Die Ostmoderne in der zweitgrößten Stadt Sloweniens – Comeback-City
Auf Reisen / Reportage:Die Altstadt
Dass Maribor harte Zeiten hinter sich hat, ist auf den ersten Blick nicht offensichtlich. Augenfällig ist die schöne Lage am Fluss Drau (slowenisch „Drava“), der die Stadt in zwei Hälften teilt und an dieser Stelle einen kleinen, sanften Bogen beschreibt. Von der stählernen Brücke Stari most (Fertigstellung 1913, Architekt Eugen Fassbender) und hoch über dem Fluss wirkt Maribor klar strukturiert und sehr kompakt. Tatsächlich sind die wichtigsten Punkte und Sehenswürdigkeiten fußläufig zu erreichen. Das Zentrum ist von mehrspurigen Zubringern umschlossen, Großbauten und Prestigeprojekte flankieren die dicht bebaute Altstadt. Der breite Fluss spielt nur bedingt eine Rolle für das Stadtbild, im Gegensatz z. B. zum Fluss Ljubljanica in der Hauptstadt, der, obwohl ungleich kleiner und schmaler, im Zentrum präsenter ist und Ljubljana dadurch ein heiter-mediterranes Flair gibt.
Leerstände, Lücken und ein paar windumtoste Ecken im und am Zentrum zeugen von den schwierigen Jahren für Maribor. Wenige Jahre nachdem sich Slowenien von Jugoslawien gelöst und die unabhängige Republik erklärt hatte, verloren hier ab Mitte der 1990er-Jahre viele Menschen ihre Arbeit. Im Schnitt gingen weit über drei Prozent der Menschen pro Jahr weg. Der einst bedeutende Industrieplatz – u. a. Lkws und Busse der Traditionsmarke Tovarna Automobilov in Motorjev (TAM) wurden hier gefertigt – verlor an Bedeutung, viele Betriebe gingen pleite. Während also Sloweniens zweitgrößte Stadt mit sich und der neuen Zeit rang, verwandelte sich die Hauptstadt in eine europäische It-City: Ljubljana war angesagt, jung, schön. Investoren und Touristen kamen scharenweise. Ljubljana boomte, Maribor wurde abgehängt.
Im neuen Jahrtausend erholte sich Maribor langsam und stetig. Das nahe Österreich erwies sich für das neue EU-Land Slowenien und damit auch für Maribor als Gewinn, das nur eine Autofahrtstunde entfernte Graz wurde zur wirtschaftlichen und kulturellen Partnerstadt. 2000 war Maribor Alpenstadt des Jahres, 2012 Kulturhauptstadt Europas. Das Comeback war gelungen. Die neue Zeit zeigt sich auch im Stadtbild: der mittelalterliche Kern ist saniert und die Fassaden der Altstadt mit Elementen der Gotik, Renaissance und des Barock wiederhergestellt. Hinzu kommen Bauten ab 1900, die stellvertretend für Maribors und damit auch für Sloweniens Geschichte stehen: angefangen von Projekten der Moderne z. B. von den Plečnik-Schülern Saša Dev und Jaroslav Černigoj über die sozialistische Architektur der Ära Jugoslawiens bis hin zur Postmoderne und zur neuen slowenischen Architektur ab 2000.
Beim Rundgang im Zentrum zeigt sich, dass das Kompakte teils wie eine Attrappe wirkt. Der Kern scheint sich an mehreren Stellen aufzulösen. Die Stadt sieht plötzlich zerfasert, nicht zusammenhängend und wie Stückwerk aus. Dann wieder: neue und alte Perlen, wuchtige Brutalismus-Kolosse wie Jemčev Garten von Borut Pečenko und prachtvoll restaurierte Patrizierhäuser am Platz Glavni trg. Maribor – die Miniaturstadt der slowenischen Architekturgeschichte. Und der Beweis, dass die Baukunst noch viel zu erzählen hat. Einiges zeigen wir in unseren Bilderrundgang. Übrigens, die Umgebung von Maribor ist reich an mittelalterlichen Bilderbuchplätzen wie z. B. Ptuj. Aber das ist eine andere (slowenische) Geschichte.
Die (sozialistische) Moderne
Das Maribor-Feature entstand im Rahmen unserer redaktionell unabhängigen Recherchereise und für die Arbeiten zu unserem Architekturführer Slowenien, erhältlich im Buchhandel seit 2018 (erschienen bei DOM publishers). Das slowenische Fremdenverkehrsamt hat uns bei der Recherche unterstützt.
Maribor
Mit über 110.000 Einwohnern (Stand 2016) die zweitgrößte Stadt Sloweniens. Das nahe Pohorje-Gebirge, Weinberge und der Fluss Drau (slowenisch: Drava) sind für den Ort, der erstmals im 13. Jahrhundert als Stadt genannt wird, ebenso prägend wie eine behutsame Modernisierung. 2000 war Maribor die Alpenstadt des Jahres, 2012 Kulturhauptstadt Europas. Eine der ältesten Synagogen Europas aus dem frühen 15. Jahrhundert befindet sich am Ufer der Drau. Bemerkenswerte Bauten des 20. Jahrhunderts innerhalb und außerhalb des Zentrums stehen repräsentativ für die Geschichte der Stadt und der Region der vergangenen 100 Jahre. Saša Dev und Jaroslav Černigoj stehen für diese Bauhistorie und gelten als Pioniere der modernen Architektur Maribors. Beide studierten bei Jože Plečnik in Ljubljana. Graz ist ca. 60 km entfernt, die slowenische Hauptstadt knapp 130 km.