"Städte für Menschen" von Jan Gehl – Der Menschenfreund
Buchwelten:Wie das geht, untersucht Jan Gehl seit 50 Jahren. Gerade wurde er im dänischen Pavillion der 15. Architekturbiennale in Venedig geehrt. Passt gut! Zumal der künstlerische Leiter der einflussreichen Architekturschau, der chilenische Architekt Alejandro Aravena, die diesjährigen Teilnehmerländer dazu aufgerufen hatte, von den ökonomischen und sozialen Herausforderungen ihrer Städte zu berichten. "Reporting from the fronts", so der kämpferische Titel.
Sein erstes Buch veröffentlichte Gehl bereits 1971: "Leben zwischen Häusern". 2010 folgte dann "Städte für Menschen" (Byer for Mennesker) als eine Art Stadtplanungs-Standardwerk. Mittlerweile wurde es in 19 Sprachen übersetzt und hat jede Menge Preise abgeräumt. Auf deutsch erschien es bereits in der zweiten Auflage beim Berliner Verlag Jovis.
Gehl seziert selbst Megacities kleinmaßstäblich und detalliert, um die jeweils passenden Behandlungen zu finden. Dabei spielen Raum und Gestaltung eine ebenso gewichtige Rolle, wie demoskopische Verwerfungen, sich wandelnde Lebensstile und kulturelle Besonderheiten. Um eine menschengerechte Stadt gestalten zu können, muss der Planer seinen bequemen Platz im Auto und am Computer verlassen, so Gehl. Er muss die Perspektive und das Tempo eines Radfahrers oder Fußgängers einnehmen. Stadt muss in erster Linie sicher sein und Raum bieten für Begegnungen und Bewegungen nach menschlichem Maß. Er zeigt, dass sich Stadt schon mit wenigen Mitteln menschenfreundlicher gestalten lässt. Was bisher häufig abstrakt blieb, beschreibt und erklärt Gehl in einfacher Sprache, unmissverständlich und ohne zu akademisieren. Er versucht Antworten zu geben, auf die komplexe Grammatik der Stadt. "Städte lassen sich – wie Bücher – lesen, und Jan Gehl versteht eindeutig ihre Sprache", schreibt der britische Architekt Richard Rogers anerkennend im Vorwort des Buches.
Der Band ist in sieben Kapitel unterteilt. Anhand von bebilderten Beispielen, Grafiken und Fakten werden Kernthesen veranschaulicht und Lösungsvorschläge gegeben. Die klingen häufig etwas simpel. Sind sie auch. Menschen zieht es eben dort hin, wo etwas passiert. Repetitiv verweist Gehl auf den menschlichen Maßstab und wird gerade dadurch sehr deutlich. Nüchtern beschreibt er die positiven und negativen Auswirkungen von Architektur und Stadtplanung. Das ist auch die große Stärke des Buches. Manchmal bedarf es eben klarer Aussagen und nur kleiner Interventionen, um die Stadt lebenswerter zu machen.
Die Architektur und Stadtplanung scheint sich längst von der monofunktionalen, autogerechten Stadt verabschiedet zu haben. Bottom-Up, Soziale Stadt, Arrival City und Smart City sind Schlagworte der heutigen Debatten. Es wird allgemein akzeptiert, dass der Mensch bei der Planung und Sanierung gesunder und nachhaltiger Städte im Mittelpunkt stehen muss. Aber trotz aller Erkenntnisse wuchern und schrumpfen vielerorts Metropolen weiterhin in eine menschenfeindliche Zukunft. So wirkt das Buch etwas gestrig und dennoch revolutionär, aber sicher wie eine Anleitung zum Glücklichwerden.
The Human Scale – Trailer zum Film von Andreas Dalsgaard
Zu unserem Interview mit David Sim, Partner & Creative Director bei Gehl Architects: hier
Städte für Menschen
Von Jan Gehl (Erstausgabe: Byer for Mennesker, 2010)
Buchdaten
2. Auflage, 2015. Jovis Verlag GmbH. Übersetzung von Annette Wiethüchter. Hardcover, 17 x 24 cm, 310 Seiten, farbige Abbildungen, deutsch. ISBN 978-3-86859-356-3.
Jan Gehl
Wurde 1936 geboren. Er ist Architekt und Stadtplaner aus Dänemark und emerierter "Professor of Urban Design" der "School of Architecture" und "Royal Danish Academy of Fine Arts" in Kopenhagen. Darüber hinaus unterrichtete er an Universitäten in Edinburgh, Vilnius, Oslo, Wrocław, Dresden, Toronto, Calgary, Melbourne, Perth, Berkeley, San José, Guadalajara, Yogyakarta und Kapstadt. In seinem Wirken befasst er sich mit der Aufwertung des Stadtlebens durch die Rückbesinnung auf den menschlichen Maßstab. Dazu verfasste er mehrere Publikationen, darunter "Leben zwischen Häusern" (seit 1971 in 24 Sprachen) und "Städte für Menschen" (seit 2010 in 20 Sprachen). Er ist Mitgründer von Gehl Architects in Kopenhagen.
Gehl Architects
Ist ein globales Stadtforschungs- und Gestaltungsbüro mit Sitz in Kopenhagen, Dänemark. Ihr Fokus liegt auf einem menschengerechten Design. Mit Studios in Kopenhagen, New York und San Francisco besteht Gehl Architects aus einem interdisziplinärem Team von 50 MitarbeiterInnen, darunter Architekten, Stadtplaner, Landschaftsarchitekten, Grafikdesigner, Soziologen, Anthropologen und Kulturwissenschaftler. Hinzu kommt ein enges internationales Netzwerk an namhaften Stadtexperten. Gehl Architects wurde 2000 von der Architektin Helle Søholt und Professor Jan Gehl gegründet. Die Arbeit des Büros gründet sich auf Jan Gehls 50-jährige intensive Recherchearbeit zum Leben im öffentlichen Raum. Gehl Architects haben bisher in über 50 Ländern und 250 Städten weltweit in den Bereichen Architektur, Stadtgestaltung und Stadtplanung gewirkt, Studien zum öffentlichen Raum erstellt und Masterpläne entwickelt.