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Kein "Kauf uns!" Kein "Miet uns!" Kein "Klick uns!"
Stattdessen finde ich konsequente Konzentration und die Abwesenheit von werblicher Nervosität. Der Abstieg in die Düsseldorfer Untergrundwelt ist der Aufstieg auf eine ganzheitliche Verkehrskulturplattform. Zum Konzept der im Februar 2016 eröffneten Wehrhahn-Linie gehören Sinnlichkeit, Muse und Kunst ebenso dazu wie verständliche Leit- und Orientierungssysteme und die klare Aufteilung der architektonischen Räume. Die neue U-Bahn-Linie mit sechs Stationen entstand nach einer anderthalb Jahrzehnte dauernden, kontinuierlichen Zusammenarbeit von Architekten, Ingenieuren, Künstlern und städtischer Verwaltung. Den zweistufigen EU-weiten Wettbewerb konnten 2001 das Darmstädter Büro netzwerkarchitekten mit der Künstlerin Heike Klussmann für ihr Gesamtkonzept der Bahnstrecke als Kunst-Linie gewinnen. Kunst war fortan ein integraler Teil des Bauwerks. Kunst wirkt auf die Architektur ein und greift in die Ebenen, Räumen und Aufgänge ein. Verbindendes Element aller sechs U-Bahnhöfe ist die helle reliefartige Netzstruktur mit der Raute als kleinster Einheit. Sie wird durch die Bauteilfuge erzeugt und ständig variiert, so dass die Bahnsteigwände räumlich wirken und sich zu bewegen scheinen. Das Faszinierende an den Rautenbewegungen und den sechs Kunsträumen: man kann stehenbleiben, die Bahnhöfe als Verkehrsgalerien mit ambitionierter Kunst und modernster Technik begreifen oder auch nicht. Selbst wenn man achtlos an den Kunst-Architektur-Räumen hastet, so werden diese nicht ohne Wirkung bleiben. Und sei es, dass die Bahnhöfe angenehm und ästhetisch erscheinen. Die Kauf-Miet-Klick-Unserei hat man entweder eh auf dem Smartphone oder kurz nach Verlassen der Wehrhahn-Linie. Es lohnt sich also, für eine kurze Fahrt in andere Kosmen zu tauchen. Wie diese aussehen, zeigen wir in dieser Übersicht.

Station Kirchplatz – Enne Haehnle Spur X

"Enne Haehnles Textskulptur ist Kommunikationsmittel und selbst Kommunikation: sie konstruiert Sprache und kehrt mit ihren spielerischen Formationen zum Anlass des Zeichens und Zeichnens zurück, der Informationsmitteilung."

Heidi Stecker, Kunsthistorikerin und Lektorin aus Leipzig

Sie winden und krümmen sich, sie kriechen die Wände hoch und schleichen sich um die nächste Ecke. Diese roten Bänder sind Lyrik. Enne Haehnle schrieb für die Gestaltung ihres Bahnhofs zunächst poetische Texte. Aus diesen schmiedete sie Stahlstränge, die leuchtend rot keinen Weg weisen. Ein Spiel mit Perspektiven und (Un)Lesbarkeit.

Station Kirchplatz. "Spur X" von Enne Haehnle
Station Kirchplatz "Spur X" von Enne Haehnle © Jan Dimog
Station Kirchplatz. Spur X ist in Strangform gezogener Vollprofilrundstahl mit ...
Station Kirchplatz Spur X ist in Strangform gezogener Vollprofilrundstahl mit ... © Jan Dimog
Station Kirchplatz. ... einem Durchmesser von etwa zwei Zentimetern.
Station Kirchplatz ... einem Durchmesser von etwa zwei Zentimetern. © Jan Dimog
Station Kirchplatz. Nach dem Schmiedeprozess wurde der Strang mit orangerotem Farbpulver beschichtet.
Station Kirchplatz Nach dem Schmiedeprozess wurde der Strang mit orangerotem Farbpulver beschichtet. © Jan Dimog
Station Kirchplatz.
Station Kirchplatz © Jan Dimog

"Was sonst als störend wahrgenommen würde, nämlich Schlieren auf der Wand, die auch unangenehme Assoziationen an Verschmutzungen oder Schimmel wecken könnten, ist ästhetisch letztlich das eigentliche Ereignis."

Ludwig Seyfarth, Autor und Kurator

Station Graf-Adolf-Platz: Manuel Franke – Achat

Sie fließen und formen eine grün-schwarze Welt. Die Linien mäandern und stürzen herunter und drumherum dieser Grünkosmos. Der U-Bahnhof Graf-Adolf-Platz ist ein Quarz-Bahnhof. Denn "Achat" ist eine Form des Minerals Quarz. Beim Achat zeigt sich eine streifenförmige Zeichnung aufgrund einer Kristallisation. Manuel Franke dazu: "Das Hinuntergehen zu den Gleisen geht einher mit dem Eintauchen in die Tiefe einer Steinschicht."

