Zentrum Paul Klee – Renzos
Wer mit dem Bus aus der Berner Innenstadt kommt, könnte sie fast übersehen. Von der Schlosshaldenstraße aus kommend, sehen die drei Wellen des Zentrum Paul Klee (ZPK) bescheiden und beinah wie Beiwerk der Autobahn A6 aus. Auf dieser herrscht das typische Verkehrsgrundrauschen. Schon von dieser Ansicht deutet sich an wofür das Werk des italienischen Architekten Renzo Piano und seines Büros RPBW berühmt ist: die Verschmelzung des ZPK mit der Umgebung als Landschaftsskulptur. Gleichzeitig ist das Zentrum Paul Klee eine Museums- und Kulturmaschine, die selbstbewusst und souverän mit eben diesen Elementen spielt und sich anpasst: der lärmenden Autobahn, der sanften Natur, der Weite der Landschaft.
Alle Bilder des folgenden Abschnitts sind von der Fotokünstlerin Bettina Cohnen.
Die Ansiedelung und die inhaltliche Ausrichtung zum Kulturzentrum gehe auf die Visionen und Finanzierung von Prof. Dr. Maurice E. Müller und Martha Müller-Lüthi zurück, so ZPK-Kenner und Kunstvermittler Hannes Dubach beim Start der Führung durch das Haus. Eine der Bedingungen der Financiers: sie wünschten sich RPBW als Gestalter und Planer. Renzo Piano und sein Team zusammen mit arb Architekten aus Bern ließen sich von der Topografie und dem Werk Paul Klees inspirieren. Die Farbpoesie des Malers wurde in das Konzept einer Wellenlandschaft übertragen, deren Hügel sich aus dem Relief der Natur herausbewegen. Jeder der 330 Stahlbögen ist ein Unikat, sie tragen das Dach und die Glasfassade. Nachdem ZPK-Experte Dubach die Funktionen der drei Hügel umrissen hat, starten wir mit der Besichtigung von Hügel Nr. 3 mit der Forschungsabteilung und der Verwaltung. Im zentralen Hügel befinden sich der Haupteingang, das Museumsshop und zwei Ausstellungshallen. Der Nord-Hügel beherbergt das Auditorium und Café. Verbunden sind die Hügel durch die 150 Meter lange interne Museumsstraße, für jedermann frei zugänglich und wie eine Einladung an Spaziergänger, Kaffeetrinker und Museumsinteressierte ohne viel Aufwand hereinzukommen.
Hannes Dubach betont die Bedeutung des Zentrums als Kulturinstitution. Denn neben den Wechselausstellungen rund um Klees großes Werk sind Veranstaltungen wie Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen, Kongresse und Workshops im Kindermuseum Creaviva wichtige Einnahmequellen. Die drei Hügel aus Stahl und Glas repräsentieren auf diese Weise das interdisziplinäre Programm und Geschäftsmodell. Gleichzeitig unterstreicht dieser Ansatz den Freigeist und die Offenheit des Hauses und führt so über die Grenzen des traditionellen Kunstmuseums hinaus. Trotz dieser Flexibilität konzentriert sich vieles natürlich auf Paul Klee. Insofern ist RPBW mit der Gestaltung der zwei Ausstellungssäle mit 1.750 Quadratmetern eine bedachte und fokussierte Lösung gelungen, die auf Klees eher kleinformatige Werke Rücksicht nimmt. Die Bleistiftzeichnungen und Aquarelle dürfen nur einer Lichtstärke von 50 bis 100 Lux ausgesetzt werden, so dass Hauptsaal und Raum im Untergeschoss des mittigen Hügels reine Kunstlichtsäle sind. Der Kontrast zur Glasfassade ist groß und taucht die Museumstraße in totales Licht ein und ist eine Folge der Gebäudegeometrie. Auf ihrer ganzen Länge ist sie in einen oberen und unteren Bereich unterteilt. Die beiden Fassadenbereiche sind leicht versetzt und auf einer Höhe von vier Metern über dem Erdgeschossboden durch das Vordach, dem Dach der Museumstraße, miteinander verbunden. An ihren höchsten Stellen misst die Glasfassade 19 Meter. Mit Flächen von 6 x 1,6 Meter sind die größten Glasscheiben fast eine halbe Tonne schwer.
Von Schwere und Massivität ist nichts zu spüren, wenn man durch die Säle, Räume und die Museumstraße geht. Zwar ist vieles in der Innengestaltung wie beispielsweise die Materialität der Böden, Aufgänge und Wände auf Funktionalität ausgerichtet und wirkt in der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit fad und nüchtern. Nur ein Blick hinaus oder die Achse der Museumstraße entlang und schon weiß man um die Stärken des Zentrums: seine konzentrierte Großzügigkeit, das Spiel mit Licht und Raum und eine gekonnte Mischung aus Stolz und Takt im Umgang mit Autobahn, Terrain und Landschaft. Eine Welle machen mit der größtmöglichen Stil-Brandung: das konnte an dieser Stelle wohl nur RPBW gelingen.
