Alpinarchitektur im Ötztal, Nr. 1:
Längenfeld, Sölden, Hochgurgl – Das Ö-Design
Berge, Meere und Wüsten: die Natur dient Architekten, Designern und Künstlern oft als Vorlage für ihre Entwürfe, Kreationen und Werke. Ähnlich verhält es sich mit der alpinen Bergwelt des Ötztals. Muster und Formen, Härte und Harmonie der prächtigen Erhebungen und Senken sind abgewandelt und abstrahiert in zahlreiche Gebäude eingeflossen. Bei meiner ersten Reise vor einigen Jahren haben mich sowohl Eindrücklichkeit der Natur als auch das Design zeitgenössischer Bauten überrascht und überzeugt. Das Ziel dieser Reise war vor allem das: die Erkundung der zeitgenössischen Ötztal-Architektur in drei Teilen.
In diesem Teil geht es nach Längenfeld, Sölden und Obergurgl-Hochgurgl. Teil 2 thematisiert das Naturhotel Waldklause und in der letzten Geschichte fahren wir auf 2175 Meter Höhe zum Top Mountain Crosspoint des Tiroler Architekten Michael Brötz. Das Gebäude vereint Motorradmuseum, Gastronomie, Skilift- und Mautstation und ahmt in seiner gebauten Bewegung eine Schneeverwehung nach. Zum Stichwort Bewegung passt es, dass wir mit der Deutschen Bahn kooperiert haben und mit dem Zug angereist sind. Insofern schließt sich hier der Kreis, denn Nachhaltigkeit ist etwas, das uns im Ötztal immer wieder begegnen wird. Vor allem im schön-entrückten Naturhotel Waldklause in Längenfeld.
Längenfeld
Das Wasser des nah gelegenen Bachs gluckst glücklich. Es wirbelt plätschernd am Viersterne-Superior-Naturhotel Waldklause entlang. Drumherum beeindruckt das Tiroler Berg-Wald-Panorama. Inmitten dieser Kulisse steht die 2004 eröffnete und vom Architekten Markus Kastl geplante Waldklause. Auftraggeber war die Familie Auer, die in Längenfeld bereits 1957 einen Campingplatz mit Restaurant betrieb. Nach dem Erfolg des 1994 eröffneten Restaurants Waldklause, kam 10 Jahre später das 55-Zimmer-Hotel dazu. Wir empfehlen unbedingt hier zu übernachten und wer das nicht macht, sollte wenigstens eine Mahlzeit einplanen, entweder das reichhaltige Frühstück oder das Abendmenü. Das Konzept der Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit findet sich auch in der Tiroler Küche des Betriebs wieder. Mehr über die Waldklause im zweiten Teil unserer Ötztal-Serie.
Nur wenige Minuten Fußweg entfernt und ebenfalls 2004 eröffnet, ist der Aqua Dome, die größte Therme Tirols und ein führendes Wellnessresort Österreichs. Die gesamte Anlage erstreckt sich auf über 50.000 Quadratmeter und trotz dieser Größe wirkt es angesichts der Bergkulisse nicht raumeinnehmend oder dominant, was auch an der aufgelockerten Aufteilung des Resorts liegt. Viersterne-Superior-Hotel und Therme stehen in einem parkähnlichen Gelände und sind sowohl ober- wie unterirdisch miteinander verbunden. Der Thermendom aus Stahl, Stein und Wasser und Herzstück der Anlage hat die Form eines gläsernen Kristalls und soll die umliegende Bergwelt spiegeln. Das eigentliche architektonische Markenzeichen des Resorts ist in der Freilufttherme: hier gruppieren sich drei runde Schalenbecken mit einem Durchmesser von 12 bis 16 Metern um den fast transparent wirkenden Glaskegel. Das Schweben ist hier architektonisches Programm und wer in den Becken liegt und auf das mächtige Bergpanorama blickt, weiß was „auf Wolke 7 schweben“ wirklich bedeutet. Wir empfehlen mindestens einen halben Tag für die Therme einzuplanen – nicht nur wegen der Größe und des vielfältigen Angebots. Auch Zeit und Muße sind Teil der Aqua Dome-Philosophie.
