Interview mit Frederik Fischer – Eine neue Wir-Kultur schaffen!
Interview:Über Neulandia und Summer of Pioneers, KoDörfer und KoCampus
Neulandia konzipiert und setzt neue Formen des gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens um. Denn der Wandel der Arbeitswelt sowie die Sehnsucht vieler Großstädter nach höherer Lebensqualität und größerer Selbstwirksamkeit treiben einen Wandel an, den wir ko-kreativ gestalten. Die Projekte KoDörfer, Summer of Pioneers und der KoCampus bringen Kreative mit innovativen Kommunen zusammen und transformieren diese Gemeinden so zu echten Zukunftsorten. Im Zentrum steht für das Team um Gründer und Social Impact-Unternehmer Frederik Fischer dabei immer die 2G-Regel: Gemeinschaft und Gemeinwohl.
Bitte erzähl uns was zu deiner Ausbildung und deinem Werdegang.
Ich komme aus der Verwaltung und habe mehrere Jahre als Beamter in einer Kleinstadt gearbeitet. Danach habe ich das Studium der Journalistik in Hannover begonnen, ein Volontariat bei einer Fernsehproduktionsfirma gemacht und mich anschließend in meiner journalistischen Arbeit auf Technologiethemen fokussiert. Die Gründung des Tech-Startup tame.it 2011 entwickelte sich so gut, so dass wir Partner von Twitter wurden und es uns direkt ins Silicon Valley führte. Unser Büro war im Twitter Hochhaus, mitten in San Francisco. Dort wohnen tausende Menschen auf der Straße unter erbärmlichsten Zuständen. Es hat mir das Herz zerrissen, dieses Nebeneinander aus enormen Reichtum und bitterster Armut. Während der Zeit in San Francisco begann bei mir dann auch ein Umdenken. Soziale Innovation erscheint mir seitdem viel relevanter als technologische Innovation und wenn man sich mit Obdachlosigkeit befasst, ist man schnell bei Stadtentwicklung und Architektur.
Wie ging es weiter und warum ist Brandenburg hierbei wichtig gewesen?
2013 sind wir zurück nach Berlin gegangen. In der Zeit bin ich mit meiner Frau oft mit dem Fahrrad am Wochenende in Brandenburg unterwegs gewesen. Einfach mal wegkommen vom Computer. Das was in Berlin fast komplett verschwunden war, habe ich in Brandenburg wiederentdeckt: diese Leerstände und die möglichen Zwischennutzungen. Ich habe mir vorgestellt, was man alles aus den tollen Leerständen machen könnte. Gleichzeitig war schnell klar, dass wir weder in ein Einfamilienhaus ziehen wollen, noch dass wir uns ein baufälligen Gutshof zumuten wollen. Seelenlose Neubauten waren für uns auch keine Option.
2016 habe ich dann angefangen eine Veranstaltungsreihe zu organisieren. Da ging es um die Frage „Wer hat Lust auf ein anderes Leben in Brandenburg und wie könnte das aussehen?“ Dabei hat sich herauskristallisiert, dass viele Leute nur aus zwei Gründen in Berlin bleiben. Einmal wegen der Arbeit und zum anderen wegen der Angst vor sozialer Isolation. Gerade letzteres ist der rote Faden, daher sind alles, was wir machen Gemeinschaftsprojekte.
Was auch spannend war, sind die Umfragen und Studien. Nur ein relativ kleiner Anteil der Menschen gibt an, dass sie unbedingt mitten im Trubel einer Großstadt leben wollen. Die Allermeisten wollen in Dörfern, Kleinstädten oder am Stadtrand wohnen. Unglaublich viele Menschen wollen also ein anderes Leben und wohnen nur notgedrungen in der Großstadt.
Wen wolltet ihr ansprechen und warum?
Mir ging es darum Angebote zu schaffen. Lass uns als Gruppe diesen Neuanfang im ländlichen Raum zu einem positiv besetzen, freudvollen Ereignis machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir durch soziales Design unglaublich viel gestalten können. Das Einfamilienhaus spricht Menschen an, die ihr Glück hinter der Hecke suchen. Aber es ist auch klar: das lädt nicht zur Integration ein.
Wir versuchen Menschen anzusprechen, die Lust auf Integration und auf eine aktive gemeinschaftliche Stadtentwicklung haben. Die eine Willkommenskultur maßgeblich mitgestalten wollen.
Nach der Gründung von Neulandia und den KoDörfern habt ihr den KoCampus entwickelt. Warum gibt es den und was willst du mit dem KoCampus erreichen?
