Bottrop. Duisburg. Essen. Herten. Neukirchen-Vluyn. Deutschland. Werbung. Die Route der Industriekultur ist 400 km lang, hat 25 „Ankerpunkte“, 17 Panoramen der Industrielandschaft und 13 Siedlungen verschiedener Epochen. Nach Teil 1 mit dem UNESCO-Weltkulturerbe Zeche Zollverein und dem zweiten Teil mit Landmarken und Industriedenkmälern geht es im letzten Teil in die Höhe zu den Halden mit ihren spektakulären Konstruktionen.
Das Rauschen der A42 verliert sich je höher man kommt. Schließlich: eine lehmartige Morla-Landschaft. Wie die uralte Riesenschildkröte aus dem Roman „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende wölbt sich die elliptische Ebene hoch über die Gegend. Auf dem höchsten Punkt dieser Schildkrötenwelt steht die Bramme, eine Walzstahlplatte mit 70 Tonnen Gewicht, 14,5 Meter Höhe, 4,2 Meter Breite und 13 Zentimeter Dicke. Eine Bramme für eine Brache von einem der wichtigsten Bildhauer unserer Zeit: Richard Serra (geboren 1939 in San Francisco). Die Stahlplatte mit ihren Breitseiten ließ er exakt nach Ost-West ausrichten. Eine Bramme ist ein Block aus gegossenem Stahl, Aluminium oder Kupfer, dessen Breite und Länge ein Vielfaches seiner Dicke beträgt. Ihre rohe und massive Form macht sie zu perfekten Skulpturen. Mit oder ohne Morla.
Außerirdische Meditationsplattform? Parallelwelt-Architektur? Beides? Diese Landmarke ist fast zweieinhalb Jahrzehnte alt und in Bottrop zur wichtigsten Sehenswürdigkeit und zum Symbol für die Neuerfindung des Ruhrgebiets geworden. Der vom Architekten Wolfgang Christ entworfene Tetraeder ist ein Stahlgerüst in Form einer begehbaren Pyramide und ein Vierflächner, ein Körper mit vier dreieckigen Seitenflächen (griechisch: tetra = vier). Das auf dem Haldengipfel der Zeche Prosper errichtete 210 Tonnen schwere Stahlgerüst ist 50 Meter hoch und steht auf vier Betonsäulen. Offiziell wird der Tetraeder als „Haldenereignis Emscherblick“ betitelt und war bei der Fertigstellung 1994 Teil der Maßnahmen der Internationalen Bauausstellung IBA Emscher Park. Geschwungene Treppen führen auf drei Aussichtsplattformen. Je nach Besucherandrang und Windverhältnissen schwankt es ordentlich. Die surreale Haldenlandschaft besetzt der Tetraeder wie ein Outer-Space-Signal: feingliedrig, ätherisch, alienhaft.
Haldische Parallelwelterfahrung gibt es auch am Niederrhein. Den Panoramen der Industrielandschaften gemeinsam ist der manchmal mühselige, oft langwierige Aufstieg. Ich will euren schweren Atem hören, raunzt die gemeine Halde, blickt zufrieden auf die 359 Stufen der „Himmelstreppe“, die 102 Meter Höhe und lässt die Besucher gewähren. Das Ergebnis ist immer gleich, zumindest gehe ich davon aus. Oben angelangt rast der Puls. Wofür? Für die absolute Entrückung. Und weil der als „Berg der Stille“ von den Landschaftsarchitekten WES + Partner konzipierte Park mit wenigen gezielten Eingriffen zu einer Kunstlandmarke wurde, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Eine der Landmarken ist das als Stahlgerüst errichtete Kunstwerk „Hallenhaus“. Es wurde an exponierter Lage aufgebaut und besteht aus Modulen unterschiedlich geformter Stahlgerüste. Das Stahlskelett ruht auf einem Sockel und ähnelt damit dem Aufbau einer antiken Tempelanlage. WES & Partner haben mit der niederländischen Künstler- und Architektengruppe Observatorium zusammengearbeitet, die sich als Grenzgänger zwischen Architektur, und Kunst verstehen und weltweit Projekte und Landmarken realisiert haben. Halde Norddeutschland ist definitiv eine Grenzerfahrung wert.
An dieser Stelle der Ehinger Straße gibt es einen Discounter, das Hüttenwerk Krupp Mannesmann und Sportwagen der Achtzigerjahre vor Achtzigerjahre-Häuser . Eine gewöhnlich ungewöhnliche Gegend für eine Landmarke, die zu den spektakulärsten im Ruhrgebiet gehört. Die einer Achterbahn nachempfundene Großskulptur auf der Heinrich-Hildbrand-Höhe ist ein Kunstwerk von Heike Mutter und Ulrich Genth, das im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 entwickelt wurde. Es steht auf einer 33 Meter hohen, begrünten Industriehalde. Besucher können Kurven und Treppen der 21 Meter hohen Außenraumskulptur aus verzinktem Stahl bis zum Looping begehen. Ähnlich wie der Tetraeder ist der Zauberberg ein Social Media-Ereignis. Beide kommen auf Instagram, Pinterest, Flickr und anderen Kanälen auf mehrere zehntausend Einträge – alle so unterschiedlich wie die Perspektiven, die das Kurvenwerk bietet. Das Künstlerduo versteht die Treppenachterbahn übrigens eher als Kritik an unserer Konsumgesellschaft und als Kommentar zum Strukturwandel des Ruhrgebiets: ein Tiger, der zur Schildkröte gemacht wird. Oder ist es eher umgekehrt?
Hoheward gehört mit 151 Meter Höhe und einer Fläche von 170 Hektar zu den Großhalden. Zusammen mit der Halde Hoppenbruch ist es die größte Haldenlandschaft der Route der Industriekultur. Bestimmende Landmarken sind der 45 Meter hohe stählerne „Horizontobservatorium“ und die Horizontalsonnenuhr mit dem Obelisken. Das Dorstener Büro FL Freese Landschaftsarchitektur plante und betreute im Auftrag des Regionalverbandes Ruhr (RVR) und der Städte Herten und Recklinghausen das Großprojekt (Planungsidee: Agence Ter, Prof. Henri Bava, Paris, Karlsruhe). Dazu gehörten neben den Sonderbauwerken Abstützungen, Wege, Ebenen, Rampen und Treppen. Trotz der langwierigen Auseinandersetzungen um die seit 2009 gesperrte Anlage des Observatoriums aufgrund von Mängeln und Rissen hat sich Hoheward zu einem der beliebtesten Landschaftspark entwickelt. Inklusive der typischen Halden-Gefühle: entrückte Ruhe und weite Blicke. Allerdings waren wir auch an einem Vormittag und werktags da.