Geplant wurde die Therme 2001 von SPLUSN Schnögass + Nußbaumer Ziviltechniker GmbH aus Wien, Fertigstellung war im August 2004. Acht Jahre später folgte die Erweiterung des Hotels und des Spabereiches mit dem Spa 3000, das besonders eindrucksvoll gelungen ist. Die aus dreieckförmigen KLH-Platten geformte Konstruktion bildet eine Hülle mit Spitzen und Dreiecken. Die spitz zulaufenden, verglasten Gauben geben von innen nach außen den Blick frei auf die Bergwelt. Holzbauer & Partner und Wolfgang Vanek waren für die Erweiterung verantwortlich, das Innendesign übernahm der Klagenfurter Architekt Arkan Zeytinoglu mit seinem Team. Für die Hotellobby entwickelte das Büro ein Raum-in-Raum-Konzept, der Bereiche voneinander trennt, aber trotzdem für Semitransparenz sorgt. „Die Verbindung von Architektur und Musik ist wichtig für seine Architektur und prägt seine Konzeptionen“, heißt es auf der Website der Firma zur Biografie von Zeytinoglu. Die Beschreibung passt gut zum nächsten Ziel in Längenfeld. Denn umrahmt von der Polytechnischen Schule und der Landesmusikschule steht der Musikpavillon. Die auf Akustik spezialisierten Architekten von unizono GmbH setzten die Bergwelt en miniature in Längenfeld ein. Je nach Standpunkt zeigt der Pavillon Faltungen, Öffnungen und Einschnitte, ein in seiner kompakten Konzentration überzeugender Bau inmitten der Fachwerk- und Traditionsarchitektur im Ortskern.
Sölden
In Sölden hat unizono ebenfalls eine Akustikkonstruktion aufgestellt. Der 2014 eröffnete Pavillon mit der Membranbauweise zählt mit der Gaislachkoglbahn und dem spektakulären Ice Q zu den Vertretern feiner und cooler Alpinarchitektur. Ansonsten ist Sölden als Stätte des Skiweltcups, fantastischer Skigebiete und Après Ski-Ballermann bekannt und beliebt. Der Erfolg gibt Sölden Recht. Es wird gebaut und geklotzt, es entstehen Übernachtungsmöglichkeiten irgendwo zwischen Blockhaus-Romantik, amerikanischer Lodge-Anmutung und Protz-Design im aufdringlichen Solarium-Ambiente. Zwischendurch jedoch weiß dieser kleine, große Ort mit Bauten zu überraschen, wie mit der Friedhofserweiterung der Pfarrkirche Mariae Heimsuchung. Gemäß Tiroler Tradition schlug der Innsbrucker Architekt Raimund Rainer die Bebauung im Umfeld der Kirche vor. Ursprünglich hatte die Gemeinde die Nutzung eines gekauften Grundstücks für den neuen Friedhof geplant. Unter schwierigen konstruktiven und räumlichen Voraussetzungen setzte er die Erweiterung und den neuen Kirchvorplatz um und konnte zudem eine zweigeschossige Tiefgarage, ein Kleinkraftwerk und einen weiteren Bereich der nahen Schule integrieren. Wichtigstes Gestaltungselement ist die schräg gestellte Umfassungsmauer. Fertigstellung war 2009. Der neue Kirchvorplatz schafft es, modern und fast unsichtbar zu sein. Das muss eine Sichtbetonkonstruktion inmitten der Almhütten- und Traditionsarchitektur erst schaffen.
