Dortmund. Deutschland. Die Musterzeche von Paul Knobbe und Bruno Möhring entstand um 1900 mit einer aufwendigen architektonischen Gestaltung und modernen, technischen Ausstattung. Das Prestigeobjekt der damals größten Bergwerksgesellschaft Deutschlands ist nicht nur ein wichtiges Industriedenkmal der Metropole Ruhr, sondern auch gern genutztes Veranstaltungsgelände. Wir zeigen die heutige Pracht und erinnern an vergangene Qualen in dem schlossartigen Industrieensemble.
Schöner, schmucker, stilvoller als all die anderen. So ähnlich muss der Auftrag der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (GBAG) für den Bau der Zeche Zollern an den Architekten Paul Knobbe gelautet haben. Die GBAG war ein „Big Player“ und mittendrin im Superaufschwung des Ruhrgebiets. In Deutschland herrschte Ende des 19. Jahrhunderts Hochkonjunktur in der Industrie. Allein in den 1890er-Jahren wurden über 70 neue Schachtanlagen im Revier gebaut und jeder konkurrierte mit jedem. Die großen Bergbaugesellschaften lieferten sich einen harten Wettbewerb, den sie auch mittels der Architektur austrugen. Seht her, wir haben die schönste, leistungsstärkste und modernste Musterzeche! Viele der neuen Bergwerke wurden als Gesamtkunstwerk konzipiert. Die GBAG war damals die größte Bergwerksgesellschaft in Deutschland und als solche schuf sie sich mit der Zollern II/IV ein besonderes Bauensemble. Für die Planungen und die Umsetzung engagierte sie den ostpreußischen Architekten Knobbe. Das Ergebnis: eine herrschaftlich-adelig anmutende Beeindruckungsarchitektur, die eher an einen Märchenpark der Industriebarone erinnert, als an eine Zeche der Maloche, Mühen und des Missbrauchs der Arbeitskraft. Das Prestigeprojekt der GBAG zeugt mit der architektonischen Gestaltung im Stile des Backstein-Historismus und des Jugendstils sowie der damals technisch hochmodernen Ausstattung vom Repräsentationswillen des Bergbaus. Von oben betrachtet formen der Pferdestall (Restaurant und Café), das Haus für die Wechselausstellungen, der Museumsladen, das Magazin, die Lohnhalle, Schwarzkaue, Lampenstube und Schachthalle ein U, in dessen Mitte versetzt die Alte Verwaltung und die Maschinenhalle stehen. Die Dauer- und Sonderausstellungen zeigen sowohl das Leben und Arbeiten in den Hochphasen des Bergbaus. Eindrücklich waren die schwarzweißen „Ruhrgebietsfotografien 1928–1933“ von Erich Grisar (die bis 8. Oktober 2017 gezeigt wurden). Grundsätzlich ist Authentizität in den Ausstellungen ebenso wichtig wie die fokussierte Darstellung, gut in der Schachthalle zu sehen.
Der Krach muss infernalisch gewesen sein. Die Kälte und Hitze unerträglich. Der Staub im Hals wie eine Schicht Sandpapier. Ich stehe in der Schachthalle mit dem hoch aufragenden Fördergerüst. Die Ausstellung in diesen Räumen über den Lärm, die schlechten Arbeits- und Lichtverhältnisse, die großen Temperaturschwankungen muten inhuman an. Trotzdem haben hier alte Leute, Jugendliche, Männer, Frauen und Zwangsarbeiter geschuftet. Die Förderbänder, Hebel und Seile sehen aus, als könnten sie jederzeit gestartet und bedient werden. Dann könnte man am eigenen Leib erfahren wie extrem und hart die Kohleförderung war und dass Arbeitstage mit über 14 Stunden Normalität war. Übrigens wurden davon nur 8 bezahlt. Auch in den anderen Ausstellungsräumen wie z. B. der Waschkaue ist die Ausstattung der Umkleide- und Waschräume das eigentliche Exponat. Wie beschwerlich und lebensgefährlich die Arbeit war, zeigt sich im Kauenkeller mit den Darstellungen der Grubenunglücke und Explosionen mit 161 Toten. Die brutale Arbeit und ihre risikoreiche Konsequenz stehen im starken Kontrast zur Architektur des Areals, das nach umfassender und behutsamer Sanierung prachtvoll und fein wirkt. Fast hätte es dieses begehbare Denkmal nicht gegeben. Nach mehreren Kohlekrisen wurde die Zeche 1966 geschlossen, drei Jahre später sollte sie abgerissen werden. Kurz bevor die Bagger mit der Demontage begannen, wurde die Anlage nach vehementem Bürgerengagement unter Schutz gestellt. Als erster Industriebau Deutschlands erhielt die Zeche 1969 Denkmalstatus. Die Rettungsaktion führte zur Schaffung der Landschaftsverbände Westfalen-Lippe (LWL) und Rheinland (LVR) in den 1970ern. Ende der 1990er waren die aufwendigen Restaurierungen abgeschlossen. Die Maschinenhalle folgte ab 2007 und wurde im Herbst 2016 abgeschlossen. „Endlich!“, so die Angestellten im Museumsladen, denn „die Halle ist schon das Schmuckstück.“ Auch über die guten Besucherzahlen zeigen sie sich erfreut, besonders 2017 sei ein starkes Jahr gewesen. Die Akzeptanz gelinge auch mit verschiedensten Veranstaltungen, seien es Gartenmärkte, Whiskey-Tasting oder Ferienprogramme für Kinder und Jugendliche. Dass die ehrwürdige Maschinenhalle nicht in einem längst vergangenen Zeitalter verhaften bleibt, zeigt auch das Festival „Zither auf Zeche“. Was hat das alpenländische Saiteninstrument mit dem Revier zu tun? Viel, denn das Ruhrgebiet war im 19. Jahrhundert das Ziel vieler Arbeiter aus wirtschaftlich schwachen Regionen Europas, darunter dem Alpenraum. In der Folge entstanden zwischen 1880–1933 ca. 70 Zithervereine. Das Festival zelebrierte diese Tradition und verband sie gekonnt mit heutigen Klängen. In der Maschinenhalle mit seiner großartigen Akustik gab es ätherische Töne mit Elektro verbunden: Zechen-Avantgarde pur. Hätte vielleicht auch den Architekten gefallen, die in ihrem Fachgebiet damals für Fortschrittlichkeit und Stilmischungen standen.