Unsere Recherchereise wurde von Bern Tourismus und Sky Work Airlines unterstützt. Informationen zu den Flugverbindungen von und nach Bern siehe Website. Wir danken der Fotokünstlerin Bettina Cohnen für ihre Bilder.
Zentrum Paul Klee
Das ZPK verfügt mit fast 4.000 Werken über die weltweit bedeutendste Sammlung von Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen und biografischen Materialien von Paul Klee. Eine Hauptaufgabe des Zentrums besteht darin, das künstlerische, pädagogische und theoretische Werk Klees und dessen Bedeutung im kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhang seiner Zeit wissenschaftlich zu erschließen und über verschiedene Kanäle und Medien zu vermitteln. Nach sechsjähriger Planungs- und Bauzeit wurde das ZPK am 20. Juni 2005 eröffnet. Kosten: 125 Millionen Franken (etwa 117 Millionen Euro). – Adresse: Monument im Fruchtland 3, CH-3006 Bern. Tel.: +41 (0)31 359 01 01. E-Mail: info@zpk.org. Öffnungszeiten: DI–SO 10 – 17 Uhr. Eintritt: regulärer Eintritt CHF 20, Studierende CHF 10, Kinder 6 – 16 CHF 7, weitere Ermäßigungen siehe Website. Anfahrt mit dem Auto: Autobahn A6, Ausfahrt Bern-Ostring, GPS: Schosshaldenstrasse 92c, 46.9491 / 7.4739. Anfahrt z. B. Bus Nr. 12 (Richtung Zentrum Paul Klee): bis Endstation. Der Bus hält beim Restaurant Schöngrün und dem Eingang Nord des Zentrum Paul Klee. Fahrzeit ca. 10 Minuten ab Hauptbahnhof Bern. Die Buslinie 12 verkehrt am Abend täglich bis 24 Uhr zum ZPK.
Paul Klee
Geboren 1879 in Münchenbuchsee, Kanton Bern, gestorben 1940 in Muralto, Kanton Tessin. Deutscher Maler und Grafiker. Klees vielseitiges Werk wird dem Expressionismus, Konstruktivismus, Kubismus, Primitivismus und dem Surrealismus zugeordnet. Er hat eng mit der Redaktiongemeinschaft Der Blaue Reiter gearbeitet. Ab 1920 lehrte er am Bauhaus in Weimar und in Dessau. Ab 1931 war er Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Nach der Machtergreifung durch die Nazis wurde er entlassen und ging zurück nach Bern. Hier schuf er ab 1934 trotz Krankheit ein umfangreiches Spätwerk. Mit 1253 registrierten Werken, die Mehrheit davon Zeichnungen, ist 1939 das produktivste Jahr seines ganzen Schaffens. Insgesamt hat Klee mit 33 Jahren über die Hälfte seines Lebens in Bern verbracht.
Renzo Piano
Geboren 14.9.1937 in Genua. Unter dem Namen „Renzo Piano Building Workshop“ leitet der italienische Architekt Ateliers in Genua und Paris. Seinen Durchbruch hatte er 1977 mit dem Bau des Pariser Centre Pompidou, das er gemeinsam mit dem Briten Sir Richard Rogers entworfen hatte. Heute zählt Piano zu den weltweit bedeutendsten Architekten. Zu seinen Werken zählen unter anderem der Kansai International Airport in Osaka, die Fondation Beyerler bei Basel und The Shard in London, der mit 310 Metern höchste Wolkenkratzer Europas.
Bern
Hauptstadt der Schweiz und Hauptort des gleichnamigen Kantons. Knapp 142.000 Einwohner (Nov. 2016), gehört neben Zürich, Genf, Basel und Lausanne zu den größten Gemeinden der Schweiz. 1191 gegründet. 1983 wurde die Berner Altstadt in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. In den vergangenen Jahren sind z. T. spektakuläre Neubauten außerhalb der Altstadt entstanden, z. B. das Bernische Historische Museum, das Westside und das Zentrum Paul Klee.
Bettina Cohnen
Geboren 1973 in Bielefeld, Fotokünstlerin. Lebt und arbeitet in Berlin, Deutschland. Fotografiestudium bei Kaucyila Brooke und Allan Sekula, Meisterschülerin bei Prof. Ulrich Eller. Mehrere Auszeichnungen und Stipendiatenaufenthalte im Ausland, u. a. am California Institute of the Arts (CalArts), Los Angeles, USA und in New York City; 10. Aenne-Biermann-Preis für deutsche Gegenwartsfotografie (Anerkennung). Ausstellungen (Einzel- und Gemeinschaftsausstellung) in Berlin, Zagreb, Hannover, Turin, New York.