THE LINK to #urbanana:
Route der Industriekultur 3/3 – Parallelwelt-Panoramen
Schurenbachhalde, Essen
Das Rauschen der A42 verliert sich je höher man kommt. Schließlich: eine lehmartige Morla-Landschaft. Wie die uralte Riesenschildkröte aus dem Roman „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende wölbt sich die elliptische Ebene hoch über die Gegend. Auf dem höchsten Punkt dieser Schildkrötenwelt steht die Bramme, eine Walzstahlplatte mit 70 Tonnen Gewicht, 14,5 Meter Höhe, 4,2 Meter Breite und 13 Zentimeter Dicke. Eine Bramme für eine Brache von einem der wichtigsten Bildhauer unserer Zeit: Richard Serra (geboren 1939 in San Francisco). Die Stahlplatte mit ihren Breitseiten ließ er exakt nach Ost-West ausrichten. Eine Bramme ist ein Block aus gegossenem Stahl, Aluminium oder Kupfer, dessen Breite und Länge ein Vielfaches seiner Dicke beträgt. Ihre rohe und massive Form macht sie zu perfekten Skulpturen. Mit oder ohne Morla.
Tetraeder, Bottrop
Außerirdische Meditationsplattform? Parallelwelt-Architektur? Beides? Diese Landmarke ist fast zweieinhalb Jahrzehnte alt und in Bottrop zur wichtigsten Sehenswürdigkeit und zum Symbol für die Neuerfindung des Ruhrgebiets geworden. Der vom Architekten Wolfgang Christ entworfene Tetraeder ist ein Stahlgerüst in Form einer begehbaren Pyramide und ein Vierflächner, ein Körper mit vier dreieckigen Seitenflächen (griechisch: tetra = vier). Das auf dem Haldengipfel der Zeche Prosper errichtete 210 Tonnen schwere Stahlgerüst ist 50 Meter hoch und steht auf vier Betonsäulen. Offiziell wird der Tetraeder als „Haldenereignis Emscherblick“ betitelt und war bei der Fertigstellung 1994 Teil der Maßnahmen der Internationalen Bauausstellung IBA Emscher Park. Geschwungene Treppen führen auf drei Aussichtsplattformen. Je nach Besucherandrang und Windverhältnissen schwankt es ordentlich. Die surreale Haldenlandschaft besetzt der Tetraeder wie ein Outer-Space-Signal: feingliedrig, ätherisch, alienhaft.
Halde Norddeutschland, Neukirchen-Vluyn
Haldische Parallelwelterfahrung gibt es auch am Niederrhein. Den Panoramen der Industrielandschaften gemeinsam ist der manchmal mühselige, oft langwierige Aufstieg. Ich will euren schweren Atem hören, raunzt die gemeine Halde, blickt zufrieden auf die 359 Stufen der „Himmelstreppe“, die 102 Meter Höhe und lässt die Besucher gewähren. Das Ergebnis ist immer gleich, zumindest gehe ich davon aus. Oben angelangt rast der Puls. Wofür? Für die absolute Entrückung. Und weil der als „Berg der Stille“ von den Landschaftsarchitekten WES + Partner konzipierte Park mit wenigen gezielten Eingriffen zu einer Kunstlandmarke wurde, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Eine der Landmarken ist das als Stahlgerüst errichtete Kunstwerk „Hallenhaus“. Es wurde an exponierter Lage aufgebaut und besteht aus Modulen unterschiedlich geformter Stahlgerüste. Das Stahlskelett ruht auf einem Sockel und ähnelt damit dem Aufbau einer antiken Tempelanlage. WES & Partner haben mit der niederländischen Künstler- und Architektengruppe Observatorium zusammengearbeitet, die sich als Grenzgänger zwischen Architektur, und Kunst verstehen und weltweit Projekte und Landmarken realisiert haben. Halde Norddeutschland ist definitiv eine Grenzerfahrung wert.
