Von der Centraal Station bis zum Hafengebiet Kop van Zuid – Stadt der Enthusiasten
1. Centraal Station
Entwurf: Team CS (Arbeitsgemeinschaft aus Benthem Crouwel, MVSA Meyer en Van Schooten Architecten und West 8), Fertigstellung 2013
Weltweit erleben Bahnhöfe ein erstaunliches Comeback. Galten sie lange als verstaubtes Relikt vergangener Zeit, bilden spektakuläre Strukturen heute wieder die Foyers der Metropolen. Zentral gelegen und gut vernetzt, sind sie Knotenpunkt von Bussen und Bahnen, Shopping-Center und Markthalle. Sie wirken verbindend und kommunikativ, Neubauten wie Calatravas Path Station am Ground Zero und UN Studios Hauptbahnhof in Arnheim ebenso wie geschickte Umbauten. In einem früheren Artikel berichtete Jan Dimog bereits über Jacque Vonckes großartigen Antwerpen Centraal – eine überzeugende Symbiose aus historischer und zeitgenössischer Gestaltung. Rotterdam Centraal überspannt ein expressiv gefaltetes Dach, das außen mit funkelndem Metall und innen mit erdigem Holz verkleidet ist. Die Überdachung der Gleise ist leicht und luftig, die Ankunftshalle spreizt sich in den Stadtraum. Formuliert ihn neu. Die Faltung rahmt verschiedene Stadtperspektiven. Der Steinboden fließt von der Bahnhofshalle in den Stadtraum und betont den seichten Übergang von innen und außen. Einzelne Fragmente des alten Gebäudes blieben erhalten. Wie etwa alte Beton-Elemente, die aufgrund ihrer Form von den Rotterdamern auch „Speculaasjes“ (Spekulatius) genannt werden.
2. Baldachine
Entwurf: Maxwan Architects, Fertigstellung 2014
Unglaublich leicht wirken die drei pastell-pinken Bushaltestellen besonders vor dem monumentalen Groothandelsgebouw, einem der Symbole des Wiederaufbaus der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg. Die zarten Stahldächer stehen direkt neben dem Bahnhof auf je vier schlanken Stützen. Sie wölben sich nach innen und außen wie Stoffe im Wind. Ein konstruktiver Kniff, der es ermöglichte, die Dächer besonders dünn zu gestalten. Die Baldachine sind angeblich die dünnsten der Welt. Auf jeden Fall sind sie ein wirklich schöner Ort zum Warten.
3. Calypso
Entwurf: Alsop Architects, Fertigstellung 2013
Der Kruisplein trifft direkt auf den Haupteingang des Bahnhofs. Die Verlängerung des Westersingels ist damit Teil der alten sogenannten Feuerlinie. Das Kanalsystem verhinderte das Übergreifen der verheerenden Brände auf die Stadteile jenseits des Wassers nach den Bombardierungen. Diese sind noch heute eher durch kleinteilige Bauten des 19. Jahrhunderts geprägt. Das Zentrum hingegen dominieren verschieden-maßstäbliche Nachkriegskompositionen. Calypso ist ein multifunktionaler Mega-Wohnkomplex mit 400 Apartments hinter den geknickten Fassaden. Im ebenen Sockel befinden sich Büros, Shops und Restaurants.
4. Schouwburgplein
Entwurf: West 8, Fertigstellung 1997
Als konzeptuelle Leere beschreibt der Landschaftsarchitekt Adriaan Geuze seine Idee für den lange Zeit brachliegenden Theaterplatz hinter dem Calypso-Komplex. Entstanden ist ein frischer interaktiver Stadtraum, der sich entsprechend der Veranstaltungen und Jahreszeiten verändern lässt. Der vorherrschende Metallboden reflektiert die wechselnden Lichtstimmungen und bildet einen robusten Untergrund für wechselnde Aktivitäten. Betongrau korrespondiert mit der Bewölkung. Epoxy-Beschichtungen, Holz und Gummi definieren weitere Zonen. Am markantesten ragen rote Mastleuchten in den Himmel. Die hydraulischen Kragarme wurden schnell zum Wahrzeichen des Platzes - einer Bürger-Bühne vor der städtischen Schaubühne.
5. Coolsingel Pavillons
Entwurf: Mei Architects, Fertigstellung 2015
Die Zentren der modernen Städte waren in den 1970er Jahren eher monofunktional geplant. Alles war dem Autoverkehr untergeordnet. Räume mit Aufenthaltsqualität waren schwer zu finden. Als Antwort darauf wurde im Rahmen der C70 das Rotterdamer Stadtzentrum im Jahr 1970 in eine riesige Ausstellung verwandelt. Entlang des Coolsingel Boulevards entstanden mehrere Pavillons, die auch nach der Veranstaltung noch einige Zeit blieben, nach und nach aber wieder verschwanden. Eine neue goldene McDonalds-Filiale knüpft nun an alte Zeiten an. Die mit Lochblech verpixelte Fassade schimmernd besonders bei Nacht.
