"Das Kino International in Berlin" von Dietrich Worbs – Diva International
Buchwelten:In diesem Kino habe ich das Aufblühen von Maxim Oliveros begleitet, den heranrollenden Planeten Melancholia gefürchtet und in The Human Scale einiges über maßvolle Architektur gelernt. Transgender-Filme in Manila, dänische Düsternis oder Dokumentarstücke über humanistische Urbanisten: als Programmkino mit der Attitüde eines Premierenhauses hat es das Kino International (KI) immer wieder geschafft mich nachhaltig sowohl mit den Filmen als auch mit diesem Vorzeigebau der DDR zu verbinden. Was auch daran liegt, dass mir Design und Architektur, Säle und Atmosphäre der Lichtspielhäuser fast genauso wichtig sind wie die in ihnen vorgeführten Dramen, Tragödien und Abenteuer. Das KI ist mindestens so eigenwillig und exzentrisch wie die Filmfiguren und Drehbücher, so filmreif klingt auch seine Geschichte. Zu dieser Story liefert der Architekt und Bauhistoriker Dietrich Worbs in seinem Buch "Das Kino International in Berlin" Hintergründe, Analysen und eine Einordnung, die dem Prestigebau gerecht wird. In sieben Kapiteln begibt er sich zunächst zur Filmgeschichte der DDR, zur städtebaulichen Planung der Stalinallee bis er den Bau und die Gestaltung des Kino International thematisiert. Er rundet das Ganze mit Ausflügen zum Fassadenrelief, filmischen Darbietungen und der Zeit nach 1990 ab, als sich das Kino einen Namen machte als Haus mit engagiertem Programm und vielfältigen Veranstaltungen.
1963 wurde das heute denkmalgeschützte Gebäude als multifunktionaler Veranstaltungsort nach den Entwürfen von Josef Kaiser, der vorher bereits das Kino Kosmos und das Café Moskau entworfen hatte, in zwei Baujahren fertiggestellt. In Zusammenarbeit mit dem Architekten Heinz Aust planten sie das Kino als dreigeschossigen, mit hellem Sandstein verkleideten, Stahlbetonskelettbau. Auffälligstes Merkmal ist die über das Erdgeschoss überkragende Panoramabar mit der großen Glasfläche, so dass sich dadurch auch die unterschiedlichen Grundrissmaßen der Geschosse mit 38 m x 35 m (EG) und 47 m x 35 m im Obergeschoss erklären. Der Kinosaal kragt stützenfrei neun Meter über das Erdgeschoss. Zur "Inszenierung des Raumes" schreibt Dietrich Worbs: "Die Vorentscheidung, den Kinosaal ins Obergeschoß zu legen und im Inneren Treppenwege vom Erdgeschoß ins Obergeschoß zu führen, ist vom Architekten bewusst getroffen worden, um die Wegeführung differenziert im Raum gestalten zu können."
Worbs fasst den Entwurf positiv zusammen. "Das Gebäude mit Kino, Bibliothek und Klub ist ein in sich schlüssiger Entwurf des Architekten Josef Kaiser, der die funktionellen Nutzungsanforderungen, deren räumliche Gestaltung und konstruktive Umsetzung in seiner "Raumplan"-Lösung überzeugend miteinander zum Ausgleich bringt." Besonders hebt er die Front des Gebäudes hervor, bei der die "Kinobesucher ein Teil der baulichen Inszenierung sind und selbst mitspielen. Vor allem hinter der großen Glaswand treten sie als Akteure auf, wie Schauspieler auf einer Kino-Leinwand im Breitwandformat."
Dass Worbs auch die Schwächen des Entwurfs (tote Räume, hoher konstruktiver Aufwand für das Tragwerk, enorme Verkehrsflächen) beleuchtet, spricht für die breite Genauigkeit des Buchs. Das Ergebnis seiner siebenjährigen Arbeit an der Publikation ist ein umfassendes Porträt eines Baus aus einem anderen, vergangenen Gesellschaftssystem, das uns Worbs auf eine wissenschaftlich-akkurate Weise näherbringt. Dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist, zeigt sich an dieser KI-Studie. Es sind auch und vor allem die gesellschaftlichen Umstände, die architektonische Nische, die Josef Kaiser gefunden hatte und auszufüllen wusste, der geglückte Übergang in die Nachwendezeit und der jetzige, für Berlins Kinolandschaft wichtige Status des KI.
Unzählige DEFA-Premieren, Bälle und Bankette wurden hier gefeiert. Eine besonders bemerkenswerte Premiere gab es am 9. November 1989. Das Thema Homosexualität war bis dahin im DDR-Film noch nicht dargestellt worden. Und doch wurde an diesem geschichtsträchtigen Donnerstag der DEFA-Film "Coming out" von Heiner Carow gezeigt – am Tag der Maueröffnung. Die kommende Zeit tat dem International gut. Es wurden weiterhin Premieren gefeiert, legendäre Partys und vor allem wurden Filmkunst, Indie-Produktionen, Art House, Dramen, Tragödien und Abenteuer gezeigt. Draußen und im Einklang mit der großen Glasfassade hängen handgemalte Kinoplakate. Der KI-Betreiber Yorck-Kino GmbH meint zu den Plakaten: "Zeitlos und einzigartig – wie die Kinodiva selbst." Stimmt.
Das Kino International in Berlin
Von Dietrich Worbs. Erschienen 2015 bei Gebr. Mann Verlag / Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft. 160 Seiten, 61 Abbildungen, 17 x 24 cm, Broschur. ISBN 978-3-7861-2711-6
Dietrich Worbs
Geboren 1939. Architekt und Bauhistoriker. Privatdozent an der Universität Stuttgart. 1985–2004 Referent am Landesdenkmalamt Berlin. Arbeiten zur modernen Architektur und Stadtplanung. Mehrere Publikationen zu Architekten, Architekturgeschichte , Denkmälern und Urbanistik.
Kino International / Yorck-Kino GmbH
Eröffnung 1963. Gebaut nach den Plänen von Josef Kaiser. Ausführung durch den Architekten Heinz Aust. Das Kino International (KI) war bis 1989 Premierenkino mit zahlreichen Uraufführungen der Deutschen Film AG (DEFA), ein Filmunternehmen der DDR in Potsdam-Babelsberg. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude wird dem Stil der Moderne zugerechnet. 1992 übernimmt die Yorck Kinogruppe das Haus. Yorck-Kino GmbH: größter Kinoverband Berlins mit 12 Filmtheatern und einem Freiluftkino. 1978 übernehmen die Cineasten Christian Meincke, Knut Steenwerth, Manfred Salzgeber und Georg Kloster das heruntergekommene Yorck Kino am Mehringdamm und legen damit den Grundstein für den Kinoverbund Yorck-Kino GmbH. Gezeigt werden Filmreihen wie z. B. MonGay, Kino für Schulen und Berlinale-Stücke. Mehrere Auszeichnungen für anspruchsvolle Programmgestaltung für die Passage, das Filmtheater am Friedrichshain, Delphi Filmpalast, Cinema Paris, das Kant Kino und das International. 2013 feierte man 50 Jahre KI und 15 Jahre MonGay mit einem mehrtägigen Jubiläumsfilmprogramm und ausgesuchten Filmpremieren.