Die Pisé-Festung – Könige der Karawanenstraße
Hollywood an der Marrakesch-Timbuktu-Karawanenstraßen: die Festung Aït Ben Haddou war schon Jerusalem, Persepolis und Nepal und diente Lawrence von Arabien, Alexander und Indiana Jones als Kulisse. Zuletzt auch der Serie Game of Thrones. Aus der Innenstadt von Marrakesch kommend, machen wir uns auf zu dieser Weltburg in Richtung Atlasgebirge und malische Oasenstadt. Für Aït Ben Haddou haben wir keine Übernachtung eingeplant, so dass wir früh morgens starten, um abends entspannt wieder in Marrakesch zurück zu sein. Mit dem Auto dauert die Fahrt mit Pausen auf der gut ausgebauten N9 um die 4 Stunden. Ziemlich schnell wandelt sich die Ebene der "Roten Stadt" in ein Terrain mit Tälern, hohen Pässen, dramatischen Aus- und Einblicken in das Land der Glaoua. Der Berberstamm beherrschte bis in die 1950er-Jahre weite Teile des Südens und Südostens des Landes. Ihren Einfluss sicherten sie sich durch den Bau von zahlreichen Lehmburgen (kasbahs). In Marrakesch und Fès hatte der Glaoua-Clan seine Stellung mit prächtigen Stadtpalästen zementiert. Der Stammsitz war jedoch weit außerhalb der Städte im Dorf Telouet in der Nähe des Tizi n'Tichka-Passes auf fast 2300 Meter Höhe.
Von der N9 führt die P1506 nach Telouet. Die Seitenstraße beschreibt einen Bogen und führt bis Aït Ben Haddou. Wir bleiben jedoch auf der Hauptstrecke, vorbei an Dörfern, die wie an den Felsen festgehängt scheinen, durch Orte, deren Zentren Märkte mit sechs Gebäuden bestückt sind, an Bauern, die das Erntegut mit Eseln und Maultieren transportieren. Die erdfarbenen Häuser und Kasbahs hoch oben auf den Gipfeln und Bergrücken sind wie Signalbauten für unser Ziel. Wir biegen auf einen unscheinbaren Nebenweg ein. Die P1509 stößt hier auf die Hauptstraße. Die Spitzen des Hohen Atlas sind in die Ferne gerückt, stattdessen sehen wir einen weiten Himmel, eine landschaftliche Unendlichkeit, Halbsteppe und Geröll. Der zwar befestigte, sehr schmale Weg macht eine Linkskurve. Dann sind wir da: Aït Ben Haddou. Lehmfestung, Weltkulturerbe, Schnittstelle der Salz-Karawanenstraße zwischen Marrakesch und Timbuktu. Von einer Anhöhe aus wirkt der Ort wie die perfekte Filmkulisse. Als wäre das Fort für die Antike, das Mittelalter und jede Fantasiewelt gemacht. Das Kulissenhafte wandelt sich bei Erkundung der Anlage in eine handfeste, mittelalterliche Burg-Erfahrung mit gut erhaltenen Bereichen, aber auch verfallenen Häusern. Reparaturen und Wiederaufbau schadhafter Gebäude werden nach traditioneller Lehmbauweise durchgeführt. In den Stampflehm wird klein gehäckseltes Maisstroh gemischt. Der Name Pisé lautet sich von "pisar" ab: stampfen. In der Hitze trocknet die Substanz zu starker Härte. Je nach Region und Gebäudeart werden ca. 10–40 cm hohe Schichten erdfeuchten Lehms zwischen eine druckfeste Schalung geschüttet und verdichtet. Nach Fertigstellung kann sofort ausgeschalt werden, da es keine Abbindezeit wie beim Beton gibt. Ein Lehmbau hinterlässt keine Rückstände, reguliert durch Offenporigkeit das Raumklima und gibt keine gesundheitsschädlichen synthetischen Stoffe. Gleichzeitig ist es weniger beständig gegen Durchfeuchtung, sowie Druck-, Zug- und Biegespannungen als Bauteile aus Stahl oder Beton. Ansonsten ist Lehm ein statisch hinreichend fester und preisgünstiger Baustoff.
Aït Ben Haddou besteht aus einem alten und einem neuen Teil und liegt auf etwa 1300 Meter Höhe am Ufer des Asif Mellah. Der Fluss führt nur im Winter und Frühjahr Wasser. Der alte Ortskern mit der Befestigung (ksar) ist seit 1987 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Hier scheinen sich die Wohnburgen ineinander zu schieben und aus der Verschachtelung wachsen die Ecktürme (Agadire) heraus. In diesen Speichertürmen wurden früher die Obst- und Getreideernten gelagert. Noch heute sind mehrere Bereiche des Komplexes bewohnt, der wenig mit der seriösen Sterilität einer deutschen Burganlage gemein hat. Bei unserer Erkundung wurde an vielen Stellen ausgebessert, gesagt, gehämmert und Baumaterial in die Kasbah getragen. Ziegen meckern, es staubt und Lehm- und Strohgerüche schweben durch die Gassen. Je höher man in der Burg kommt, desto intimer scheint es zu werden. Es kommt der Duft frischer Wäsche hinzu, der in den kleinen Höfen und Gärten hängt. Statt Klüngel der am Burgeingang aneinandergereihten Souvenirgeschäfte gibt es in einigen Hausgeschäften Kunsthandwerk und Malereien zu kaufen. Dass man sich den Platz nicht nur mit den Bewohnern, Handwerkern und Verkäufern teilt, sondern mit mehreren Touristengruppen ist angesichts der Bedeutung des Kasbahkomplexes klar. Zum Glück gibt es die labyrinthischen Gassen, in denen man sich aus dem Weg gehen kann. Die Tageszeit hilft auch. Viele Busse starten in Marrakesch nach dem Frühstück in den Hotelanlagen, entsprechend steigt der Andrang ab der Mittagszeit. Damit entspricht die in einer einsamen Gegend gelegene Festung den Mechanismen globalisierter Touristenströme: Welterbestätte? Muss man gesehen haben! Ist ja auch so. Und die Gelder der Fremden helfen dem Erhalt der Kasbah. Im neuen Ortsteil gibt es mehrere Restaurants und Cafés. Übernachtungsmöglichkeiten der Kategorien "einfach bis ambitioniert" sind ebenfalls vorhanden. Wer diese (Übernachtungs)Zeit nicht hat, sollte trotzdem einige Stunden einplanen, Andrang hin oder her.
