Fundação Calouste Gulbenkian – Daheim bei Mr. 5 %
Claire Zachanassian heißt die zentrale Figur in Friedrich Dürrenmatts Tragikomödie "Besuch der alten Dame". Der Name der etwas zweifelhaften, armenischen Öl-Milliardärin setzt sich aus drei bekannten Persönlichkeiten zusammen, die prägend waren für den Beginn des 20. Jahrhunderts: den griechischen Unternehmer und Waffenhändler Basil Zaharoff, den griechischen Reeder Aristoteles Onassis und den armenischen Geschäftsmann und Öl-Lobbyisten Calouste Gulbenkian. Da er bei all seinen Geschäften einen Fünf-Prozent-Anteil anstrebte, und diesen als Vermittler der Interessen internationaler Ölkonzerne später auch an den Gesellschaften Exxon, BP und Shell durchsetzte, nannte man ihn auch "Mister Five Percent". Sein beachtliches Vermögen legte der Kunstliebhaber in einer umfangreichen Kunstsammlung an, für die 1970 schließlich ein angemessenes Domizil errichtet wurde. Neben der Kunst galt Gulbenkians Leidenschaft der Natur. So verbrachte er am liebsten seine Freizeit im Garten seines Anwesens "Les Enclos" bei Bénerville sur Mer in der französischen Normandie.
Gulbenkian galt als Philanthrop. Als jemand, der sich besonders auch um diejenigen kümmerte, die sonst keine Unterstützung erfuhren. Er selbst mied die Öffentlichkeit. Nach seinem Tod verkündete der britische Daily Telegraph feierlich, dass Gulbenkian seiner letzten Heimatstadt Lissabon ein Haus für seine Sammlung vermacht hatte. Bald darauf wurde ein Wettbewerb ausgelobt. Die Bandbreite der Einreichungen reichte mit insgesamt drei Teams vom sachlichen International Style bis hin zur eher humanistischen, organischen Architektur. Es bewarben sich junge portugiesische Architekten ebenso wie Vertreter des alten portugiesischen Post-Rationalismus.
Die Entscheidung fiel schließlich zugunsten des Fortschritts. Ganz im Geiste Gulbenkians entwarfen die noch jungen Architekten Alberto Pessoa, Pedro Cid und Ruy d'Athouguia ein Raumprogramm, das mit sich und der Natur verschmolz. Die Besucher sollten buchstäblich durch die verschiedenen Räume fließen können. Das Gebäudeensemble war weltweit eines der ersten, das Sammlung, Bibliothek, Hörsäle, Stiftungsaufgaben und kulturelles Leben miteinander verband. Die verschiedenen Funktionsbereiche der Anlage sind dabei nicht klar voneinander getrennt angelegt, sondern fließen gleichsam ineinander. Das Gulbenkian Museum und seine Parkanlagen wurden schnell zu dem internationalen Aushängeschild zeitgenössischer, portugiesischer Architektur und sie sind es bis heute.
Beim Betreten des Parks, stellt sich unmittelbar eine gewisse Entschleunigung ein. Inmitten des dichten Grüns, auf den verschlungenen Pfaden und in den thematischen Inseln findet sich immer ein Ort der Ruhe. Schon von Beginn an arbeiteten die Planer eng mit António Facco Viana Barreto zusammen. Der Landschaftsarchitekt hatte sich mit seinem Entwurf für die grünen Terrassen des Lissaboner Ritz Hotels zuvor bereits einen Namen gemacht. Trotz der Scharfkantigkeit und Massivität der Baukörper fügen sich alle Bestandteile der Anlage harmonisch zusammen. Die Architekten nutzten den Baumbestand und die natürlichen topografischen Gegebenheiten, um die Kubaturen teilweise darin zu versenken. Die neu definierten künstlichen Erhebungen akzentuieren und stärken die architektonische Neukomposition des Raums. Die strenge Horizontalität und die geschickte Verteilung der Bauvolumina auf dem Areal lassen die Kontinuität der Grünanlagen über das Bauwerk hinweg in alle Richtungen lesbar bleiben. Das Stiftungsensemble Fundação Calouste Gulbenkian ist ein wahres Meisterwerk, in dem Kunst, Musik, Architektur und Natur gekonnt miteinander verbunden sind.
