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Bauhaus in Krefeld, 2/2 – Mehr Mies!
Perlen der Provinz: Der Mies van der Rohe-Effekt stellt sich ein, wenn man durch lichtdurchflutete Büros schreitet und durch große Fenster ins Grüne auf ein stimmiges, hochwertiges Umfeld blickt. Wenn die Arbeit leicht und licht wird und einen die Architektur inspiriert. Wolf-Reinhard Leendertz, Eigentümer und Entwickler des Mies van der Rohe Business Park, ist fest von dieser architektonischen Mies-Wirkung überzeugt. Passend dazu lautet das Motto des Parks: „Bauhaus trifft Business“. Der Betreiber zeigt auf diese Weise, dass das Bauhaus lebendig und aktuell wie eh und je ist. Es steht auch im 21. Jahrhundert und gut 100 Jahre nach der Gründung der legendären Hochschule für Gestaltung für formschöne, fortschrittliche Architektur, Kunst und Designprodukte.
Im Geschäftspark fallen Weite und Achsen, Geometrie und Großzügigkeit auf. Die Wege sind breit. Es gibt helle, lineare Bauten. Akkurate Grünflächen. Das mächtige Kesselhaus. Backstein, weiße Kuben, raumhohe Fenster, die die Fassaden aufzulösen scheinen. Das Areal wurde vor fast 90 Jahren zum ersten Mal als Produktionsstandort genutzt, heute scheint es nichts von seiner Funktionalität, Betriebsamkeit, Ästhetik und Logik verloren zu haben. Paketzusteller, Kuriere und Lieferanten halten vor dem HE-Gebäude, die Parkplätze sind fast durchweg belegt und die klare Struktur macht die Orientierung auf dem Gelände einfach.
Ein wenig mehr Mies-Prise würde heute vielen Gewerbegebieten mit ihrer Baunutzungsverordnungs-Nichtarchitektur gut tun. Stattdessen werden Landschaft und Mensch mit Wischmop-Ästhetik mälträtiert. Hauptsache clean, zweckmäßig und keimfrei. Dass das anders geht, haben Mies und seine Partnerin Lilly Reich in Krefeld gezeigt. Hier gestalteten beide zunächst die Wohnhäuser der Textilfabrikanten Hermann Lange und Josef Esters. Kurz darauf beauftragten ihn die Großunternehmer, die 1920 die Vereinigte Seidenwebereien AG (Verseidag) gegründet hatten, erneut. Der Zusammenschluss mehrerer im Rheinland und in Thüringen ansässiger Textilunternehmen entwickelte sich zum größten Hersteller von Krawattenstoffen und Seide. Für die Verseidag entwarf Mies das HE-Gebäude (Herren-Futterstoffe) und die Färberei. Es sind die einzigen Produktionsbauten, die der Architekt je geplant hat. Er führte den schlichten kubischen Bau mit weißer Putzfassade und regelmäßiger Fenstergliederung aus. Seine Längsseite wird durch die Fallrohre gegliedert. Das Haupttreppenhaus hob er mit der Verkleidung durch Bockhorner Klinker besonders hervor. Die Planung weiterer Gebäude übergab Mies ab 1934 an seinen Schüler Erich Holthoff, der Leiter der Bauabteilung der Verseidag wurde. Bei der Gestaltung von Pförtnerhaus, Warendurchsicht, Schlichterei und Bürogebäude (auf der gegenüberliegenden Straßenseite) setzte der Bauhausschüler und Werksarchitekt die Vorgaben seines Lehrers zu großen Teil um. Zwar wird auf diese Weise die Formensprache des HE-Hauses weitergetragen, trotzdem missfiel Mies z. B. die Umsetzung des „Uhrenturm“, der ihm nicht stimmig genug war.
