Zeche Zollern – Zeche Zauberpark
Reportage:Schöner, schmucker, stilvoller als all die anderen. So ähnlich muss der Auftrag der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (GBAG) für den Bau der Zeche Zollern an den Architekten Paul Knobbe gelautet haben. Die GBAG war ein „Big Player“ und mittendrin im Superaufschwung des Ruhrgebiets. In Deutschland herrschte Ende des 19. Jahrhunderts Hochkonjunktur in der Industrie. Allein in den 1890er-Jahren wurden über 70 neue Schachtanlagen im Revier gebaut und jeder konkurrierte mit jedem. Die großen Bergbaugesellschaften lieferten sich einen harten Wettbewerb, den sie auch mittels der Architektur austrugen. Seht her, wir haben die schönste, leistungsstärkste und modernste Musterzeche! Viele der neuen Bergwerke wurden als Gesamtkunstwerk konzipiert. Die GBAG war damals die größte Bergwerksgesellschaft in Deutschland und als solche schuf sie sich mit der Zollern II/IV ein besonderes Bauensemble. Für die Planungen und die Umsetzung engagierte sie den ostpreußischen Architekten Knobbe.
Das Ergebnis: eine herrschaftlich-adelig anmutende Beeindruckungsarchitektur, die eher an einen Märchenpark der Industriebarone erinnert, als an eine Zeche der Maloche, Mühen und des Missbrauchs der Arbeitskraft. Das Prestigeprojekt der GBAG zeugt mit der architektonischen Gestaltung im Stile des Backstein-Historismus und des Jugendstils sowie der damals technisch hochmodernen Ausstattung vom Repräsentationswillen des Bergbaus. Von oben betrachtet formen der Pferdestall (Restaurant und Café), das Haus für die Wechselausstellungen, der Museumsladen, das Magazin, die Lohnhalle, Schwarzkaue, Lampenstube und Schachthalle ein U, in dessen Mitte versetzt die Alte Verwaltung und die Maschinenhalle stehen.
Die Dauer- und Sonderausstellungen zeigen sowohl das Leben und Arbeiten in den Hochphasen des Bergbaus. Eindrücklich waren die schwarzweißen „Ruhrgebietsfotografien 1928–1933“ von Erich Grisar (die bis 8. Oktober 2017 gezeigt wurden). Grundsätzlich ist Authentizität in den Ausstellungen ebenso wichtig wie die fokussierte Darstellung, gut in der Schachthalle zu sehen.
Der Krach muss infernalisch gewesen sein. Die Kälte und Hitze unerträglich. Der Staub im Hals wie eine Schicht Sandpapier. Ich stehe in der Schachthalle mit dem hoch aufragenden Fördergerüst. Die Ausstellung in diesen Räumen über den Lärm, die schlechten Arbeits- und Lichtverhältnisse, die großen Temperaturschwankungen muten inhuman an. Trotzdem haben hier alte Leute, Jugendliche, Männer, Frauen und Zwangsarbeiter geschuftet. Die Förderbänder, Hebel und Seile sehen aus, als könnten sie jederzeit gestartet und bedient werden. Dann könnte man am eigenen Leib erfahren wie extrem und hart die Kohleförderung war und dass Arbeitstage mit über 14 Stunden Normalität war. Übrigens wurden davon nur 8 bezahlt. Auch in den anderen Ausstellungsräumen wie z. B. der Waschkaue ist die Ausstattung der Umkleide- und Waschräume das eigentliche Exponat. Wie beschwerlich und lebensgefährlich die Arbeit war, zeigt sich im Kauenkeller mit den Darstellungen der Grubenunglücke und Explosionen mit 161 Toten. Die brutale Arbeit und ihre risikoreiche Konsequenz stehen im starken Kontrast zur Architektur des Areals, das nach umfassender und behutsamer Sanierung prachtvoll und fein wirkt.
Fast hätte es dieses begehbare Denkmal nicht gegeben. Nach mehreren Kohlekrisen wurde die Zeche 1966 geschlossen, drei Jahre später sollte sie abgerissen werden. Kurz bevor die Bagger mit der Demontage begannen, wurde die Anlage nach vehementem Bürgerengagement unter Schutz gestellt. Als erster Industriebau Deutschlands erhielt die Zeche 1969 Denkmalstatus. Die Rettungsaktion führte zur Schaffung der Landschaftsverbände Westfalen-Lippe (LWL) und Rheinland (LVR) in den 1970ern. Ende der 1990er waren die aufwendigen Restaurierungen abgeschlossen. Die Maschinenhalle folgte ab 2007 und wurde im Herbst 2016 abgeschlossen.