Nur wenige hundert Meter entfernt wurde bei der Gaislachkoglbahn dagegen ganz auf Sichtbarkeit gesetzt. Dass der 38 Millionen Euro teure Spektakel keine reine Showeinlage ist, zeigen die Zahlen. Der erste Abschnitt der aus zwei Sektionen bestehenden Bahn ist die (noch) leistungsstärkste Seilbahn der Welt: 3600 Personen pro Stunde können in knapp sieben Minuten in Gondeln für je acht Personen von 1363 auf 2174 Meter Höhe gebracht werden. Um zur Spitze auf 3040 Meter Höhe zu gelangen, steigt man in der Mittelstation um in die 28-Personen-Gondeln der 3-S-Bahn. 3S steht für die 3-Seil-Technik, bei der zwei Tragseile und ein Zugseil zum Einsatz kommen. Im Gespräch mit dem Betriebsleiter Michael Gritsch erläutert er die Feinheiten der Anlage. So ruhen die 3S-Bahn auf drei riesigen Stützen mit Abständen bis zu 1200 Meter. Noch nie wurde diese besonders sichere Seilbahnart in so großer Höhe errichtet. Wegen der extrem schwierigen Baubedingungen im Permafrostboden wurde mit einem computergesteuerten Hydrauliksystem eine Technik entwickelt, die Geländebewegungen unter dem Stationsfundament ausgleicht.
Zu diesen beeindruckenden Ingenieursleistungen passt die ästhetische Architektur des Innsbrucker Architekturbüros Johann Obermoser für die drei Stationen. Die elegant geschwungenen Stahlskelette sind von einer transparenten, reißfesten Kunststofffolie ummantelt und geben so ungewöhnliche Einblicke auf das Innenleben und die Struktur der kokonartigen Transparenz-Konstruktionen, inklusive Ausblicke auf die grandiose Bergwelt.
Obergurgl-Hochgurgl
Die gebaute Schneeverwehung steht auf 2175 Meter Höhe. Was in der Natur für große Schwierigkeiten und oft das Ende einer jeden Autofahrt bedeutet, ist hier die Krönung des Traums der Touristiker-Zwillinge Alban und Attila Scheiber. Das im April 2016 eröffnete und vom Tiroler Architekten Michael Brötz geplante Top Mountain Crosspoint vereint mehrere Funktionen und Räume in einer Formensprache, die Bewegung, Stärke und Naturbezug zugleich artikuliert. Mit dem Top Mountain Cross Motorcycle Museum hat es das höchstgelegene Motorradmuseum Europas (wunderbar in seinem Umfang konzentriert kuratiert). Gastronomie, Seilbahnhaltepunkt und Mautstation komplettieren die Verwehung. Mehr über das Top Mountain Crosspoint im dritten Teil unserer Ötztal-Serie.
Dass die Ötztaler die touristisch-architektonische Entwicklung ihrer Region vorantreiben, zeigt nicht nur der Crosspoint. Hinzu kommen kleine, feine Perlen wie Akustikarchitekturen und Sichtbetonlösungen. Sölden hat als Skihochburg des gesamten Tales sicherlich eine Sonderrolle. Der 3000-Einwohner-Ort zählt im Winter weit über 2 Millionen Übernachtungen und ist regelmäßig in den Top 3 der besucherstärksten Destinationen Österreichs. Solche Zahlen verlocken und verpflichten zugleich. Pünktlich zur Wintersaison 2016/17 errichten die Bergbahnen Sölden eine neue, topmoderne Zubringerbahn zum Giggijoch. Die neue 10er-Einseilumlaufbahn eröffnet mit einer Rekordförderleistung von 4.500 Personen pro Stunde eine neue Dimension in Sachen Kapazität, aber auch Komfort. Sie wird die Gaislachkoglbahn als leistungsstärkstes Transportmittel in die Höhen ablösen. Bei der Gestaltung der neuen Giggijochbahn ist das Innsbrucker Architektubüro Johann Obermoser verantwortlich. Wie beim Gaislachkogl kann man erwarten, dass auch beim neuen Projekt die Verbindung aus Technik, Ingenieurskunst und Architektur gelingen wird.