Denn man bekommt: Aussichten auf Steinwüstenlandschaft mit Endlos-Horizont, die gesamte Bandbreite der Braun-Ocker-Farbenfamilie, gastfreundliche Restaurantbetreiber und eine Ahnung der geschichtsträchtigen Karawanenstraße mit imposanten Lehmburgen am Hohen Atlas.
UNESCO TV / © NHK Nippon Hoso Kyokai über Aït Ben-Haddou
Aït Ben-Haddou
Arabisch: آيت بن – oft auch Aït Benhaddou geschrieben. Eine befestigte Stadt (ksar) am Fuße des Hohen Atlas im Südosten Marokkos. Der komplette alte Ortskern ist seit 1987 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Der aus einem alten und einem neuen Teil bestehende Ort liegt fast 200 km südöstlich von Marrakesch entfernt an einem Berghang in etwa 1320 Meter Höhe am Ufer des nur im Winter und Frühjahr wasserführenden Asif Mellah. Berber des Ben-Haddou-Stammes bewohnen beide Ortsteile. Ihre Vorfahren waren die unangefochtenen Herrscher der Region.
Stampflehmarchitektur
Auch: Pisé (französisch) oder piser (spanisch) von pisar = stampfen. Eine massive Lehmbau-Art, der sich grundsätzlich vom Bauen mit luftgetrockneten Lehmziegeln unterscheidet. Je nach Region und Gebäudeart werden ca. 10–40 cm hohe Schichten erdfeuchten Lehms mit einer Rohdichte von 1700 bis 2200 kg/m³ zwischen eine druckfeste Schalung geschüttet und mit Stampfgeräten verdichtet. Größere Höhe wird vermieden, da sonst keine gute Verdichtung mehr möglich ist. Gegenüber traditionellen Techniken reduziert maschinelles Stampfen den Zeit- und Arbeitsaufwand. Nach Fertigstellung kann sofort ausgeschalt werden, da es keine Abbindezeit wie beim Beton gibt. Das in der Natur häufig vorkommende Gemisch aus Lehm, Sand und Schotter eignet sich für den Stampflehmbau am besten. Dieser Baustoff lässt sich also umweltschonend, weil ohne hohen zusätzlichen Einsatz von Primärenergie herstellen. Im Gegensatz zu anderen Baustoffen wie zementgebundenem Beton, gebrannten oder gedampften Kunststeinen oder Stahl hinterlässt ein Lehmziegelbau keine Rückstände. Zudem ist Lehm hygroskopisch, also (Luft-)Feuchtigkeit aufnehmend und abgebend, und wirkt somit wie offenporiges Holz und andere (weitgehend) naturbelassene Baustoffe gesundheitsförderlich regulierend auf das Raumklima. Darüber hinaus emittiert Lehm keine allergenen oder anderweitig gesundheitsschädlichen synthetischen Stoffe. Bei einem Abriss oder Umbau des Gebäudes lässt sich der Baustoff auf einfachste Weise lagern bis er wieder mit Wasser angemischt und erneut verwendet oder der Landschaft, der er entnommen wurde, wieder übergeben wird. Auch die Wärmedämmwerte von Lehm sind vorzeigbar und können, wie in früheren Jahrhunderten bereits üblich, durch Beimengung von Stroh oder Holzwolle, -häckseln, -spänen, Sägemehl, Blähton, Blähschiefer, Perlite und ähnlichen leichten Füllstoffen noch deutlich gesteigert werden. Eine solide Stampflehmwand erreicht den F90-Standard, kann aber bei einer Brandbekämpfung durch den Hochdruckwasserstrahl der Feuerwehr abgetragen werden. Lehm ist weniger beständig gegen Durchfeuchtung, sowie Druck-, Zug- und Biegespannungen als Bauteile aus Stahl oder Beton, was Bauentwürfen mit filigranen oder auskragenden Bauteilen Grenzen setzt. Ansonsten ist Lehm ein statisch hinreichend fester, preisgünstiger Baustoff.
Die Filmkulisse
Aït-Ben-Haddou diente als Kulisse für über 20 Hollywood-Produktionen, unter anderem: Sodom und Gomorrha (1962), Lawrence von Arabien (1962), Der Mann, der König sein wollte (1975), Jesus von Nazareth (1977), Auf der Jagd nach dem Juwel vom Nil (1985), Der Hauch des Todes (1987), Die letzte Versuchung Christi (1988), Himmel über der Wüste (1990), Kundun (1997), Die Mumie (1999), Gladiator (2000), Alexander (2004), Prince of Persia: Der Sand der Zeit (2010), Game of Thrones (2012).