ZKM, Städtische Galerie Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, HfG – Horizonten im Hallenbau
Reportage:Raum und Richtung: der Kosmos der Kunst
Der Blick geht nach oben, in die Weite, suchend. Schon von außen sind die Dimensionen des Hallenbaus A beeindruckend, doch erst wenn einen das Gebäude in Empfang genommen hat, werden im Inneren Ausmaß und Ausdehnung erfassbar. Der Maßstab sind die anderen Gäste, die klein wirken angesichts der Monumentalität. Imposant und außergewöhnlich ist auch die Reise in die Jahrhunderte und in die Jetztzeit, in den kulturellen Superkosmos, den Besuchende hier erfahren können. Wer sich in diese Räume begibt, wird Rembrandt und die anderen alten Meister kennenlernen, in die Video-Universen von Ulrike Rosenbach und in die Renaissance 3.0 eintauchen, die Vielfalt der Spiele-Industrie erleben und Fotografien, Installationen und Grafiken sehen, die Stellung zu uns und unserer heutigen Zeit beziehen – der Kosmos der Künste wird einen beschäftigen und berühren, verwirren, inspirieren und herausfordern. Eine Ermüdung kann ob der schieren Kunst-Menge einsetzen. Aber dafür gibt es Plätze der Kontemplation und das Café Mint im Foyer des ZKM mit der vegetarisch-veganen Küche sorgt dann für die Stärkung.
Die vier Institutionen im denkmalgeschützten Industriebau formen einen der wichtigsten Hubs für Kreativität, Kunst und Medienkunst Deutschlands. 2019 wurde Karlsruhe von der UNESCO als erste und bislang einzige Stadt des Landes mit dem Titel „Creative City of Media Arts“ ausgezeichnet. Alle Orte dieses internationalen Netzwerkes sind den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung verpflichtet. Der besondere Rang von Kreativität und Kultur beim Aufbau nachhaltiger Stadtgesellschaften wird in diesem Verbund herausgestellt. Dass die vier Einrichtungen in dem Industriegebäude eingezogen sind, zeugt von eben dieser Nachhaltigkeit, von der Weitsicht der damaligen und heutigen Entscheidungsträger, aber auch von der Qualität des mächtigen Baus, das einst für Militarismus und Nationalismus stand.
Geschichte und Gegenwart: Die Verwandlung der Biltzarchitektur
Von der Rüstungsfabrik zum Industriewerk bis hin zur Brache und zum Platz von Künstlerkollektiven: der Hallenbau A spiegelt nicht nur die deutsche Geschichte der vergangenen 100 Jahre, es ist auch ein elementares Stück der Karlsruher Historie.
„Die frühen Industriebauten sind zum Adel orientiert, zu Schlössern und Burgen. Die Industriearchitektur wurde verhüllt“, so erklärt Prof. Dr. Chris Gerbing das Äußere bei der Führung zur Architektur des Gebäudes. Dass der Bau bei der Fertigstellung vor 100 Jahren wegweisend war, lag auch an der Nähe zum Nachbarland, so Gerbing. Der viergeschossige Bau mit den gewaltigen Abmessungen und insgesamt 16.500 qm Grundfläche wurde als Stahlbetonskelettbau nach dem Konstruktionssystem des französischen Ingenieurs François Hénnebique erbaut. Die durchgehend offene, auf einem weiten Pfeilerraster ruhende Struktur ist in zehn Lichthöfe gegliedert, die Fassade wird durch große Fensterflächen strukturiert.
Der Industriearchitekt und Baurat Philipp Jakob Manz (1861–1936) realisierte das Projekt innerhalb kürzester Zeit. Sein Markenzeichen – die zügige Umsetzung von Bauvorhaben bei durchdacht-detaillierter Funktionalität – führte zum Beinamen „Blitzarchitekt“. Vielseitigkeit, Offenheit und Flexibilität spielen in Manz’ Baukunst ebenso eine Rolle wie funktionelles Bauen und machten ihn zum Wegbereiter der Moderne in der Industriearchitektur. In seinen Büros in Stuttgart und Wien beschäftigte er bis zu 100 Architekten, die jährlich fast ebenso viele Gebäude entwarfen: in Österreich-Ungarn, Tschechien, Polen, Frankreich und insbesondere im Südwesten Deutschlands. Heute wird das Werk von Manz als beispielhafte Baukunst jener Epoche gewürdigt. Bestehende Manz-Gebäude werden erhalten und als Kulturzentren und Museen umgewidmet. Eine der bekanntesten Transformationen ist die ehemalige Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG (DWM) bzw. die Industrie-Werke Karlsruhe-Augsburg (IWKA) mit dem heutigen Hallenbau A.
Drei Museen, eine Hochschule, eine Halle
„Transformationsprozess und Kontextwechsel“: so beschreibt die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe ihr Gastspiel im Hallenbau A. Auf Einladung des ZKM zeigt die Kunsthalle seit April 2023 Teile ihrer Sammlung in einer speziell für den Hallenbau entwickelten Neukonzeption. Mit „KunsthalleKarlsruhe@ZKM – Ein neuer Blick auf die Sammlung“ werden auf 2.000 Quadratmeter Bilder und Plastiken vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart präsentiert. Zusammen mit dem Architekturbüro Merz + Merz konzipierte die Kunsthalle eine Kunstreise zu den Hauptwerken von Albrecht Dürer, Rembrandt und Peter Paul Rubens, von Paul Cézanne, Max Beckmann und René Magritte, von Gerhard Richter und Pia Fries. Der neue Blick ist mit Ausschnitten aus den zwei hochrangigen Sammlungen Röchling und Stiegler erweitert und wirkt in der konzentrierten, beinah Salon-artigen Inszenierung und mit der gelungenen Lichtführung intim und intensiv zugleich.
