Ein Bauhaus-Tag – Legende mit Laubenganghäusern
Ziemlich berühmt, diese kleine Stadt. Selbst nach der Kreisreform, bei der Dessau und Roßlau zusammengeführt wurden, hat die kreisfreie Stadt in Sachsen-Anhalt gerade einmal etwas über 80.000 Einwohner. Aber Größe hat oft nichts mit Zahlen zu tun, sondern mit geschichtsträchtiger Kreativität und legendärer Schaffenskraft. Was auch das Welterbekomitee der UNESCO erkannt hat. Sie hat die 1930 errichteten Laubenganghäuser in Dessau und die ebenfalls 1930 gebaute Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau bei Berlin zum Welterbe erklärt. Beide Standorte ergänzen das Bauhaus in Dessau, das mit seinen Stätten seit 1996 zum Weltkulturerbe gehört.
Bei unserer Bauhaus-Tour in Dessau-Roßlau haben wir festgestellt: der Ort liegt geografisch gut. Im Süden ist Leipzig nur 40 km entfernt, nach Magdeburg sind es etwas über 60 km gen Nordwesten und aus Berlin kommend brauchen wir etwa anderthalb Stunden mit dem Pkw. Wenn man hierher fährt, kann man vor Ort auch eine Nacht verbringen und wenn man das schon macht, dann bitte stilecht: im Atelierhaus. Die ehemaligen Studentenzimmer in dem fünfstöckigen und damit höchsten Körper des Bauhausgebäudes wurden stilecht eingerichtet: minimalistisch und in einer studentischen Einfachheit. Einige Zimmer sind historisch rekonstruiert. Übernachten in einem Weltkulturerbe nimmt so einer Stätte das Historisch-Museale. Natürlich ist der Respekt groß, schließlich haben hier die Studentinnen und Studenten gelebt, geschlafen und gefeiert, die das Bauhaus mit geprägt und berühmt gemacht haben. Nach der Reservierung habe ich per E-Mail das PDF „Übernachten am Bauhaus“ erhalten. Für alle Hotel-verwöhnten Reisenden, diese Informationen sind für euch bestimmt: „Die Gegebenheiten der Sanitäranlagen sind mit Gemeinschaftsdusche und Etagen-WC noch wie zu Bauhauszeiten.“
Wer eine Nacht auf den üblichen Hotelkomfort verzichten kann, bekommt einiges mit von den anderen Gästen (die zu Hause wahrscheinlich gerne mit den Türen knallen) und sehr viel vom minimalistischen Geist des Atelierhauses.
Stichwort Informationen und PDF. Diese hat die Stiftung Bauhaus Dessau in mehreren Flyern, Karten und Heften übersichtlich und hilfreich zusammengestellt. "Willkommen am Bauhaus in Dessau" empfiehlt für einen Bauhaus-Tag fünf Ziele, die wir so wie in dem Programm beschrieben, auch ansteuern.
1. Beginn im Bauhausgebäude, Gropiusallee 38
Frühstück im Café-Bistro, der Besuch der Ausstellung, die Besichtigung des Bauhausgebäudes im Rahmen einer öffentlichen Führung sind unerlässlich. Wir empfehlen das Bauhausgebäude in entspanntem Tempo zu umrunden, am besten mehrfach und zu verschiedenen Tageszeiten. Auch der Weg zum direkt am Bauhaus grenzenden Campus der Hochschule Anhalt mit seinen insgesamt 1.400 Studenten lohnt einen kurzen Abstecher. Architektur, Facility Management und Geoinformation und Design sind auf dem Gelände angesiedelt.
