5 Fragen an ... Robert Conrad – Gefrierpunkte
Buchwelten:1. Wie inszenieren Sie Ihre Bilder und was kann und sollte (Architektur)Fotografie beim Betrachter bewirken? Was ist Ihre Arbeitsphilosophie?
Meine Arbeit besteht darin, vor allem im Bereich der Architektur "eingefrorene Momente" zu erzeugen, welche es uns Zeitgenossen und künftigen Generationen ermöglicht, den derzeitigen Zustand von Bauwerken später noch zumindest im zweidimensionalen Bild erleben zu können - auch wenn diese Bauten dann längst verändert wurden oder verschwunden sind. Meine Verantwortung als Fotograf besteht darin, hierbei eine größtmögliche Aussagekraft bei meinen "Gebäudeportraits" zu erzeugen, um Architektur repräsentativ in ihrer städtebaulichen Einbindung, ihren Baustilen und -techniken, in Kubatur, Materialität aber auch den Spuren ihrer Nutzungen zu zeigen.
Auch sich noch so objektiv gebende Dokumentarfotografie ist dabei subjektiv. Schon durch Wahl der Objekte, der Perspektive, des Bildausschnitts und der Brennweite sind meine Bilder inszeniert. Allerdings eher im Sinne des In-Szene-Setzens des tatsächlich Vorgefundenen. Mein Ziel ist es dabei, dem Ort bzw. dem Bauwerk und der hier herrschenden Stimmung gerecht zu werden, gleichgültig ob in Auftragswerken zum Beispiel für Denkmalämter oder in meinen freien Arbeiten.
2. Wie kam es zu der Arbeit an "Stillgelegt" und was sind die Merkmale der verlassenen Orte in Deutschland und Europa?
Inzwischen sind es schon 20 Jahre, in denen ich zusammen mit einigen Kollegen für die Online-Plattform VIMUDEAP (Virtual Museum of Dead Places / vimudeap.info) fotografiere. In diesem virtuellen Museum zeigen wir unsere Bilder von Orten und Bauten aus dem späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, welche ihre ursprüngliche Funktion und Bedeutung verloren haben. Es geht um Architektur-, Technik- und Sozialgeschichte – und um die rätselhafte Ästhetik des Verfalls.
Als wir im vorigen Jahr die Anfrage des DuMont Verlages erhielten, 100 dieser "toten Orte" in ganz Europa in einem Bildband zu präsentieren, nahmen meine beiden Kollegen Thomas Kemnitz und Michael Täger und ich die Arbeit auf und wählten entsprechende Arbeiten aus unseren Portfolios. Ein wichtiges Kriterium für unsere Auswahl verlassener Orte in Deutschland und Europa für das Buch "Stillgelegt" waren neben dem Vorhandensein architektonischer Qualitäten die Sichtbarkeit historischer Spuren, in welchen sich exemplarisch auch politische und wirtschaftliche Verhältnisse der Entstehungs- und Nutzungszeit widerspiegeln.
3. Was ist die Stärke des Buchs und seine Aussage?
Der Fotoband "Stillgelegt" entstand in enger Zusammenarbeit von uns drei Fotografen mit der Redaktion im Verlag und den Designern der Berliner Agentur "Polygraph Design". Ziel war es von Anfang an, kein Coffee Table Book mit vordergründig romantischen Ruinenmotiven zu produzieren, sondern eher ein auf besondere Weise illustriertes Geschichtsbuch, das den Betrachter in die vergangenen Zeiten der industriellen Revolution, der Diktaturen im 20. Jahrhundert oder des Kalten Krieges versetzen kann. Die verlassenen und verfallenden Bauanlagen in verschiedensten Regionen Europas werden dabei in fünf Kapitel entsprechend ihrer ursprünglichen Nutzungen eingeordnet und durch akribisch recherchierte Kurztexte beschrieben. So kann der Betrachter auch Parallelen zwischen artverwandten Bauten ausmachen und historische Entwicklungen innerhalb verschiedener Bauaufgaben erkennen. Trotz dieses eher rationalen Ansatzes strahlen die Fotografien natürlich nebenher immer auch eine gewisse Romantik und Melancholie aus.
4. Ein besonderer Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die Dokumentation von Bauten der Klassischen und der Nachkriegsmoderne. Was macht für Sie den speziellen Reiz dieser Epochen aus?
