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Bauhaus in Krefeld, 1/2 – Klare Kante
Perlen der Provinz: Die Seidenweberei hat in Krefeld eine lange Tradition. Bereits im 18. Jahrhundert förderte der "Alte Fritz", König Friedrich II., das lokale Kunsthandwerk durch Monopole. Die Stadt erblühte zu einem der bedeutendsten Standorte deutscher Textilindustrie. Samt, Seide und Seidenbrokat brachten der Stadt beachtlichen Wohlstand. Kaiser, Könige und der katholische Klerus kauften ihre Kostbarkeiten natürlich in Krefeld. Gewirkt wurde zunächst in Heimarbeit. Einige der typischen Weberhäuser haben die Zeit überdauert und stehen heute unter Denkmalschutz. Im 19. Jahrhundert begann der Niedergang. Vor allem die größeren Familienunternehmen schlossen sich zusammen. Am 8. Juni 1920 entstanden mit den Familien Esters, Lange, Kniffler und Oetker die Vereinigten Seidenwebereien AG (VerSeidAG), die bis heute bestand haben. Ihr Produktangebot reicht von gewebten Materialien für Architektur, über Funktionstextilien für Sicherheits- und Schutzbekleidung bis hin zu Werbe-Displays und LKW-Planen.
In den 1920er-Jahren kam es erneut zu einem kurzeitigen Aufschwung. Seidenprodukte waren wieder gefragt. Der kunstsinnige VerSeidAG-Direktor Hermann Lange war Mitglied des Deutschen Werkbundes und begeistert für das Neue Bauen. 1927 engagierten er und sein Partner Josef Esters den späteren Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe für den Bau ihrer Wohnhäuser. In den 1930er-Jahren entstanden weitere Firmengebäude für die VerSeidAG. Auch ihre Messeauftritte ließen sie von Mies gestalten. Im Rahmen einer Modeausstellung entwarf er zusammen mit seiner damaligen Partnerin, der Ausnahme-Designerin Lilly Reich, das Café "Samt und Seide". Sein stilbildender Entwurf für den Krefelder Golfclub 1931 wurde leider nicht ausgeführt. Der freie Grundriss erinnert stark an den Ausstellungspavillon des Deutschen Reichs auf der Weltausstellung 1929, den weltbekannten Barcelona-Pavillon. Im Rahmen der Kunstaktion Mies 1:1 wurde das Clubhaus 2013 unter der Leitung des belgischen Architekturbüros Robbrecht en Daem als begehbares Architekturmodell im Maßstab 1:1 nach Orignalplänen am ursprünglich vorgesehenen Standort am Krefelder Stadtrand installiert.
Die beiden benachbarten Direktorenvillen in der Krefelder Wilhelmshofallee bilden eines der zentralen Ensembles des Neuen Bauens. Sie gelten als Mittler zwischen Mies' rational, geometrischen Wohnhäuser der Stuttgarter Weißenhofsiedlung und dem fließenden Raumkonzept des Barcelona-Pavillons. Leicht zurückversetzt wirken sie von der Straße aus geschlossen, beinahe unscheinbar. Die zweigeschossigen Häuser konstruierte er aus Mauerwerk und Stahlträgern. Die Fassaden wurden mit dunkelrotem Backstein verkleidet.
Zum Garten hingegen öffnen sich die gestaffelten Kuben mit ihren großen Verglasungen in einer großzügigen Geste nach Süden und Westen. Die kunstvolle Verschmelzung von Architektur und Natur war Mies besonders wichtig. Inwieweit er auch den parkählichen Garten mit weiten Rasenflächen, geraden Wegeführungen und altem Baumbestand mitgestaltete, ist nicht eindeutig belegt, aber sehr wahrscheinlich. Ebenso wie die Baukörper folgen die Villengärten geometrischer Prinzipien und einer ruhigen Formensprache. Ob Stützmauern, Hochbeete oder verschiedenartige Geländeniveaus, alles ist hier klar und kantig, auch die präzisen Fensterausschnitte in den Garten, die Sichtachsen von der Terrasse, die Perspektive auf das zonierte Gelände. Der Raumfluss zwischen innen und außen wird durch die ungeteilten Glasflächen und zarten Fensterrahmen verstärkt. Eine besondere Sensation! Im Haus Lange können mit Stahlrahmen versehene Scheiben, die an Ketten aufgehängt sind, bis auf eine geringe Brüstungshöhe in den Keller gelassen werden.