Die Klammer zu dieser Reise bilden die Audiotour von Karin Sander und die Videoprojektion „Vier Flügel, zehn Galerien, ein Hof“ von Anna Henckel-Donnersmarck. Zugleich schaffen die Medienkunstwerke der beiden zeitgenössischen Künstlerinnen den Übergang zum „elektronischen Bauhaus“, wie es ZKM-Gründungsdirektor Heinrich Klotz bei der Eröffnung des Zentrum für Kunst und Medien formulierte.
Das ZKM zählt mit seinen 4.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zu den weltweit renommiertesten Institutionen für raum- und zeitbasierte Künste. Sechs von zehn Lichthöfen bespielt das ZKM des Hallenbaus A, ein Haus aller Medien und Gattungen mit dem Ziel die klassischen Künste ins digitale Zeitalter fortzuschreiben. Nachdem die Umsetzung eines Neubaus für das „e-Bauhaus“ gescheitert war, wurde der Hallenbau der IWKA als Standortalternative umgebaut.
„Bei der Umgestaltung spielten Künstlerkollektive eine wichtige Rolle“, so Baukulturexpertin und Dozentin Gerbing. Nachdem die IWKA den Produktionsstandort in den 1970er-Jahren aufgegeben hatte, verfiel das Werksgelände. In den 1980er-Jahren besetzten Künstlergruppen Teile des Gebäudes und nutzten es erstmals als Kulturplatz
„Das darf man sich nicht so wild-romantisch vorstellen“, erläutert Gerbing. Denn die „Gewächshausarchitektur führte dazu, dass es in den jeweiligen Jahreszeiten entsprechend sehr kalt oder sehr warm wurde.“
Der Beschluss des Gemeinderats Karlsruhe, die Industrieruine zur neuen Heimat des neugegründeten ZKM und der Städtischen Galerie Karlsruhe zusammen mit der Hochschule für Gestaltung (HfG) zu machen, war die Rettung. Denn die Brache war damals trotz des Denkmalschutzes vom Abriss bedroht. Das Architekturbüro Schweger + Partner konzipierte und realisierte den bis heute funktionellen und ästhetisch ansprechenden Umbau. Der Spatenstich erfolgte 1993, das Richtfest 1995. Im ZKM wurden die Institute für Bildmedien und für Musik und Akustik sowie das Medienmuseum und das Museum für Gegenwartskunst zusammengeführt und bei der Eröffnung 1997 in einem großen Festakt vorgestellt. Zeitgleich siedelte die Städtische Galerie Karlsruhe in den Kunstkomplex über.
Im zweiten Bauabschnitt wurden die Räume der „Hochschule für Gestaltung Karlsruhe“ fertiggestellt. Nachdem der Gründungsdirektor Heinrich Klotz 1999 gestorben war, übernahm Peter Weibel die Leitung, die dieser bis zu seinem Tod im Frühjahr 2023 innehatte. Somit kam es nach fast einem Vierteljahrhundert zum Wechsel der wissenschaftlich-künstlerischen Führung des ZKM. Der Brite Alistair Hudson leitet seit 1.4.2023 das ZKM und verfolgt das Konzept des „nützlichen Museums“. Er interpretiert Kunst- und Kulturinstitutionen als Orte für gesellschaftliche Verantwortung und Veränderung. Künstlerische und kuratorische Arbeit ist für ihn auch soziale Praxis.
Kunst, Kultur, Kosmos: die Wiedereröffnung der Städtischen Galerie Karlsruhe
Auch Stefanie Patruno, die Leiterin der Städtischen Galerie Karlsruhe (SGK), versteht ihre Arbeit als Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und verknüpft dies mit der Historie des Hallenbaus. „Wie verhält sich die Kunst zur Geschichte dieses geschichtsträchtigen Ortes und welche Position nimmt sie zur Gegenwart ein?“, so Patruno im Gespräch. Bei der anschließenden Baustellenbegehung einige Wochen vor der offiziellen Wiederöffnung des SGK berichtet sie von den Herausforderungen des mehrmonatigen Umbaus in Zusammenarbeit mit Schroeder Rauch, dem Büro für Ausstellungsarchitektur aus Berlin. Herausgekommen sind Räume, die sich aufeinander beziehen sowie Transparenz und Offenheit mit Farben, Wänden und den Werken der Künstlerinnen und Künstler.
„Wir wollen Dialoge zwischen Gegenwart und Vergangenheit schaffen, wir machen die Räume auf und spiegeln sie. „Jede der vier Institutionen im Hallenbau hat ihre Ausrichtung. Das SGK will die Gegenwart verstärkt in den Fokus stellen. Ich mag es, dass die Verschiedenheit der Institutionen auch verschiedene Besucherinnen und Besucher anspricht.“
Da ist sie wieder, die Kulturreise zum großen Kunst-Kosmos des Hallenbau A.