Timmerhuis
6. Entwurf: OMA, Fertigstellung 2015
Eine riesige Wolke scheint in der Rodezand, einer Parallelstraße des Coolsingels, zu schweben. Reflektierendes Glas, bedruckt und klar, lässt das Gebäude flimmern. Der ephemere Erweiterungsumbau des Stadstimmerhuis ruht auf nur zwei gewaltigen Turmkonstruktionen. Das gesamte Erdgeschoss ist somit frei von Stützen. Das weiße Stahltragwerk kontrastiert dialogisch mit dem Beton der Nachkriegsmoderne. Große Atrien schieben sich auf allen Ebenen in die Struktur, Treppentopographien verbinden die einzelnen Bereiche als Treffpunkt. Ein guter Nebeneffekt dient es doch der sportlichen Ertüchtigung.
7. Markthal
Entwurf: MVRDV, Fertigstellung 2014
Sie wirkt zwar etwas klobig, aber die neue Rotterdamer Markthalle avancierte schnell zu einer der neuen Sehenswürdigkeiten der Stadt. In der doppelten Hülle des hufeisenförmigen Zwitterbaus sind 228 Apartments untergebracht. Jedes mit Blick auf die Stadt und das Marktgeschehen mit 100 Ständen und Restaurants. Im Untergeschoss befinden sich zudem ein Supermarkt und ein Parkhaus. Den Architekten MVRDV ging es darum, ein neues multifunktionales Konzept für zukünftige Wohntypologien zu entwickeln. Manchmal müssen Experimente einfach gewagt werden.
8. Blaakse Bos
Entwurf: Piet Bloom, Fertigstellung 1984
Piet Blooms Kubus-Häuser sind bereits seit 1984 Pilgerstätte. Vorher hatte er ähnliche Konzepte in Hengelo und Helmond erprobt. Blaakse Bos (Blaakse Brücke) ist eigentlich eine gewaltige Fußgängerbrücke, die den Marktplatz mit der Stadtbibliothek verbindet. Ursprünglich waren 74 "Baum-Häuser" als Sozialwohnungen geplant. Umgesetzt wurde nur 51. Es gab finanzielle Schwierigkeiten. Die würfelförmigen Baukörper stehen auf einer Ecke und werden je über einen Stahlbeton-Stamm erschlossen. In jedem Modul befindet sich eine Wohnung. Irgendwie schräg.
9. Erasmusbrug
Entwurf: Van Berkel & Bos, Fertigstellung 1996
Ein Spiel gegeneinander wirkender Kräfte, eingefroren in einem sinnlichen Gleichgewicht. Bis ins kleinste Detail konstruierten Ben van Berkel und Caroline Bos (UN Studio) eine perfekte Verschmelzung von Ingenieurskunst und Architektur – sieht man mal von einigen notwendigen Nachjustierungen ab, die aufgrund von heftig auftretenden Schwingungen kurz nach Ihrer Eröffnung vorgenommen werden mussten. Die Erasmusbrücke verbindet das alte Stadtzentrum nördlich der Maas mit den neuen Entwicklungsgebieten im Süden. Schöner kann eine Insel nicht erschlossen werden.
10. De Rotterdam
Entwurf: OMA, Fertigstellung 2013
Und immer wieder OMA. So ganz einfach lässt sich der Komplex nicht einordnen, der beim Überqueren der Erasmusbrücke ins Blickfeld rückt. Verschiedene Kubaturen drängen und schieben gegeneinander. Eine kraftvolle Anspielung auf den ehemaligen Container-Hafen. De Rotterdam selbst wurde nach einem Passagierschiff benannt, das bis 1971 Rotterdam mit Manhattan verband. Passt gut zu Koolhaas und der vertikalen Stadt, verfasste er doch bereits 1975 sein Standardwerk "Delirious New York". Auf jeden Fall hat De Rotterdam Signalwirkung für den gesamten Stadtteil. Einfach großartig.
11. Kop van Zuid
Die alte Hafeninsel wurde schon vor Jahrzehnten zugunsten der neuen Hafenanlagen stromabwärts vor den Toren der Stadt aufgegeben. Lange wurde an Masterplänen gefeilt, die nun nach und nach umgesetzt werden. Einige wenige historische Gebäude blieben erhalten, wurden restauriert und umgebaut, wie beispielsweise das ehrwürdige Hotel New York mit Art Nouveau Motiven oder das tonnengedeckte Kreuzfahrtterminal der Holland-America Line (Van den Broek & Bakema). Die neuen Türme "Mini-Manhattans" entwarfen fast ausschließlich international fest etablierte Architekten und Studios.