„Endlich!“, so die Angestellten im Museumsladen, denn „die Halle ist schon das Schmuckstück.“
Auch über die guten Besucherzahlen zeigen sie sich erfreut, besonders 2017 sei ein starkes Jahr gewesen. Die Akzeptanz gelinge auch mit verschiedensten Veranstaltungen, seien es Gartenmärkte, Whiskey-Tasting oder Ferienprogramme für Kinder und Jugendliche. Dass die ehrwürdige Maschinenhalle nicht in einem längst vergangenen Zeitalter verhaften bleibt, zeigt auch das Festival „Zither auf Zeche“. Was hat das alpenländische Saiteninstrument mit dem Revier zu tun? Viel, denn das Ruhrgebiet war im 19. Jahrhundert das Ziel vieler Arbeiter aus wirtschaftlich schwachen Regionen Europas, darunter dem Alpenraum. In der Folge entstanden zwischen 1880–1933 ca. 70 Zithervereine. Das Festival zelebrierte diese Tradition und verband sie gekonnt mit heutigen Klängen. In der Maschinenhalle mit seiner großartigen Akustik gab es ätherische Töne mit Elektro verbunden: Zechen-Avantgarde pur. Hätte vielleicht auch den Architekten gefallen, die in ihrem Fachgebiet damals für Fortschrittlichkeit und Stilmischungen standen.
Unsere Recherche in der Zeche Zollern wurde von Ruhr Tourismus GmbH unterstützt.
Zeche Zollern
Eigentümer Landesverband Westfalen-Lippe (LWL) / Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur. Baujahr 1898 / 1902. Architekten Paul Knobbe und Bruno Möhring. Adresse: Grubenweg 5, 44388 Dortmund-Bövinghausen. Tel. 0231 6961-111. E-Mail: zeche-zollern@lwl.org. Öffnungszeiten. Di.–So. und an Feiertagen 10–18 Uhr. Eintritt: 2 Euro für Kinder 6–17 Jahre, Erwachsene 4 Euro.
Paul Knobbe
1867–1957, geboren in Ayssehnen (Ostpreußen, Memelland), gestorben in Essen. Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Berlin von 1887–1890. Danach arbeitete er bei „Kayser und von Großheim“ von Heinrich Kayser (1842–1917) und Karl von Großheim (1841–1911), einem damals bekannten Berliner Architekturbüros mit Entwürfen für z. B. die Königlich Preußische Hochschule für bildende Künste, Bahnhof Berlin-Westend, Villa Thyssen. In Essen arbeitete Knobbe ab Ende der 1890er als freischaffender Architekt. Von 1901–1906 leitete er das „bautechnische Büro“ der Gelsenkirchener Bergbau-AG (GBAG). Mit dem Architekten Carl Nordmann (1849–1922) gründete das Büro „Nordmann und Knobbe“. Während des Ersten Weltkriegs war Knobbe am Wiederaufbau Ostpreußens beteiligt. Knobbe plante und realisierte mehrere Wohnhäuser in Essen, von denen viele nicht mehr erhalten sind. Hinzu kamen Entwürfe für Bürobauten und öffentliche Einrichtungen. Seine wichtigsten Projekte waren Bauten für die Zechen Hansa und Westhausen (beide in Dortmund), das Wohlfahrtsgebäude in der „Alten Kolonie“ der Zechen Minister Stein und Fürst Hardenberg (Dortmund) und das Ensemble der Zeche Zollern II/IV für die GBAG in Dortmund-Bövinghausen.
Bruno Möhring
1863–1929, geboren in Königsberg, Ostpreußen, gestorben in Berlin. Architekt, Stadtplaner, Designer und einer der bedeutendsten Vertreter des Jugendstils in Deutschland. Ein wichtiges Arbeitsgebiet war die architektonische Gestaltung von Eisenkonstruktionen. Er entwickelte sich über die im Historismus übliche Addition von nützlicher Eisenkonstruktion und schmückender Massivbau-Architektur hinaus; er ging dazu über, der vom Ingenieur vorgegebenen Eisenkonstruktion aus ihrer Formgebung entwickelte Zierelemente direkt und im gleichen Material anzufügen, z. B. bei der Swinemünder Brücke in Berlin, die ohne Türme auskam. Weitere Projekte: der Komplex von Wohn- und Geschäftshäusern am Platz der Luftbrücke (Neu-Tempelhof) sowie die expressionistische Kapelle auf dem Evangelischen Gemeindefriedhof in Berlin-Marienfelde, die Villa Lehmann in Brandenburg, die Eiserne Villa (heute das Brecht-Weigel-Haus), mehrere Villen und das Hotel Clauss-Feist in Rheinland-Pfalz. Neben Brücken in NRW zählt die Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV in Dortmund-Bövinghausen von 1903 zu den heute bekanntesten Werken.