
Die wechselvolle Geschichte der Stadtlandschaft
Spröde, brüchig und ausgewaschen schmiegen sich die Fassaden in den engen Gassen der maltesischen Hauptstadt aneinander. Langsam erstrahlt Vallettas schöner Kalkstein wieder in sandiger Pracht und taucht die ehemalige Johanniterfestung auf dem Monte Sciberras in ein warmes Licht. Seit Generationen wird hier fast ausschließlich das lokale Baumaterial verwendet. So verbinden sich Architektur und Landschaft, steinerne Kuben, barocke Kuppeln, Hügel und Meeresarme in sanfter Harmonie miteinander. Renzo Piano reparierte und ergänzte diese beeindruckende Stadtlandschaft gefühlvoll mit einem neuen Parlamentsgebäude. Er schuf zugleich ein zeitgenössisches Stadttor für das wiedererwachende Valletta, das 2018 europäische Kulturhauptstadt sein wird.
Seit den 1960er Jahren nennen die Malteser den Hauptzugang zu ihrer Kapitale einfach nur Bieb il-Belt oder City Gate. Vallettas wichtigstes Stadttor hat sich in den vergangenen Jahren häufig gewandelt. Das erste Tor entstand unter der Regentschaft des Großmeisters Jean Parisot de La Valette und wurde durch eine einfache Holzbrücke mit dem Umland verbunden. Die Porta San Giorgo wurde zwischen 1566 und 1559 errichtet. 1632 ersetzte ein neues Tor nach Plänen des maltesischen Architekten Tommaso Dingli das alte. Ein großer Steinbogen wurde beidseitig durch kleinere Bögen flankiert. Die Brücke blieb hölzern. 1853, während der britischen Ära, entstand ein drittes Tor. Die "Porta Reale" erstrahlte im viktorianischen Stil. Der Italiener Alziro Bergonzo vollendete 1965 das vierte Tor in schlichter Manier der italienischen Moderne. Als vorerst letzter Bau entstand 2014 schließlich Renzo Pianos sachliche Variante. Ganz in der Nähe erinnert die Installation "Perspettiva" des maltesischen Jung-Architekten Chris Briffa an die wechselvolle Historie.
"People always had something to say about City Gate. It’s not about trying to bring it back, or rouse criticism, but rather to create a commemoration."
Chris Briffa


Kraftvolle Leere
Renzo Piano erspürt und ergründet die Atmosphären seiner Bauplätze, lässt sich von ihnen inspirieren, bevor er sie zu gestalten beginnt. Anstatt ein neues Stadttor zu errichten, setzte er einen klaren Schnitt durch die massiven Festungsmauern und ließ alles entfernen, was in den vergangenen 100 Jahren hinzugefügt worden war. Piano entschied sich, einen Leerraum zu schaffen, den die Erinnerung füllen soll und den Blick frei gibt in den weiten Himmel. Eine verbreiterte Fußgängerbrücke in den Dimensionen Dinglis von 1633 führt nun ins neue Valletta, eine offene, durchlässige Stadt. Schützende Tore werden nicht mehr gebraucht. Rechts und links des Einschnitts führen weit ausladende Treppenanlagen auf die Bastionen. Auf dem ehemaligen Freedom Square, der zuvor nicht mehr als ein staubiger Parkplatz war, ist ein luftiger Stadtraum und pulsierender Treffpunkt entstanden.
"Architects have to dream, we have to search for our Atlantises, to be explorers, adventurers, and yet to build responsibly and well."
Renzo Piano






Festungsartig, spielerisch, transparent
Konrad Buhagiar ist einer der renommiertesten Architekten des Inselstaates und mit seinem Team Architecture Project für eine ganze Reihe behutsamer Umbauprojekte des Landes verantwortlich. Als Renzo Pianos Kontaktarchitekt sorgte er vor Ort für die Umsetzung des neuen Parlamentsgebäudes. Das alte hatte sich noch bis 2015 im alten Großmeisterpalast am St George's Square befunden. Bei unserem Besuch in seinem Studio erklärt er, dass das neue Parlament an einer Stelle steht, an der bereits vor mehr als 450 Jahren der damalige Stadtbaumeister Francesco Laparelli da Cortona, ein Schüler Michelangelos, eine Versammlungsstätte geplant hatte.
Pianos Bau ist schlank aufgeständert. Arkadengänge öffnen sich entlang der Republic Street zu einem großen Stadtplatz. Das Erdgeschoss ist durchgängig verglast und steht den Bürgern offen. Hier ist ein Museum untergebracht, dass über die Geschichte des noch jungen Landes informiert. Zwei Baukörper wurden über trapezförmigen Grundrissen errichtet. Im Westblock befinden sich die Sitzungsräume und Büros, im Ostblock der Plenarsaal für die 65 maltesischen Volksvertreter. Der keilförmige Zwischenraum bildet einen grünen Innenhof. Hier befindet sich auch der Haupteingang zu den Gebäudeteilen, die über weitere Brücken in den oberen Geschossen verbunden sind. Der Neubau gibt den Blick frei und bleibt zugleich in respektvoller Distanz zur bedeutenden Bastion St James Cavalier. Die festungsartige Fassade des Parlaments besteht aus vorgehängten Kalksteinplatten, die auf der benachbarten Insel Gozo gebrochen und in Italien zugeschnitten wurden. Öffnungen wie Schießscharten und herausstehende Fassadenelemente zeichnen je nach Sonnenstand ein spielerisches Schattenbild auf Wände und den Boden und bilden zugleich einen effektiven Sonnenschutz.
"Light has not just intensity, but also a vibration, which is capable of roughening a smooth material, of giving a three-dimensional quality to a flat surface."
Renzo Piano













In den letzten Jahren sind einige vielversprechende Bauwerke auf der Insel entstanden. Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres 2018 sind vor allem in der Haupstadt weitere Projekte geplant. Vallettas Baukunst beeindruckt dabei besonders durch ein behutsames Zusammenspiel historischer Bausubstanz und zeitgenössischer Architektur. Aber auch außerhalb der Welterbestätte wird ordentlich gebaggert. Wir werden weiter berichten.
Unsere architektonische Recherechreise wurde von Visit Malta und Air Malta unterstützt.
Unsere (architektonische) Bilderserie über Malta finden Sie: hier.