Eurotopians von Johanna Diehl und Niklas Maak: Radikalraum – Architektur in München
München. Deutschland. In dem gelungenen Gemeinschaftsprojekt der Fotokünstlerin Johanna Diehl und des Publizisten Niklas Maak geht es in die utopische Moderne und zu vergessenen Visionen, die viel über unsere Zeit des Umbruchs erzählt.
Zugegeben, THE LINK ist begeisterter Anhänger von Johanna Diehl und ihren atmosphärisch dichten Werken. Bereits 2016 führten wir ein Interview mit ihr über Tiefe, ihren Großvater und eine kleine Pizzeria in Berlin-Kreuzberg. In ihrer Serie „The Ukraine Series“, die damals in der Münchener Pinakothek der Moderne gezeigt wurde, stellt Diehl die Frage nach europäischer Identität, Gedächtnis und einem unbewältigten europäischen Trauma. Verlassene und umgedeutete Orte gehören zu den bestimmenden Themen ihrer Arbeiten. Allerdings geht es ihr immer um mehr als um eine romantisierende Momentaufnahme. Immer gibt es eine zweite und dritte narrative Ebene.
Über Betonkugeln im Wald, aufblasbare Häuser, kreisrunde Grundrisse und Wohnhügelhäuser
In ihrer aktuellen Serie widmet sich Johanna Diehl Architektur-Utopien der 1970er Jahre. Zusammen mit dem Autor Niklas Maak hat sie meist vergessene Orte bereist und mit deren ArchitektInnen gesprochen. Der Bildband „Eurotopians“ erzählt fesselnd und klug von dieser Reise. Dafür kam er auf die Shortlist des „DAM Architectural Book Award 2017". Zu recht. Diehl und Maak stellen in ihren Portraits Fragen nach dem zukünftigen Leben in der Stadt. Sie finden mögliche Antworten bei den Experimentalbauten von acht Utopikern, deren Werke aus den 1960er- und 1970er-Jahre beinahe in Vergessenheit geraten sind. Den Architekten Yona Friedmann, Cini Boeri, Renée Gailhoustet, Dante Bini, Hans Walter Müller, Claude Parent und Anti Lovag ist eines gemein. Sie haben sich den vorkonfektionierten Raumprogrammen und Bauformen entzogen und damit die gängigen Wohnvorstellungen grundsätzlich infrage gestellt. Da gibt es Betonkugeln im Wald, aufblasbare Häuser, kreisrunde Grundrisse und Wohnhügelhäuser lange bevor die Welt über BIG sprach, der dänischen Bauschmiede, die momentan mit eben diesen Ideen für Furore sorgen. Die Französin Renée Gailhoustet entwarf beispielsweise bereits zwischen 1971 und 1986 140 Sozialwohnungen in einer durchgrünten Terrassenstruktur für den Pariser Vorort Ivry-sur-Seine. Vielleicht liegt es auch daran, daß Frauen in der Architektur erst seit wenigen Jahren nicht nur als Partnerinnen wahrgenommen werden. Viele der Häuser sind mittlerweile Ruinen. Ihre fotografische Darstellung bleibt unverstellt, aber gerade im Zusammenspiel der Texte wird deutlich, wie gegenwärtig die Arbeiten sind. Das Buch ist damit auch ein wichtiger Beitrag zur Diskussion um den heutigen Wohnungsbau. Es muß wieder geträumt und experimentiert werden - auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Damit wir nicht die Gegenwart verschlafen.