Mich als auf Baugeschichte spezialisierten Architekten und Architekturfotografen interessiert das 20. Jahrhundert schon deswegen, weil es meine Kindheit und Jugend geprägt hat. Ich bin aber besonders fasziniert von den frühen Jahrzehnten der Neuen Sachlichkeit und des International Style, als vor allem die damals neuen Techniken des Stahlbeton- und Stahlskelettbaus neue, mutige Bauformen hervorbrachten und moderne Planungsgrundsätze für eine humanistische, demokratische Architektur entwickelt wurden. Auch der spätere, politisch vergiftete Funktionalismus etwa im Industriebau des Nationalsozialismus oder im faschistischen Italien kann oft hohe technische und ästhetische Qualitäten aufweisen und ist architekturgeschichtlich durchaus interessant. Die in Folge des weltweiten wirtschaftliche Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg unsere Städte besonders prägenden Bauten der Nachkriegsmoderne sind heute paradoxerweise besonders vom Abriss bedroht, da sie uns historisch noch so nah sind, während der sie prägende Zeitgeist verflogen ist. Erst seit wenigen Jahren hat hier eine langsame Sensibilisierung der Denkmalpflege begonnen, noch gibt es für uns Architekturfotografen viel zu tun, Bauwerke dieser Epoche vor ihrem Verlust noch einmal im Bild festzuhalten.
5. Wo ist Ihr Lieblingsort in Berlin und außerhalb der Stadt und warum?
Ich lebe seit 1986 in der Stadt und habe hier inzwischen sehr viele Lieblingsorte. Dazu gehören der Wasserturmhügel und der Mauerpark bei mir im Prenzlauer Berg, der Jüdische Friedhof in Weißensee, das ehemalige Künstlerhaus Tacheles in Mitte ebenso wie die vom Wald überwucherte in Folge des Mauerbaus stillgelegte Autobahn bei Dreilinden, die auch in unserem Buch zu sehen ist. Das sind beispielhaft einige von vielen Orten und Plätzen in Berlin, die sowohl eine hohe Aufenthaltsqualität besitzen, als auch sehr deutlich von der geschichtlichen Entwicklung der Stadt erzählen.
Außerhalb der Stadt besuche ich immer wieder gern Hannes Meyers beeindruckende, inzwischen sanierte Bauhaus-Architektur der ehemaligen Gewerkschaftsschule bei Bernau, oder ich spaziere über das ebenfalls baugeschichtlich sehr aussagekräftige, inzwischen langsam wiederbelebte Ruinengelände des Olympischen Dorfes von 1936 bei Elstal. Auch diesen "toten Ort" findet man in unserem Bildband.
Stillgelegt – 100 Verlassene Orte in Deutschland und Europa
DuMont Bildband. Mit Bildern von Thomas Kemnitz, Robert Conrad, Michael Täger. Texte von Stefan Bitterle, Frank Druffner, Thomas Kemnitz, Robert Conrad und Michael Täger. 1. Auflage 2016. 224 Seiten, Softcover, Format 22 x 27 cm, ISBN: 978-3-7701-8888-8
Robert Conrad
1962–2023, geboren in Quedlinburg, Dipl.-Ing. Architekt. Studium von Kunstgeschichte und Architektur seit 1998 Arbeit als Architekturfotograf für den Berliner Senat, Landesdenkmalämter, Architekturbüros, Museen und Verlage, daneben Ausstellungen zu freien Projekten. Besonderer Schwerpunkt war die Dokumentation von Bauten der Klassischen und der Nachkriegsmoderne.
Thomas Kemnitz
Geboren 1966 in Schönebeck. 1990–1994 Fotografie- und Computeranimations-Studium, Abschluss als DiplomMediendesigner. Seit 1998 Mitarbeiter im Studio für digitale Medien im Fachbereich Gestaltung und Kultur der HTW Berlin. Seit 1996 Betreuung des Forschungsprojektes "VIMUDEAP.info – Virtuelles Museum der Toten Orte".
Michael Täger
Geboren 1990 in Wolfsburg. Abitur und Studium der Fahrzeugtechnik in Wolfsburg. Seit 2013 freiberuflicher Fotojournalist im Bereich Reportage und Sportfotografie. Schwerpunkt ist die Dokumentation der Veränderungen in den neuen Bundesländern und Osteuropa seit der Wende und seit dem Abzug der Sowjetarmee.