Weniger kritikwürdig ist nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg die heutige Wiederbelebung des Verseidag-Geländes. Zuvor waren Teile des Geländes verfallen und auch das HE-Gebäude wurde erst in den 1970er-Jahren als Bürogebäude genutzt. Investor Leendertz dazu: „Der Anblick, der sich mir damals bot, war niederschmetternd: Der Boden und die Fenster waren zerbrochen, die Dächer waren kaputt, und überall saßen Tauben, während alte Ventilatoren im Wind quietschten. Es war ein Bild der Verwüstung.“
Ein Bild, das auch Harald Krage vom Vertrieb und Marketing des Parks bei unserem gemeinsamen Rundgang über das Gelände mit dem Wort „Horror“ bestätigt. Gleichzeitig war schnell klar, „dass das Areal ein echter Schatz ist“, so Krage. Vor der Hebung desselben gab es viel Arbeit. So war das Mies-Raumkonzept des HE-Gebäudes mit den offenen Grundrissen durch Einbauten verschwunden und entstellt. 1999 wurde es unter Denkmalschutz gestellt, womit Mittel frei wurden, um einen Rückbau in den Originalzustand anzugehen. Der Krefelder Architekt Karl-Heinrich Eick stellte zusammen mit den Innenarchitekten von raumkontor aus Düsseldorf die „freie Raumordnung“ wieder her, danach folgte die Sanierung der Fassade des Uhrenturms. Für die Umnutzung, Sanierung und Revitalisierung der anderen historischen Gebäude ist der Architekt Georg von Houwald (Krefeld) verantwortlich. Die Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. In der Shedhalle war die Färberei untergebracht. Licht kommt durch die Glasbänder hinein. Ein flacher, feiner Bau. Hier unterstreicht Harald Krage den Wert der denkmalgerechten Sanierung. Auch die Halle soll nach der berühmten Bauhausphilosphie „Weniger ist mehr“ gestaltet werden. Schräg gegenüber soll das Kesselhaus als multifunktionales Eventquartier umgebaut werden. Vorbilder sind das Gasometer in Oberhausen und das Welterbe Zeche Zollverein in Essen. Renommierte Büros wie Staab Architekten und gmp haben Entwürfe eingereicht. Der Plan des Architekten Heinrich Böll ist als Sieger deklariert worden. „Der großartige Raum wird denkmalgerecht weitergedacht“, so die Bewertung. Mehr Mies für das 21. Jahrhundert in der architektonischen Textilstadt Krefeld geht nicht.
Mies van der Rohe Business Park
Adresse: Girmesgath 5, 47803 Krefeld. Architekt HE-Gebäude: Ludwig Mies van der Rohe. Architekt Umbau: Karl-Heinrich Eick, Krefeld. Projektbeteiligte (Innenarchitektur): raumkontor, Düsseldorf. Fertigstellung: 2003. Gesamtfläche: 110.000 Quadratmeter. Zu den Mietern gehören Unternehmen wie VBG Group (Ringfeder), AOE (Softwareentwicklung), Deb-Stoko („Stokolan“) und Krahnen & Gobbers (technische Textilbänder). Interface, der Hersteller modularer Bodenbeläge, ist in das als Pförtnerhaus geplante Gebäude am Eingang eingezogen. Im hinteren Teil stehen Backsteinbauten, in die weitere Betriebe, Handwerker und Künstler einziehen sollen.
Vereinigte Seidenwebereien AG (VerSeidAG)
Die Verseidag wurde 1920 von den Krefelder Textilfabrikanten Hermann Lange und Josef Esters gegründet. Von Mies van der Rohe stammen das HE-Gebäude (1931) und die Färberei. Es sind die einzigen Produktionsgebäude, die er je errichtet hat. Verseidag steht heute für hochwertige, beschichtete „technische Textilien“. Die Produkte finden sich in anspruchsvollen Anwendungen, z. B. textile Architektur, Großzelte, großformatiger Digitaldruck, Biogas, schusssichere Westen und weitere Industrielösungen.
Wolf-Reinhard Leendertz
Geboren 1962. Studium der Betriebswissenschaften, 1993 trat er ins Familienunternehmen Krahnen & Gobbers GmbH (Krago) ein die seit fünf Generationen in Familienbesitz ist. Leendertz ist geschäfsführender Gesellschafter der Krago. 1854 gründeten Conrad Krahnen und Wilhelm Gobbers sie als Seidenweberei. Heute bietet Krago eine große Auswahl von Klettverschluss-Systemen für die verarbeitende Industrie und den Handel. Seit 2011 ist Leendertz auch alleiniger Geschäftsführer der Grundstücks-Verwaltungsgesellschaft Girmesgath GmbH, die auf dem Verseidag-Gelände den Mies van der Rohe Business Park betreibt.