Der KoCampus ist die Übertragung unserer Erfahrungen, die wir mit dem Summer of Pioneers gemacht haben, auf eine neue Zielgruppe: die Studierenden. Diese haben es heutzutage mit enormen Problemen zu tun. Die Wohnungssuche in Großstädten ist die Hölle! Die Lebenshaltungskosten explodieren. Wie in den USA wird es immer üblicher, dass Studierende Kredite aufnehmen müssen. Mit dem KoCampus lösen wir das Problem der Studierenden, die gerade unter diesen enormen Wohnkosten ächzen. Wir lösen das Problem der Kommunen, die momentan zusehen müssen wie die jungen Menschen für eine gute Ausbildung fast gezwungen werden wegzuziehen. Und wir lösen ein ökologisches Problem, weil wir für den KoCampus die graue Energie eines leerstehenden Plattenbaus nutzen. Möglich werden Ansätze wir der KoCampus auch durch die Veränderungen in der Arbeitswelt. Die Studierenden müssen nicht mehr täglich in den Hörsaal, sie können einen großen Teil ihres Studiums nun ortsunabhängig absolvieren.
Wie macht ihr das konkret?
Ich zeige das am besten am Beispiel in Herzberg in der Lausitz. Dort haben wir uns einen leerstehenden Plattenbau vorgenommen, den wir in ein Studentenwohnheim verwandeln. Meine große Vision ist das, was Lacaton & Vassal in Frankreich hinbekommen haben. Die haben den Pritzker-Preis dafür erhalten, dass sie bei Ausschreibungen in den sozialen Brennpunkten erfolgreich waren, weil sie am günstigsten waren. Nicht günstig, weil sie an allem gespart haben, sondern weil sie unglaublich klug an die Planungen gegangen sind. Die haben den Gebäudekern unangetastet gelassen und eine „zweite Haut“ darüber gezogen. Die optische Aufwertung hat diese in Verruf geratenen Sozialbauten nicht nur vom Image verändert, sondern auch die Lebensqualität erhöht. Durch diese zweite Haut hat man neuen Wohnraum geschaffen und die Leute haben einen riesigen Balkon erhalten. Diese Gebäude werden plötzlich zu Sehnsuchtsorten und durch die neue, alte Architektur signalisieren sie einen Aufbruch. Darauf möchte ich in Deutschland zusteuern: in kleinen Schritten dahin zukommen, dass das, was heute gering geschätzt wird, durch smarte Architektur und Umnutzung in Impulsorte verwandeln und damit Aufbruchsstimmung erzeugen.
Wie funktioniert die Übertragung aus Frankreich nach Deutschland?
Den Beweis müssen wir noch erbringen. Wir haben in Deutschland weder die Investoren, die sich dafür bereit erklären noch eine entsprechende Baukultur. Nach den Erfahrungen mit den KoDörfern sind wir jetzt so selbstbewusst, dass wir uns zutrauen das dennoch hinzubekommen. Für die KoDörfer haben wir vom Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg Förderungen von knapp vier Millionen Euro bekommen. Das Ministerium hat den Wert erkannt und gesehen wie wegweisend das sein kann. Mit dem KoCampus können wir ähnliches hinbekommen. Mit der öffentlichen Förderung ein Positivbeispiel finanzieren, damit hoffentlich viele Nachahmer ermutigt werden.
Wie geht es mit dem KoCampus in Herzberg weiter?
Wir arbeiten eng mit Professor Regina Zeitner und ihren Studierenden an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin zusammen, die sich bis Sommer 2023 ein halbes Jahr intensiv mit dem Konzept befasst und Analysen erstellt haben. Im Frühjahr soll ein erster Probebetrieb stattfinden. Wir wollen die ersten Studierenden einladen in den Wohnungen zu leben, um 2024 mit größeren Investitionsmitteln auch bauliche Veränderungen vorzunehmen.
Wir werden dann wieder eine Ausschreibung ausloben, auf die sich die Studierenden bewerben können. Die Idee ist, dass wir den Wohnraum sehr günstig anbieten und sich die Studierenden im Gegenzug engagieren, sei im Quartiersmanagement oder in der Außenraumgestaltung. Wir möchten nicht, dass die Studierenden in einer eigenen Blase leben, sondern sich vor Ort integrieren und sich einbringen.
Was sind die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des KoCampus?
Das Geld und die Einstellung. Die Leerstände sind meistens im genossenschaftlichen Besitz oder in öffentlicher Hand. Die Verantwortlichen glauben uns nicht, dass dieser Leerstand Potential hat und dass ein Plattenbau interessant sein könnte. Kein Wunder, sie haben ja seit der Wende erlebt, dass die Leute nur weg wollten. Wir merken es immer wieder: es fehlt an Zuversicht und damit einhergehend die Bereitschaft zu investieren.