Tiger & Turtle – Magic Mountain
An dieser Stelle der Ehinger Straße gibt es einen Discounter, das Hüttenwerk Krupp Mannesmann und Sportwagen der Achtzigerjahre vor Achtzigerjahre-Häuser. Eine gewöhnlich ungewöhnliche Gegend für eine Landmarke, die zu den spektakulärsten im Ruhrgebiet gehört. Die einer Achterbahn nachempfundene Großskulptur auf der Heinrich-Hildbrand-Höhe ist ein Kunstwerk von Heike Mutter und Ulrich Genth, das im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 entwickelt wurde. Es steht auf einer 33 Meter hohen, begrünten Industriehalde. Besucher können Kurven und Treppen der 21 Meter hohen Außenraumskulptur aus verzinktem Stahl bis zum Looping begehen. Ähnlich wie der Tetraeder ist der Zauberberg ein Social Media-Ereignis. Beide kommen auf Instagram, Pinterest, Flickr und anderen Kanälen auf mehrere zehntausend Einträge – alle so unterschiedlich wie die Perspektiven, die das Kurvenwerk bietet. Das Künstlerduo versteht die Treppenachterbahn übrigens eher als Kritik an unserer Konsumgesellschaft und als Kommentar zum Strukturwandel des Ruhrgebiets: ein Tiger, der zur Schildkröte gemacht wird. Oder ist es eher umgekehrt?
Landschaftspark Hoheward, Herten
Hoheward gehört mit 151 Meter Höhe und einer Fläche von 170 Hektar zu den Großhalden. Zusammen mit der Halde Hoppenbruch ist es die größte Haldenlandschaft der Route der Industriekultur. Bestimmende Landmarken sind der 45 Meter hohe stählerne „Horizontobservatorium“ und die Horizontalsonnenuhr mit dem Obelisken. Das Dorstener Büro FL Freese Landschaftsarchitektur plante und betreute im Auftrag des Regionalverbandes Ruhr (RVR) und der Städte Herten und Recklinghausen das Großprojekt (Planungsidee: Agence Ter, Prof. Henri Bava, Paris, Karlsruhe). Dazu gehörten neben den Sonderbauwerken Abstützungen, Wege, Ebenen, Rampen und Treppen. Trotz der langwierigen Auseinandersetzungen um die seit 2009 gesperrte Anlage des Observatoriums aufgrund von Mängeln und Rissen hat sich Hoheward zu einem der beliebtesten Landschaftspark entwickelt. Inklusive der typischen Halden-Gefühle: entrückte Ruhe und weite Blicke. Allerdings waren wir auch an einem Vormittag und werktags da.
Route der Industriekultur
Die industrielle Vergangenheit des Ruhrgebiets reicht bis tief ins 19. Jahrhundert. In den vergangenen 150 Jahren hat das Revier gewaltige Umbrüche erlebt, die vom Wirtschaftsaufschwung über große Zuwanderung bis hin zu Krisen und tiefgreifendem Strukturwandel reicht. Noch heute prägen die architektonischen Zeugen jener Ära das Revier. Die Gasometer, Halden und Fördertürme stehen heute vielfach unter Denkmalschutz und wurden zu Orten für Kunst, Kultur, Freizeit und Tourismus entwickelt. Das regionale Tourismusprojekt „Route der Industriekultur“ ist ein ca. 400 Kilometer langer Rundkurs durchs Ruhrgebiet mit dem Fokus auf das industriekulturelle Erbe der Region. Zum Kernnetz gehören 25 Ankerpunkte mit sechs Museen sowie Panoramen der Industrielandschaft und bedeutende Siedlungen. Projektträger ist der Regionalverband Ruhr (RVR). Das zentrale Besucherzentrum der Route ist auf dem Areal des UNESCO-Welterbes Zollverein in Essen.
Ankerpunkte
sind Erlebnisorte und Meilensteine auf der Route der Industriekultur. In der Metropole Ruhr gibt es 25 Ankerpunkte, die das Kernnetz bilden und die gesamte Bandbreite der Industriekultur veranschaulichen. Ankerpunkte sind das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum (DBM), das UNESCO-Welterbe Zollverein in Essen, der Innenhafen Duisburg und die Zeche Zollern in Dortmund.
Panoramen
sind Aussichtspunkte auf der Route der Industriekultur. Diese industrielle Kulturlandschaft gibt es vielfach auf den künstlichen Hügeln und Bergen des Ruhrgebietes auf den ehemaligen Abraumhalden des Steinkohlebergbaus. Kunstwerke wie „Tiger & Turtle, Richard Serras „Bramme“ und der Tetraeder vom Architekten Wolfgang Christ vereinen Kunst, Architektur und Landschaftsparks und haben aufgrund ihrer exponierten Lage grandiose Ausblicke auf einen der größten Ballungsräume Europas
Schurenbachhalde
Emscherstraße, 45329 Essen-Altenessen
Tetraeder
Beckstraße, 46238 Bottrop-Batenbrock
Halde Norddeutschland
Geldernsche Straße, 47506 Neukirchen-Vluyn
Tiger & Turtle – Magic Mountain
Ehinger Straße, 47249 Duisburg-Angerhausen
Landschaftspark Hoheward
Werner-Heisenberg-Str. 14, 45699 Herten