2. Wechsel zum Ensemble der Meisterhäuser, Ebertallee 59–71 (5 Minuten Fußweg)
Zeitgleich zum Bauhausgebäude entstand das Ensemble der Meisterhäuser nur wenige Minuten von der Schule entfernt. Walter Gropius fasste seine Philosophie in einem Baukastenprinzip zusammen. Er entwarf vier Baukörper mit je zwei Häusern, die sich spiegelbildlich zueinander verhielten. Sie repräsentierten eine moderne Wohnkultur mit einer Inneneinrichtung aus den Werkstätten der Hochschule und neuesten technischen Errungenschaften. Auch die Positionierung der Häuser folgt dem Gropius-Prinzip des Neuen Bauens: sie stehen frei im Kiefernwald und bilden so einen Gegensatz zum klassischen Haus mit Garten. Beim Besuch stellt sich wieder der "Bauhaus-Geist trifft 21. Jahrhundert"-Gefühl ein. Ähnlich wie die Schaffung der Übernachtungsmöglichkeit im Atelierhaus kommen die Häuser nicht als entrückte historisch-museale Heiligtümer daher. Das liegt zum einen an der Trinkhalle direkt am Eingang der Siedlung. Cool und pur vom Berliner Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez (BFM) gestaltet und seit Juni 2016 geöffnet, wirkt es wie eine skulpturale Einladung zu einem Espresso bevor es weiter zu den Meisterhäusern geht. Die von Mies van der Rohe 1932 gebaute Trinkhalle wurde 1962 abgerissen.
Mit der 2014 abgeschlossenen städtebaulichen Reparatur der Meisterhaussiedlung durch BFM sind nun Trinkhalle und Kiosk zurück. Den Espresso sollte man im Garten des Gropiushauses, auf der Rückseite der Trinkhalle, trinken. Ein schöner Platz. Von den vier Meisterhäusern wurden das Haus Gropius und das Haus Moholy-Nagy zerstört. Die Lösung von BFM: "Eine Architektur der Unschärfe", so die Stiftung Bauhaus zu den beiden neuen Häusern.
Zu Fuß in die Innenstadt
Hier empfiehlt das Programm des Bauhaus-Tags einen Spaziergang durch den Bahnhof, entlang des Anhaltischen Theaters durch den Stadtpark zum historischen Arbeitsamt von Walter Gropius am August-Bebel-Platz. Letzterer ist den kurzen Abstecher wert. Außerdem: 2019 soll das Bauhaus Museum im Stadtpark eröffnen, passend zum 100. Gründungsjubiläum des Bauhaus.
Weiter nach Dessau-Törten mit der Straßenbahn
Die Linie 1 bis Damaschkestraße/Südschwimmhalle nehmen. Die Reihenhaussiedlung von Gropius im Dessauer Süden war das Testfeld des industriellen Bauens bis 1931. Insgesamt entstanden 314 Reihenhäuser mit 57 bis 75 Quadratmeter Wohnfläche. Im ehemaligen Konsumgebäude ist eine Dauerausstellung, in der die Bedeutung der Siedlung Törten für die Bauhausgeschichte unterstrichen wird. Dass auch hier das Bauhaus lebt und zeitgemäß wirkt, liegt an den Bewohnern. Die ursprüngliche Einheitlichkeit ist durch individuelle Interpretationen der Fassaden-, Tür- und Fenstergestaltung zu einem beinah bunten Ensemble geworden.
Am Abend an der Elbe
Letzter Programmpunkt: Bauhaus-Ambiente und Elbeblick am Kornhaus, Kornhausstraße 146. An dieser Stelle macht der große Fluss eine schwungvolle Biege und wirkt dadurch spannungsgeladen und entspannend zugleich. Das Kornhaus ist eine Gaststätte, die von Carl Fieger entworfen wurde. Das Kornhaus ist in Mischbauweise aus Ziegelmauerwerk mit Stahlbetonstützen konstruiert. Besonderer Blickfang: der halbrunde, verglaste Vorbau.