Station Graf-Adolf-Platz. "Achat" von Manuel Franke
Station Graf-Adolf-Platz "Achat" von Manuel Franke © Jan Dimog
Station Graf-Adolf-Platz. Die gläserne Wandverkleidung wurde ...
Station Graf-Adolf-Platz Die gläserne Wandverkleidung wurde ... © Jan Dimog
Station Graf-Adolf-Platz. ... innerhalb der Produktion in der Glashütte durch Manuel Franke und Leni Hoffmann unmittelbar von Hand bearbeitet.
Station Graf-Adolf-Platz ... innerhalb der Produktion in der Glashütte durch Manuel Franke und Leni Hoffmann unmittelbar von Hand bearbeitet. © Jan Dimog
Station Graf-Adolf-Platz. Die Schattierungen und Verwerfungen entstanden durch Subtraktion der frischen grünen Farbschicht.
Station Graf-Adolf-Platz Die Schattierungen und Verwerfungen entstanden durch Subtraktion der frischen grünen Farbschicht. © Jan Dimog
Station Graf-Adolf-Platz.
Station Graf-Adolf-Platz © Jan Dimog

"Der Weltraum - unendliche Weiten. Wir befinden uns in einer fernen Zukunft. Dies sind die Abenteuer des neuen Raumschiffs Enterprise, das viele Lichtjahre von der Erde entfernt unterwegs ist, um fremde Welten zu entdecken, unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen. Die Enterprise dringt dabei in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat."

Vorspanntext Raumschiff Enterprise – Star Trek

Station Benrather Straße: Thomas Stricker – Himmel oben, Himmel unten

Sie fliegen in die Grenzenlosigkeit und bleiben in der Tiefe stecken, sie ergeben ein Muster und entziehen sich dem Schema F. Die Prägungen der silbern schimmernden Edelstahlpaneele im Raumschiff U-Bahnhof Benrather Straße sind (k)ein Code für unten und oben, für rechts und links. Die Ebenen und Räumen fließen ineinander über und am Ende steht fest: ein Thomas Stricker-Universum ist im Untergrund entstanden. Kraftvoll, schwerelos, All-glatt.

Station Benrather Straße. "Himmel oben, Himmel unten" von Thomas Stricker
Station Benrather Straße "Himmel oben, Himmel unten" von Thomas Stricker © Jan Dimog
Station Benrather Straße. Die Prägung der Wandverkleidung setzt sich aus vertikalen Punktreihen zusammen.
Station Benrather Straße Die Prägung der Wandverkleidung setzt sich aus vertikalen Punktreihen zusammen. © Jan Dimog
Station Benrather Straße. Der mit den Darmstädter Büro netzwerkarchitekten entwickelte Innenausbau einer Raumstation besteht aus einer Vielzahl von glänzenden Edelstahlpaneelen.
Station Benrather Straße Der mit den Darmstädter Büro netzwerkarchitekten entwickelte Innenausbau einer Raumstation besteht aus einer Vielzahl von glänzenden Edelstahlpaneelen. © Jan Dimog
Station Benrather Straße. Sie erinnern an einen binäre Code oder eine Matrix.
Station Benrather Straße Sie erinnern an einen binäre Code oder eine Matrix. © Jan Dimog
Station Benrather Straße.
Station Benrather Straße © Jan Dimog

Station Heinrich-Heine-Allee: Ralf Brög – Drei Modellräume

Sie zwitschern und flöten, sie vibrieren und schwingen durch die unterirdischen Räume und das Beste daran sind die Irritationen und Fragen: kommen diese Töne von hier? Oder bilde ich mir das ein? Im U-Bahnhof Heinrich-Heine-Allee hat der Künstler Ralf Broeg an drei Zugängen drei verschiedene Klangkorridore installiert: "Theater", "Labor" und "Auditorium". Drei Räume mit hochwertigem Soundsystem mit Visualisierungen und Klangskulpturen und –materialen. Wer die Antwort auf den Ursprung der Töne hat, sieht sich mit der nächsten Frage konfrontiert: soll ich weiterfahren oder diese drei Sound- und Installationskosmen überhaupt verlassen?

