Kunsthalle Bielefeld – Anti-Gedöns
Perlen der Provinz:Was für eine Ausgewogenheit. Ein rosaroter Monolith. Eingefasst von saftigem Grün. Ein programmatisches Konzentrat auf einer Grundfläche von nur dreißig auf dreißig Metern. Die Fassade aus fränkischem Sandstein fein scharriert. Keine Spur von manieristisch-verspielten Formen. 1966 stand Johnsons Architektur noch unter dem Einfluss des Internationalen Stils. Der war selbstverständlich ohne Gedöns, wie man in Ostwestfalen zu sagen pflegt, also minimalistisch und funktional.
Gründungsdirektor Joachim Wolfgang von Moltke und der Stifter Rudolf August Oetker hatten Johnson damals persönlich beauftragt. Zuvor war eine intensive Suche nach einem angemessenen Architekten vorangegangen, darunter waren Ikonen wie Alvar Aalto, Eero Saarinen und Ludwig Mies van der Rohe. Auch Johnson war damals bereits weltbekannt, hatte Erfahrungen im Museumsbau und war viele Jahre kuratorischer Leiter der Architekturabteilung des Museum of Modern Art (MoMA) in New York. Oetker schwebte ein Museum vor, wie es Johnson 1960 in Utica, New York realisiert hatte. Das Munson-Williams-Proctor Arts Institute, ein granitverkleideter Solitär mit umlaufendem Lichtgraben, ruht ähnlich monumental wie die Bielefelder Kunsthalle in sich. Auch das Bielefelder Bauwerk sollte ursprünglich in Granit gehüllt werden. Aufgrund steigender Kosten wurde die Idee verworfen. Ein Glücksfall, denn gerade das sandige Rot gibt dem Gebäude seine heitere Erscheinung. Verstärkt wird dies durch ein besonderes Detail. Johnson ließ in Handarbeit feine Rillen in den Stein schlagen. Durch das sogenannte Scharrieren wirkt das matte Material noch lebendiger. Überhaupt blieben bis heute beinahe alle Details des denkmalgeschützten Johnson-Baus erhalten. Auffallend schön sind auch die feinen Edelstahl-Geländer des Treppenraums, der das Foyer mit den Ausstellungsräumen in den beiden oberen Geschossen verbindet. Auf der Eingangsebene sind der Empfang, ein Museumsladen, ein Malsaal und das Café Johnson's, das sich zum Skulpturenpark hin öffnet, angeordnet. Klare Einschnitte in den Außenwänden stellen immer wieder Bezüge zur Stadt her, ermöglichen Ein- und Ausblicke. In den beiden unteren Geschossen befinden sich Verwaltungsräume, die Bibliothek, ein weiterer Malraum und das Auditorium.
Die fließenden Räume der Kunsthalle Bielefeld zählen noch immer zu den gelungensten Gemäldegalerien des Landes. Die Belichtung mit natürlichen und künstlichen Lichtquellen, mit Lichthimmel und Seitenlicht in Verbindung mit den Blickbeziehungen zur Stadt setzte Johnson überzeugend um. Besonders klassische Kunstgattungen lassen sich in dieser kontemplativen Umgebung überaus gut betrachten. Malerei und Plastik bildeten bisher auch den Kern der Sammlung. Darunter Werke der Brücke, des Blauen Reiters und der konstruktivistischen Strömung der 1920er Jahre.
Längst ist das Gebäude zu klein. Heutige Ausstellungsformate und die zukünftige Ausrichtung der Kunsthalle erfordern flexiblere Räume, die auch Junge Kunst-Schauen, wie Performances, Installationen und Projektionen, ohne aufwendige Eingriffe ermöglichen. Über eine Erweiterung wird schon seit über 20 Jahren diskutiert. Ich erinnere mich noch gut, als zu meinen Schulzeiten eine hitzige Diskussion über Frank O. Gehrys Anbau entbrannte. Gewohnt metallisch und geschwungen sollte es zugehen. Ein dekonstruktivistischer Übergangsbau, der die Kunsthalle mit dem benachbarten Naturkundemuseum verbinden sollte. Nicht zuletzt durch den Einwand der Familie Oetker wurde das Projekt schließlich begraben. Gehry baute trotzdem in OWL. Allerdings in benachbarten Gemeinden. In Herford entstand das Marta, in Bad Oeynhausen baute er das Energie-Forum-Innovation (EFI) und das „Ronald McDonald Haus“. Burger statt Fertigpizza also.
