Architekten Francesco Laparelli nach modernsten Erkenntnissen der damaligen Militärarchitektur geplant. Kennzeichen waren schachbrettartige, geradlinige Straßenzüge mit Abwasserkanälen und strukturierter Grundversorgung. Vallettas "Grand Harbour" ist ein Naturhafen, der bereits in römischer Zeit und von den Johanniter als Handelsdrehkreuz genutzt wurde. Valletta wird 2018 Europäische Kulturhauptstadt sein.
Balkon (ital.-frz.)
Offener freitragender Austritt an Gebäudeobergeschossen, meist auf Deckenvorkragungen, mit Brüstungsabschluss nach außen.
Erker
An der Gebäudefront vorspringender und befensteter, aber geschlossener Ausbau eines Raumes, meist ohne sichtbare Stütze, ein- oder mehrgeschossig
Auslucht (niederdt. Utlucht)
Meist mehrgeschossiger Erker an Gebäuden, der nicht vorkragt, sondern über massivem Sockel errichtet ist. Quelle dieser 3 Angaben: "Wörterbuch der Architektur", Reclam
Gallarija (ital.). Plural: Gallariji
Schmaler, geschlossener, oft farbiger Holzbalkon maltesischer Prägung mit Fenstern. Geht auf türkisch-osmanische Handwerksmeister zurück. Die längste Gallarija hat der Großmeisterpalast in der Hauptstadt Valletta