Auch im Innenraum entwarf Mies zunächst eine fließende Raumfolge. Allerdings wünschten sich die Auftraggeber Lange und Esters zumindest für die privaten Bereiche abgeschlossene Räume mit Türen. Das Interior Design entwickelte er gemeinsam mit Lilly Reich. Sie legten dabei Wert bis ins kleinste Detail. Die Böden und Fensterlaibungen bekleideten sie mit Nussbaum und Eiche. Um die ebenmäßigen Flächenentwicklungen nicht zu stören, sind die Möbel ganz oder teilweise in die Wände integriert. Im Haus Lange ermöglicht eine flexible Holzwand die Trennung zwischen Essbereich und Halle. Die meisten Details sind glücklicherweise noch im Orignal erhalten. Hier sitzt alles vom Lichtschalter, zum Schranknopf bis zur Deckenleuchte.
Krefeld
Bis 1929 auch Crefeld. Eine linksrheinisch gelegene Stadt am Niederrhein nordwestlich der Landeshauptstadt Düsseldorf und südwestlich anschließend an Duisburg und das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen. Die kreisfreie Stadt wird aufgrund der Seidenstoffproduktion des 18. und 19. Jahrhunderts auch als „Samt- und Seidenstadt“ bezeichnet. Krefeld nahm Ende 2015 mit rund 225.000 Einwohnern unter den 29 Großstädten Nordrhein-Westfalens den 14. Platz ein (deutschlandweit: Rang 34). Die Stadt besteht in ihren heutigen Grenzen im Wesentlichen seit 1929, als der damalige Stadtkreis Krefeld (Crefeld) mit der Stadt Uerdingen und anderen Gemeinden zur Stadt Krefeld-Uerdingen vereinigt wurde. 1940 wurde diese in Krefeld umbenannt und 1975 nochmals vergrößert. In der Landesplanung ist Krefeld als Oberzentrum eingestuft. Krefeld gehört zur Metropolregion Rhein-Ruhr, dem größten polyzentrischen Verdichtungsraum Deutschlands (mit Material von Wikipedia).
Haus Lange und Haus Esters
Adresse: Wilhelmshofallee 91-97, D-47800 Krefeld
Ludwig Mies van der Rohe
Geboren 27. März 1886 in Aachen; gestorben am 17. August 1969 in Chicago; eigentlich Maria Ludwig Michael Mies. Ein deutsch-amerikanischer Architekt, der als einer der bedeutendsten Baukünstler der Moderne gilt. Mit den Mitteln der technischen Zivilisation wollte er diese architektonisch ordnen und repräsentieren. Seine Baukunst gilt dem Ausdruck konstruktiver Logik und räumlicher Freiheit in klassischer Form. Dafür entwickelte er moderne Tragstrukturen aus Stahl, die eine hohe Variabilität der Nutzflächen und eine großflächige Verglasung der Fassaden ermöglichten. Dieses Konzept war so rational und universal, dass es auf viele zeitgenössische Architekten einen großen Einfluss ausübte (International Style) und bis heute, den technischen Innovationen entsprechend, immer weiterentwickelt wurde. Das Verhältnis von Proportion, Detail und Material in seinem Werk sowie seine Werke in Berlin hatten ebenfalls große Wirkung. Berühmt wurde er auch als Vertreter des Minimalismus in der Architektur, ausgedrückt durch die Formel „Weniger ist mehr“ (mit Material von Wikipedia).