Fundação Calouste Gulbenkian
Adresse: Av. de Berna, 45A, 1067-001 Lissabon, Portugal. Lage (Google Earth) Breite 38.7378°, Länge 9.1535°. Öffnungszeiten MI.–SO. 10–18 Uhr (letzter Einlass 17:30 Uhr), DI. geschlossen
Calouste Sarkis Gulbenkian
*23.03.1869 in Scutari, Konstantinopel (heute Üsküdar, Istanbul); † 20.07.1955 in Lissabon, Geschäftsmann, Ingenieur, Ölforscher, Kunstsammler und Gründer der Stiftung Fundação Calouste Gulbenkian. Er wurde in einer berühmten armenischen Familie geboren, deren Ursprünge bis ins 4. Jahrhundert zurückreichen. Sein Vater diente dem Sultan und war wohlhabender Petroleumhändler. Calouste Gulbenkian gilt als Pionier der Ölforschung im Nahen Osten. Nach seinem Studium in Marseilles und am King’s College in London bereiste er Transkaukasien und die Ölfelder von Baku. Seine Erlebnisse fasste er in einem Reisebericht zusammen. Woraufhin ihn der osmanische Palast mit der Verfassung eines umfassenden Berichtes über die Ölfelder Mesopotamiens beauftragte. Während der Massaker an der armenischen Bevölkerung musste die Familie 1896 aus Konstantinopel fliehen. Über mehrere Stationen gelangte Gulbenkian schließlich nach London. Dort wirkte er weiterhin als einflussreicher Verhandlungspartner der Ölindustrie und nahm 1902 die britische Staatsangehörigkeit an. 1912/14 war er Mitbegründer der Turkish Petroleum Company (TPC), der späteren Iraq Petroleum Company (IPC). Gulbenkian erwirtschaftete im Laufe seines Lebens ein beträchtliches Vermögen, das der Kunstliebhaber u. a. in einer großen Sammlung von Gemälden, Skulpturen und Kunsthandwerk anlegte. Als Folge des Zweiten Weltkriegs flüchtete er mitsamt seiner Kunstsammlung 1942 ins neutrale Portugal, wo er bis zum Ende seines Lebens blieb.
Stiftung Fundação Calouste Gulbenkian
Der größte Teil des sehr beachtlichen, durch die Vermittlung vielseitiger Kontakte, kluge Verhandlungsstrategien und gezielte Investitionen erworbenen Vermögens Gulbenkians floss, einer testamentarischen Verfügung entsprechend, in die von ihm gegründete Stiftung Fundação Calouste Gulbenkian, der auch seine Privatsammlung übereignet wurde. Diese nahm ihre Arbeit mit einem Startkapital von 67 Millionen Dollar auf und hatte bereits 20 Jahre später 433 Millionen Dollar zur Verfügung. Mit den Geldern wurden und werden künstlerische, karitative und wissenschaftliche Projekte, Museen, Musiktheater, Bibliotheken, Forschungsinstitute, Bildungsstätten und diverse Stipendiaten unterstützt. (Wikipedia)
Ruy Jervis d'Athouguia
*1.1.1917 in Macau; † 21.07.2006 in Lissabon. Der portugiesische Architekt studierte an der renommierten Escola Superior de Belas-Artes de Porto (ESBAP). Dort beendete er 1948 sein Studium. D’Athouguia zählte zu einer Generation von Architekten, die sich von den nationalistischen Tendenzen dieser Zeit klar distanzierten und war einer der Pioniere Portugals, die sich ganz im Geiste der Charta von Athen den Prinzipien der Moderne verschrieben hatten. Museum und Sitz der Stiftung Fundação Calouste Gulbenkian, das er zusammen mit Pedro Cid und Albert Passoa errichtet hatte, zählt zu seinen wichtigsten Bauwerken. 1975 wurden sie gemeinsam mit dem Prémio Valmor ausgezeichnet, dem wichtigsten Architekturpreis Portugals.
Pedro Cid
1925–1983. Der portugiesische Architekt studierte an der renommierten Escola Superior de Belas-Artes de Lisboa (EBAL), an der er 1952 sein Studium beendete. Später arbeitete er für das Innenministerium, wo er maßgeblich für die die Errichtung der zentralen Stelle für Technischen Support (GAT) verantwortlich war. 1978 wurde er Direktor des GAT in Montemor-o-Novo. Seine Architektur war klar, geradlinig und diskret. Dabei legte er besonderen Wert auf eine ökonomische Materialwahl.
Alberto Passoa
*15.4.1919 in Figuera da Foz; † 1985 in Lissabon. Der portugiesische Architekt studierte an der Faculdade de Belas-Artes der Universität Lissabon, wo er 1943 sein Studium beendete. Später leitete er als Berater der Baukommission der Universität Coimbra den Umbau der Zentralbibliothek der Philosophischen Fakultät. Für ein Wohnhaus in Restelo erhielt er 1950 erstmals den Prémio Valmor. Später lehrte er als Dozent an der Universität Lissabon. Er war Mitglied des Architektenkollektivs Iniciativas Culturais Arte e Técnica (ICAT) und einer der Direktoren des Magazins Arquitectura.