Kulturfabrik Tabakalera – Kunstvolles Bauen im Bestand
Auf Reisen / Reportage:Die baskische Stadt Donostia / San Sebastián am Golf von Biskaya entwickelte sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem mondänen Seebad für Europas Adel und Großbürgertum. In unserer Zeit stieg sie zum beliebtesten Ferienort an der Küste Nordspaniens und zu einem Wallfahrtsort für Freunde kulinarischer Genüsse auf. Bis vor wenigen Jahren war Donostia aber auch die Stadt Spaniens, die am stärksten unter dem Terror der ETA litt. Mit der Wahl zur Kulturhauptstadt Europas 2016 sahen Behörden und Bürger eine neue Chance, den Blick nach vorne zu richten. Dafür haben sie einen zentralen Schauplatz eingerichtet, der inzwischen mit einem reichen Angebot aufwartet: das Centro Internacional de Cultura Contemporánea in der Tabakalera, einer umgebauten Tabakfabrik.
Vor gut hundert Jahren, als das Rauchen noch unschuldig war, nahm Spaniens staatliches Tabakmonopol seine größte Fabrik für die Fertigung von Zigarren und Zigaretten in San Sebastián in Betrieb. Baumeister war der Ingenieur Mauro Serret, die Bauzeit betrug ein Vierteljahrhundert. Das schlammige Gelände am Fluss Urumea verlangte in den Kellern ein aufwändiges hydraulisches Mauerwerk. Um fünf Innenhöfe angeordnet, nahm das mächtige Gebäude eine Fläche von 113 mal 75 Metern ein. Der Mitteltrakt mit dem Haupteingang und einem großzügigen Treppenhaus ging über vier Geschosse, eines mehr als im übrigen Bau. Reich gegliederte Fassaden mit Kalksteinquadern vom nahen Küstenort Mutriku gaben der Fabrik ein palastartiges Aussehen. Bis zu tausend Menschen, meist Frauen, fanden hier neunzig Jahre lang Arbeit.
Nach der Privatisierung des Tabakmonopols stellten die neuen Eigner 2003 die Produktion ein. Stadt, Provinz und die baskische Regierung brachten die herunter gewirtschaftete Anlage wieder in öffentlichen Besitz und schrieben 2008 einen internationalen Wettbewerb zur Revitalisierung als Kulturzentrum aus. Ihn gewannen Jon Montero Madariaga und seine Tochter Naira Montero Viar, Architekten und Stadtplaner aus Barcelona. Ihr Entwurf überzeugte die Jury vor allem durch den neuen Zugang zur Stadt, einen markanten Quader über der Mittelachse, den Respekt im Umgang mit dem Bestand und die Nachhaltigkeit bei der Planung der meist vielfältig nutzbaren Räume. Vier Jahre dauerte der Umbau, dann konnte rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr eine Grundfläche von 37.000 Quadratmetern bespielt werden.
Tabaklera
Centro Internacional de Cultura Contemporánea, Andre zigarrogileak plaza, 1, 20012. Donostia / San Sebastián. Öffnungszeiten: in der Regel von 9 bis 21 Uhr.
Die Architekten
Jon Montero Madariaga arbeitet mit seinem Studio in Barcelona als Architekt und Stadtplaner. Er hat Hotels, Schulen und Apartmenthäuser errichtet und war mit dem Paseo Maritimo, der vier Kilometer langen Seepromenade vor dem Viertel Barceloneta, am Ausbau Barcelonas zur Olympiastadt 1992 beteiligt. Seine Tochter Naiara Montero Viar war nach dem Studium bis 2005 bei Nicholas Grimshaw in London beschäftigt und ist mit ihrem Büro in A Coruña auch als Innenarchitektin tätig.