Fazit
Zur berühmten, kleinen Stadt gibt es mit dem Tagesprogramm eine passende Erkundungstour, die einen sehr guten Einblick in die Bauhaus-Legende gibt. Wer noch Zeit hat, sollte auch Orte abseits der Bauhauswelt besuchen, z. B. das Technikmuseum "Hugo Junkers" im Dessau-Roßlauer Stadtteil Kleinkühnau, unweit des Bauhausgebäudes. Hugo Junker war ein bedeutender deutscher Ingenieur und Unternehmer, der 1895 die Firma Junkers & Co gegründet hatte und bis 1932 Eigentümer der Junkers Motorenbau GmbH und Junkers Flugzeugwerk AG. Gleich am Dessauer Hauptbahnhof ist der Neubau des Umweltbundesamtes (UBA). Von Sauerbruch Hutton Architekten als farbenfrohes, sanft geschwungenes "Band" aus Holz, Metall und Glas konzipiert, prägt der Gebäudekomplex das ganze Areal – fertiggestellt im Mai 2005.
Bauhausgebäude Dessau
Stiftung Bauhaus Dessau, Gropiusallee 38, 06846 Dessau-Roßlau Tel. +49 340 6508 250. Öffnungszeiten: täglich von 10–17 Uhr. Eintritt: 7,50 € und 4,50 € ermäßigt. Eintritt in das Bauhausgebäude inkl. der dort gezeigten Ausstellungen. Führungen täglich 11 und 14 Uhr, Sa. und So. 11, 12, 14 und 16 Uhr. Preis: 5,– € zzgl. Eintritt.
Meisterhaussiedlung
Adresse Meisterhäuser: Ebertallee 59–71, 06846 Dessau-Roßlau. Öffnungszeiten April–Oktober: Mo.–So. 10–17 Uhr, November–März: Mo.–So. 11–17 Uhr. Termine für die öffentlichen Führungen: siehe Website. Gruppenanmeldungen und Sondervereinbarungen: Tel. 0340–6508-251
Bauhaussiedlung Dessau-Törten
Adresse Informationszentrum Törten: Am Dreieck 1, Ecke Damaschkestraße, 06849 Dessau-Roßlau. Öffnungszeiten: DI.–SO. und an Feiertagen 11–15.30 Uhr (im Dezember und Januar geschlossen). Eintritt: 3 Euro. Anderthalbstündige Führungen: Termine und Preise siehe Website.
Laubenganghäuser
von Hannes Meyer, Bauzeit 1929–30. Die fünf Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 90 Wohnungen waren Teil der geplanten gemischten Bebauung, die Hannes Meyer für die Erweiterung von Törten vorgesehen hatte. Zwischen drei- und viergeschossigen Laubenganghäusern sollte eine eingeschossige Reihenhausbebauung entstehen. Die in Teilen realisierte Bebauung grenzte an die zwischen 1926 und 1928 von Walter Gropius konzipierte halbländliche Reihenhaussiedlung an, die mit insgesamt 314 Wohneinheiten und dem Gebäude des Konsumvereins bereits fertiggestellt worden war.
Hannes Meyer
eigentlich Hans Emil Meyer; geboren 1889 in Basel; gestorben 1954 in Crossifisso di Savosa. Architekt und Urbanist. Er wirkte unter anderem in Basel, als Nachfolger von Walter Gropius am Bauhaus in Dessau, in der ehemaligen Sowjetunion und in Mexiko. Er gilt als einer der bedeutenden Vertreter des Neuen Bauens.
Übernachten im Bauhaus
Im Atelierhaus können Besucher und Gäste in den ehemaligen Studentenzimmern übernachten. Die Einrichtung ist minimalistisch und studentisch einfach. Zimmerpreise siehe Website. Reservierung: Tel. 0340–6508-318. unterkunft@bauhaus-dessau.de
Bauhaus 100
2019 begeht Deutschland mit Partnern in aller Welt das 100. Gründungsjubiläum des Bauhauses. In Weimar 1919 gegründet, 1925 nach Dessau umgezogen und 1933 in Berlin unter dem Druck der Nationalsozialisten geschlossen, bestand die Hochschule für Gestaltung nur 14 Jahre. Dennoch wirkt das Bauhaus weltweit bis in die Gegenwart fort.