Wie könnte man diesen Vorbehalten begegnen?
Wir haben die Situation, dass alles, was Stadtentwicklung betrifft, dem freien Markt überlassen wird. Und der freie Markt geht an die Themen wie z. B. Leerstand mit der Renditeperspektive heran. Unter dieser Perspektive sind die meisten ländlichen Leerstände tatsächlich unattraktiv denn klassische Sanierungen sind teuer. Wir brauchen daher andere Ansätze. Das kann einmal die Förderung sein, das kann aber auch ein anderer Umgang der Kommunen mit ihren eigenen Immobilien sein. Wir erleben und beobachten, dass Kommunen sich hier langsam verändern. Bis vor ein paar Jahren war es noch so, dass Kommunen einfach verzweifelt diese Einfamilienhausgebiete ausgewiesen und an die Meistbietenden vergeben haben. Jetzt gibt es den Anspruch, dass teilweise gar nicht mehr neu gebaut, sondern dass der Ortskern gestärkt werden soll. Auf kommunaler Ebene tut sich was. Was sich nicht geändert hat, ist die Haltung der Investoren. Diese scheuen den finanziellen Einsatz im Bestand weiterhin. Hier könnte man einerseits durch andere Förderprogramme entgegenwirken, zum anderen durch eher experimentellere Ansätze wie wir sie haben, wo der Anspruch nicht der ist, dass am Schluss superschicker Wohnraum entsteht, sondern Mut zum Halbfertigen gelebt wird. Viele Menschen können auch aus wenig viel machen, wenn man sie lässt. Wenn es uns so gelingt, die Mieten niedrig zu halten, haben alle etwas davon. Aus Großstädten kennt man das, aber Zwischennutzung in ländlichen Räumen ist eher ungewöhnlich.
Größer kann die Not nicht werden oder wie erklärst du dir diesen zwar langsamen aber doch vorhandenen Wandel?
Die Auswirkungen verfehlter Politik der letzten Jahrzehnte werden immer deutlicher: dieses Ausbluten und dieser Donut-Effekt, dass die Stadt- und Ortskerne verwaisen, weil alle an die Ränder ziehen. Die Segregation und Fragmentierung der Gesellschaft durch die verfehlte Stadtplanung und Baupolitik ist spürbar und sichtbar geworden. Hier merken wir tatsächlich, dass ein Umdenken stattfindet.
Welche Unterschiede hast du in deiner Arbeit in den verschiedenen Regionen Deutschlands beobachtet?
Ich habe auf jeden Fall den Eindruck, dass Ostdeutschland auf der einen Seite deutlich experimentierfreudiger ist, weil einfach klar ist, dass es neue Ansätze braucht. Gleichzeitig ist es aber auch ehrlicherweise so, dass es in Ostdeutschland nicht so einfach ist, die Bevölkerung mitzunehmen. Vielerorts haben die Menschen seit der Wende verinnerlicht, dass es nur bergab geht, obwohl das teilweise gar nicht stimmt.
Gleichzeitig merken wir, dass das, was die politische Polarisierung, die wir auf der Bundesebene sehen, im ländlichen Raum weniger verbreitet ist. Kommunalpolitiker machen vielerorts eine pragmatische Politik für die Region. Auch sind die Menschen auf dem Land bei ökologischen Themen oft viel weiter als man in der Großstadt denkt. Zum Beispiel hatten wir eine große Veranstaltung in Wittenberg über den Klimawandel. Die Verantwortlichen dachten, man müsste die Leute grundsätzlich informieren und abholen. Aber die Leute gehen schon längst in diese Richtung: sie bauen Passivhäuser, experimentieren mit Solarenergie und sind generell aufgeschlossen.
Das heißt, dass vieles im Grunde schon weiter ist, als in der medialen Wahrnehmung?
Daraus schöpfe ich meine Hoffnung und damit verbinde ich auch meine große Vision – das wir wirklich Gemeinschaften stärker regional etablieren. Dass wir uns anstrengen bei den Überlegungen wie eine Gemeinschaft funktioniert und wie wir es schaffen, eine neue Wir-Kultur zu etablieren. Was wir beobachten ist, dass überall dort wo das gelingt, automatisch nachhaltiger gelebt wird, ohne dass es aber als Zwang daherkommt. Die Leute konsumieren weniger, weil man sich zum Beispiel eher Sachen teilt. Die verreisen weniger, weil es viel aufregender ist vor Ort gemeinsam was zu gestalten. Das ist meine Hoffnung, dass wir es schaffen, sowohl sozial resilienter zu werden, als auch klimaresilienter, ohne mit Verboten operieren zu müssen, einfach weil es sich organisch anbietet, so zu leben.