2012 war der geniale Sou Fujimoto in Bielefeld mit seiner ersten monografischen Schau außerhalb Japans zu sehen. Modelle, Zeichnungen und sein „Final Wooden House“ im Maßstab 1:1 verblüfften die Besucher. Als Geschenk hinterließ er der Stadt drei Entwürfe für die Erweiterung ihrer Kunsthalle, in denen Stadt, Natur und Landschaft miteinander verschmelzen. Eine konzeptionell und Architektur-ästhetisch angemessene Ergänzung. Leider ist bis heute ungewiss, ob sie kommt. Es wäre auch sein bisher einziges permanentes Gebäude in Europa.
Kunsthalle Bielefeld
Artur-Ladebeck-Straße 5, D-33602 Bielefeld. Di.–Fr. 11–18 Uhr, Mi. 11–21 Uhr, Sa. 10–18 Uhr, So 11–18 Uhr, Mo. geschlossen
Ein Museum und Ausstellungshaus für moderne und zeitgenössische Kunst. Die bedeutende Sammlung zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts umfasst Werke von Picasso, Sonia und Robert Delaunay, Max Beckmann, Man Ray, Malern der Brücke wie des Blauen Reiters, der konstruktivistischen Strömung der Zwanzigerjahre mit László Moholy-Nagy und Oskar Schlemmer, amerikanischer und deutscher Kunst der 1970er- und 80er-Jahre sowie internationale Skulpturen von Rodin bis zu Serra, Schütte und Eliasson im Kunsthallenpark. Das Haus war ursprünglich als "Richard-Kaselowsky-Haus – Kunsthalle der Stadt Bielefeld" errichtet worden. Bis 1998 trug es den Namen des Stiefvaters des Stifters, des Großunternehmers Rudolf August Oetker. Schon zur Eröffnung war bekannt geworden, dass Kaselowsky nicht nur NSDAP-Mitglied war, sondern das Naziregime auch mit seiner Mitgliedschaft im "Freundeskreis des Reichsführers der SS Heinrich Himmler" unterstützt hatte. Nach andauernden Protesten der Bevölkerung beschloss der Rat der Stadt schließlich die Umbenennung des Hauses. Oetker zog seine Unterstützung und alle Leihgaben zurück. Die Namensgebung war eine seiner Bedingungen für die Stiftung gewesen.
Philip Cortelyou Johnson
Geboren am 8.7.1906 in Cleveland; gestorben am 25.1.2005 in New Canaan. Amerikanischer Architekt, Architekturkritiker und erster Träger des Pritzker-Preises (1979). Zusammen mit Henry-Russell Hitchcock formte er in den 1930er Jahren zunächst den Begriff des Internationalen Stils und wurde später zum Mitbegründer der Postmoderne. Von 1930 bis 1936 leitete er die Architekturabteilung am Museum of Modern Art in New York City. Von 1940 bis 1943 studierte er in Harvard bei Walter Gropius und Marcel Breuer Architektur. Zusammen mit seinem langjährigen Lebenspartner Mark Wigley organisierte er 1988 erneut am MoMA die Ausstellung "Deconstructivist Architecture", die der gleichnamigen Architekturströmung zum internationalen Durchbruch verhalf. Zu seinen bedeutendsten Bauten zählen das "Glass House" in New Canaan (1947–1949), das "Seagram Building" in New York City (1954–1958), das er gemeinsam mit Ludwig Mies van der Rohe entworfen hatte, die "Crystal Cathedral" in Kalifornien (1980) und die "AT&T Headquarters" in New York City (1980–1984).
Frank Owen Gehry
Geboren 1929. In Toronto geboren; eigentlich Frank Owen Goldberg. Ist ein kanadisch-US-amerikanischer Architekt und Designer, der seit 1947 in Kalifornien lebt. Die Partner des von ihm gegründeten Architekturbüros sind: Frank Gehry, Brian Aamoth, John Bowers, Anand Devarajan, Jennifer Ehrman, Berta Gehry, Meaghan Lloyd, David Nam, Tensho Takemori, Laurence Tighe & Craig Webb. Für seine dekonstruktivistische Architektur wurde Gehry 1989 der Pritzker-Preis verliehen.
Sou Fujimoto
Geboren am 4.8.1971 in Hokkaido. Japanischer Architekt und Hochschulprofessor. 2000 gründete er sein Architekturbüro Sou Fujimoto Architects. Bekannt wurde er durch seine ungewöhnlich fragilen Wohnhäuser und temporären Installationen. Der japanische Architekt und Pritzker-Preisträger Toyo Ito sagte einmal über Fujimotos Bauten, man erlebe sie, als klettere man in einem Baum.