Station Heinrich-Heine-Allee. "Drei Modellräume" von Ralf Brög
Station Heinrich-Heine-Allee "Drei Modellräume" von Ralf Brög © Jan Dimog
Station Heinrich-Heine-Allee. Die Soundkorridore Auditorium, Theater und Labor wurden mit sondergefertigten Steuerungssystemen ausgestattet.
Station Heinrich-Heine-Allee Die Soundkorridore Auditorium, Theater und Labor wurden mit sondergefertigten Steuerungssystemen ausgestattet. © Jan Dimog
Station Heinrich-Heine-Allee. Aufgang Theater
Station Heinrich-Heine-Allee Aufgang Theater © Jan Dimog
Station Heinrich-Heine-Allee. Im Auditorium werden in einem Spatial-Sound-Verfahren über eine Achtundvierzigkanal-Soundinstallation die einzelnen Soundmodule frei in Raum und Zeit bewegt und erzeugen dadurch eine räumliche Illusion ...
Station Heinrich-Heine-Allee Im Auditorium werden in einem Spatial-Sound-Verfahren über eine Achtundvierzigkanal-Soundinstallation die einzelnen Soundmodule frei in Raum und Zeit bewegt und erzeugen dadurch eine räumliche Illusion ... © Jan Dimog
Station Heinrich-Heine-Allee. Die Wände bestehen aus prägeverformten plastischen Emailelementen.
Station Heinrich-Heine-Allee Die Wände bestehen aus prägeverformten plastischen Emailelementen. © Jan Dimog
Station Heinrich-Heine-Allee. Die reliefartige Netzstruktur des Kontinuums.
Station Heinrich-Heine-Allee Die reliefartige Netzstruktur des Kontinuums. © Jan Dimog
Station Heinrich-Heine-Allee. Das Labor mit der Verkleidung aus metallischem Keramikdruck ...
Station Heinrich-Heine-Allee Das Labor mit der Verkleidung aus metallischem Keramikdruck ... © Jan Dimog
Station Heinrich-Heine-Allee. ... hat zwei Soundobjekte ...
Station Heinrich-Heine-Allee ... hat zwei Soundobjekte ... © Jan Dimog
Station Heinrich-Heine-Allee. ... aus pulverbeschichteten Lochblechen.
Station Heinrich-Heine-Allee ... aus pulverbeschichteten Lochblechen. © Jan Dimog
Station Heinrich-Heine-Allee.
Station Heinrich-Heine-Allee © Jan Dimog

Station Schadowstraße: Ursula Damm – Turnstile

Sie gehen oder laufen, sie bewegen sich und sind als Energiepunkte markiert. "Sie" sind Passanten, Passagiere, Pendler in der interaktiven Installation Turnstile der Künstlerin Ursula Damm. Kernelement ist die LED-Projektionsfläche, die mittels eines Programms die Bewegungen der Menschen an der Oberfläche in Echtzeit übermittelt. Bilder von Menschen werden zu Bewegungsenergien, umrahmt von Geometrien der blauen Glaswände des U-Bahnhofs.

Station Schadowerstraße. "Turnstile" von Ursula Damm
Station Schadowerstraße "Turnstile" von Ursula Damm © Jan Dimog
Station Schadowstraße. Für "Turnstile" hat Ursula Damm eine interaktive Installation geschaffen, die aus mehreren Teilen besteht.
Station Schadowstraße Für "Turnstile" hat Ursula Damm eine interaktive Installation geschaffen, die aus mehreren Teilen besteht. © Jan Dimog
Station Schadowstraße. In die blauen Glasflächen sind z. T. raumhohe Platten eingebaut ...
Station Schadowstraße In die blauen Glasflächen sind z. T. raumhohe Platten eingebaut ... © Jan Dimog
Station Schadowstraße. ... die Geometrien über den Stadtteilen von Düsseldorf aufzeigen.
Station Schadowstraße ... die Geometrien über den Stadtteilen von Düsseldorf aufzeigen. © Jan Dimog
Station Schadowstraße. Die zentrale Projektionsfläche ist in die große Stirnwand des Bahnhofs integriert, wo ein reaktives, digitale Video in Echtzeit generiert wird.
Station Schadowstraße Die zentrale Projektionsfläche ist in die große Stirnwand des Bahnhofs integriert, wo ein reaktives, digitale Video in Echtzeit generiert wird. © Jan Dimog
Station Schadowstraße. Geometrien interpretieren das Luftbild Düsseldorfs.
Station Schadowstraße Geometrien interpretieren das Luftbild Düsseldorfs. © Jan Dimog
Station Schadowstraße. Die Stadt wird im Ganzen oder als Auszug gezeigt.
Station Schadowstraße Die Stadt wird im Ganzen oder als Auszug gezeigt. © Jan Dimog
Station Schadowstraße.
Station Schadowstraße © Jan Dimog

"Grundfragen der Raumwahrnehmung provozieren in der Pempelforter Straße ein Kippbild: Bild und Raum wechseln einander ab, die Flächigkeit des Schwarz-Weiß wird durch Überlagerung und Kollision der Bänder räumlich."