Lilly Reich
Geboren 16. Juni 1885 in Berlin; gestorben 14. Dezember 1947 in Berlin. Reich war eine deutsche Designerin der Moderne. Sie arbeitete ab 1926 über zehn Jahre eng mit Mies van der Rohe zusammen, unter anderem am Barcelona-Pavillon und der Villa Tugendhat. Der Deutsche Werkbund nahm sie als erste Frau in seinen Vorstand auf. 1932 wurde sie Leiterin der Ausbau-Werkstatt des Bauhauses.
Neues Bauen
Entstand in den 1920er-Jahren als architektonische Richtung der Neuen Sachlichkeit und wurde durch neue Bautechniken wie Eisenbau und Stahlbetonbau geprägt. Die Konstruktion rückte in den Vordergrund, auf dekorative Elemente wurde verzichtet. Der amerikanische Architekt Louis Henry Sullivan postulierte 1890 mit „form follows function“ einen Satz, der zur Grundlage des Neuen Bauens werden sollte. In Europa nutzte Auguste Perret als einer der ersten Architekten die Vorteile der Eisen-Beton-Bauweise im regulären Wohnungsbau. Auch in Deutschland erkannten Architekten die Möglichkeiten, die die neuen Techniken mit sich brachten und entwickelten daraus das Neue Bauen, das sich ab 1907 im Deutschen Werkbund entwickelte und die ideelle Grundlage der Bauhaus-Schule bildete. Fast ein halbes Jahrhundert gestaltete es das europäische Bauen wesentlich mit. Die im Werkbund organisierten Architekten beabsichtigten, dem Maschinenzeitalter entsprechend funktionsgerecht zu Bauen, ohne historisierende Rücksichten nehmen zu müssen und unter Einsatz moderner Materialien. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es in Deutschland zu großen politischen Umwälzungen mit weitreichenden Auswirkungen. Die drängenden sozialen Probleme und das Bedürfnis, massenhaft Wohnraum zur Verfügung stellen zu müssen, veranlasste die Kreativen die funktionalen und gestalterischen Anforderungen mit den sozialen Problemen zu verknüpfen – intensiv zwischen Bruno Taut, Walter Gropius und Hans Scharoun diskutiert. Das Neue Bauen setzte konsequent auf die Materialien Glas, Stahl, Beton und Backstein. Damit ließen sich vor allem einfache Formen und klare Kompositionen realisieren: einfache kubische Formen, ineinandergeschobene Raumvolumen, freistehende Wandscheiben und kühne Auskragungen. Die neue Architektursprache folgte diesen Prinzipien – 1. Soziale Ökonomie: Die Wohnungsnot und der daraus resultierende Massenwohnungsbau zwingen zur Kargheit der Formensprache, Dekorationen und Ornament wurden dabei als Verschwendung angesehen. 2. Konstruktive Ökonomie: Die Reduktion tragender Teile auf einzelne Punkte und Flächen erlaubt ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten - es ergeben sich freiere Formen bei weniger konstruktivem Aufwand. 3. Stilistische Ökonomie: Der formale Rigorismus und die klare asketische Form repräsentieren Allgemeingültigkeit und Objektivität und stellen ein künstlerisches Ziel dar. Wichtige Vertreter des Neuen Bauens waren unter anderem Le Corbusier, Adolf Loos, Walter Gropius, Otto Haesler, Hugo Häring, Erich Mendelsohn, Ludwig Mies van der Rohe, Gerrit Rietveld, Hans Scharoun, Bruno Taut, Max Taut, Ernst May, Mart Stam, Alvar Aalto, Pier Luigi Nervi und Jörn Utzon. Die beiden Planer von Zeche Zollverein, Fritz Schupp und Martin Kremmer, waren bestimmende Persönlichkeiten der von den Prinzipien des Neuen Bauens beeinflussten Industriearchitektur. Ihre beiden Bauten, das Erzbergwerk Rammelsberg in Goslar und Zollverein sind UNESCO Weltkulturerbestätten seit 1992 bzw. 2001.