Unsere architektonische Recherchereise wurde von Rotterdam Partners unterstützt. Übernachtet haben wir auf Einladung im nhow Rotterdam, in der Vertikalstadt von OMA.
Benthem Crouwel Architects
Das Amsterdamer Büro mit einer Zweigstelle in Aachen wurde 1979 von Jan Benthem und Mels Crouwel gegründet. Bekannt wurden sie vor allem als Architekten und Planer großer Infrastrukturprojekte wie für den Amsterdamer Flughafen Schiphol oder die Bahnhöfe in Amsterdam, Den Haag, Utrecht und Rotterdam. Zu ihrem Entwurfs-Portfolio zählen zudem kulturelle Einrichtungen wie das Anne Frank Museum in Amsterdam und das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum.
Maxwan
Das Rotterdamer Büro arbeitet international an Architektur und städtebaulichen Projekten. Zu ihren bekanntesten Werken gehören der "Saw Tooth Tower" in Rotterdam, das Bürogebäude "F&I" am Maastricht Aachener Flughafen und "50 Bridges" in Utrecht.
Alsop Architects
Die Bauwerke des britischen Architekten und Malers Will Alsop fallen besonders durch helle und intensive Farben und ungewöhnliche Formen auf. Häufig kontrovers diskutiert, erhielt er für seine Bauten eine ganze Reihe von Auszeichnungen. Zu den wichtigsten zählen die Peckham Library in London und das Sharp Centre for Design in Toronto.
West 8
Das Rotterdamer Landschaftsarchitektur- und Stadtplanungsbüro wurde 1987 durch Adriaan Geuze gegründet. Es unterhält weitere Niederlassungen in New York und Brüssel und zählt mittlerweile zu dem innovativsten Büros für Stadtraumgestaltung weltweit.
Mei Architects
Das Büro wurde 1994 von Robert Winkel mit Sitz in Rotterdam gegründet. Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Umnutzungen bestehender Industriegebäude, wie beispielsweise die Delfshaven Factory oder die Jobsveem und Fenix Warehouses in Rotterdam.
Office for Metropolitan Architecture (OMA)
Wurde 1975 von Rem Koolhaas, Madelon Vriesendorp, Elia und Zoe Zenghelis gegründet. Das in Rotterdam ansässige Büro mit weltweiten Zweigstellen gehört heute zu den renommiertesten Vertretern zeitgenössischer Architektur. Koolhaas ist Träger des Pritzker-Preises. Seine Bücher "Delirious New York: A Retroactive Manifesto for Manhattan" (1978) und "S,M,L,XL" (1995) zählen zu den Standardwerken der Architekturtheorie.
MVRDV
Niederländisches Architekturbüro. 1993 in Rotterdam gegründet. MVRDV steht als Abkürzung für die Nachnamen der Architekten Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries, die 1990 ihr Architekturdiplom an der TU Delft machten. Vor der Bürogründung arbeiteten Maas und Van Rijs unter anderem für das Office for Metropolitan Architecture (OMA) von Rem Koolhaas. Markenzeichen des Büros ist unter anderem die Stapelung und das Aufeinanderschichten von Architektur und damit die Thematisierung von Komplexität und Dichte. Zu den bekannten MVRDV-Projekten gehören das 1997 fertiggestellte Villa VPRO für den Rundfunk in Hilversum, das in Amsterdam ebenfalls 1997 fertiggestellte 100 WOZOCOs (aus dem niederländischen woonzorgcomplex), der Pavillon der Niederlande zur Expo 2000 in Hannover, der Silodam in Amsterdam (2002), das Wohnhochhaus Mirador in Madrid und die 2014 eröffnete Markthal in Rotterdam.
Piet Bloom
8.2.1934 – 8.6.1999. Der niederländische Architekt studierte 1959 an der renommierten Amsterdamer Academie van Bouwkunst als Student von Aldo van Eyck. Er zählte neben van Eyck und Herman Hertzberger zu den bekanntesten holländischen Vertretern der Architekturströmung des Strukturalismus.
UN Studio
Wurde 1999 von Ben van Berkel und Caroline Bos als eigenständiges Büro mit Sitz in Amsterdam gegründet. Zu den Teilhabern gehören zudem Tobias Wallisser und Harm Wassnik. Der Name steht für "united net" (vereintes Netzwerk) und unterstreicht das Selbstverständnis des Büros, ein Netzwerk von Fachleuten zu bilden, die sich mit progressiver Architektur auseinandersetzt. Dabei umfasst das Wirkungsfeld des Büros diverse Gebiete, die auch über das eigentliche Betätigungsfeld klassischer Architekturbüros hinausgehen.