Anja Schürmann, Kunsthistorikerin

Station Pempelforter Straße: Heike Klussmann – Surround

Sie stechen durch die Wände und legen sich auf die Decken, sie sind eckig, kantig und spielen mit da und dort, mit hier und jetzt. Der U-Bahnhof Pempelforter Straße von Heike Klussmann ist eine Skulptur mit Skulpturen. Die Künstlerin hat den Bahnhof vermessen und in ein 3-D-Modell mit grafischen Bändern übersetzt. Sie verlegte weiße Streifen über Wände aus Email, Decken aus Aluminium und Böden aus Betonwerkstein. Die Grundfläche ist schwarz. Durch die fünf Bahnhofszugänge fluten weiße Bänder durch die Räume, überlagern und treffen sich. Ein Bahnhof, in dem Boden, Wände und Decken miteinander verwoben scheinen und der eben das aufhebt: da und dort, hier und jetzt.

Station Pempelforter Straße. "Surround" von Heike Klussmann
Station Pempelforter Straße "Surround" von Heike Klussmann © Jan Dimog
Station Pempelforter Straße. Für die Installation hat Heike Klussmann den Bahnhof vermessen ...
Station Pempelforter Straße Für die Installation hat Heike Klussmann den Bahnhof vermessen ... © Jan Dimog
Station Pempelforter Straße. ... und in ein 3-D-Modell übertragen.
Station Pempelforter Straße ... und in ein 3-D-Modell übertragen. © Jan Dimog
Station Pempelforter Straße. Sie hat die Bewegungsrichtung von jedem Zugang aufgenommen ...
Station Pempelforter Straße Sie hat die Bewegungsrichtung von jedem Zugang aufgenommen ... © Jan Dimog
Station Pempelforter Straße. ... und dieses in die Station verlängert.
Station Pempelforter Straße ... und dieses in die Station verlängert. © Jan Dimog
Station Pempelforter Straße. Das Bandgefüge ergibt sich nach den Brechungen mit der Raumgeometrie ...
Station Pempelforter Straße Das Bandgefüge ergibt sich nach den Brechungen mit der Raumgeometrie ... © Jan Dimog
Station Pempelforter Straße. ... und überlagert als invertierte Skulptur die Raumgrenzen des Bahnhofs.
Station Pempelforter Straße ... und überlagert als invertierte Skulptur die Raumgrenzen des Bahnhofs. © Jan Dimog
Station Pempelforter Straße.
Station Pempelforter Straße © Jan Dimog

"Die Kunst dient nicht der Zerstreuung. Sie wendet das Bewusstsein ausgerechnet auf die Reise selbst zurück, auf der es sich befindet. Station für Station".

Gerrit Gohlke, Autor und Kurator
Wehrhahn-Linie. erschienen im Kerber-Verlag Bielefeld Berlin. Unser Buchtipp.
Wehrhahn-Linie erschienen im Kerber-Verlag Bielefeld Berlin. Unser Buchtipp.

Wehrhahn-Linie aus dem Kerber-Verlag

Die Wehrhahn-Linie ist ein von Anfang an gemeinschaftlich von Architekten, Künstlern, Ingenieuren und der Stadtverwaltung entwickelte U-Bahnstrecke im Zentrum von Düsseldorf. Das Projekt wird als neues Modell für kooperatives, ganzheitliches Bauen angesehen. Die inhaltlich und (foto)grafisch hochwertige Publikation beleuchtet detailliert den Hintergrund dieser besonderen und beispielhaften Zusammenarbeit. Unterteilt ist das Buch mit 240 Seiten in die Kapitel "Bau, Kunst, Architektur", "Kontinuum / Tunnel" und "Schnitt / Stationen". Schon der kräftig-fein ziselierte Karton-Umschlag verdeutlicht den Anspruch, den Redaktion und Gestalter an den Inhalt und die Grafik haben. Sie setzen das Ganze mit den Möglichkeiten der Publizistik um: Interviews, Essays, faktenorientierte Berichte im Zusammenspiel mit Architekturfotografie, Zeichnungen und Plänen. Auf diese Art weist das Buch den Weg für künftige und ähnlich geartete Projekte, die sich zu Verkehrskulturplattformen entwickeln können, wenn sich vieles fügt und die Beteiligten das Ziel nicht aus den Augen verlieren.

"Architektur und Kunst können sich untrennbar miteinander verbinden, aufeinander eingehen, sich befruchten, sich gegenseitig heben und den Raumeindruck gemeinschaftlich prägen."

netzwerkarchitekten

Von Jan Dimog Publizist und Gründer, veröffentlicht am .