Für eine weiterhin perfekte, skitouristische Infrastruktur ist gesorgt, Prestigeprojekte festigen Söldens Ruf als unangefochtenes Besucherzentrum des Tals. Gleichzeitig profitieren die anderen Orte von dieser Stärke. Denn die Vielfalt ist das große Plus des Ötztals. Wer das aufgetakelte Après-Ski-Brimborium mag, weiß wohin es geht. Die sportlichen Besucher kennen ihre Ziele sowieso. Und wer einfach nur genießen, entspannen und seine Gedanken schweifen lassen möchte: der wird in einigen Gebäuden Muster und Formen, Härte und Harmonie der prächtigen Erhebungen und Senken wiedererkennen. Dazu muss man kein Architekt, Designer oder Künstler sein.
Unsere Architekturreise wurde von Ötztal Tourismus, dem Naturhotel Waldklause und der DB unterstützt.
Ötztal Geschichte
Das Ötztal ist ein in Nord-Süd-Richtung verlaufendes, 65 Kilometer langes Alpental. Bereits vor 9.000 Jahren wurde die Hochgebirgsregion des Inner Ötztals von steinzeitlichen Jägern durchstreift. Das Tal war damals schon Hochweidegebiet. Der erste bekannte Volksstamm, der im Inntal siedelte und wohl vereinzelt ins vordere Ötztal vordrang, sind die Räter. Die entscheidende Besiedelung des Ötztals erfolgte dann von Norden her durch die Bajuwaren, die zwischen Alpen und Donau erstmals um 550 nachgewiesen sind. Sie vermischten sich mit den dort ansässigen Rätern. Erste urkundliche Nachrichten über eine Besiedelung des Tals sind aus dem 12. Jahrhundert erhalten: Sölden wird 1150 als Seldon und Ötz 1166 als Etze erwähnt. 1948 wird der erste Sessellift von Sölden nach Hochsölden errichtet und die Bergbahnen Sölden werden gegründet. Im Sommer 1982 startet zum ersten Mal der Ötztaler Radmarathon mit 154 Fahrern. Heute kommen 4.000 Teilnehmer. Am 19. September 1991 wird die Gletschermumie Ötzi gefunden. Seit 1993 hat Sölden sein erstes Ski-Weltcup Rennen, das zuerst alle zwei Jahre und seit 2000 jedes Jahr veranstaltet wird. 1998 verbindet Sölden mit dem „Golden Gate to the glacier“ den Rettenbachferner mit dem Skigebiet von Hochsölden. 2004 eröffnet in Längenfeld das Thermen-und Hotelprojekt „AquaDome“. 2006 fusionieren die ehemaligen Tourismusverbände von Haiming-Ochsengarten, Sautens, Oetz, Umhausen-Niederthai, Längenfeld, Sölden-Vent und Obergurgl/Hochgurgl zum Ötztal Tourismus und arbeiten seither mit gemeinsamen Werbe-und Marketingmaßnahmen für die Bewerbung des gesamten Ötztals. Der Tourismus ist bis heute der wichtigste Arbeitgeber im Tal.
Ötztal Tourismus
Das Ötztal zählt mit rund 3,8 Millionen Übernachtungen (davon etwa 2,7 Millionen im Winter, Stand 2014) zu den touristischen Ballungszentren Tirols. Die Orte im äußeren Ötztal sind eher zweisaisonal ausgerichtet, in Sölden mit seinen Ortsteilen dominiert der Wintertourismus. Wir empfehlen die Nutzung der Ötztal Card bzw. des Premium Card. Mit den Cards hat man bei den Bergbahnen und Liften direkten Zutritt, so dass Wartezeiten an den Kassen entfallen. Hinzu kommen zahlreiche Vergünstigungen, z. B. für das Aqua Dome, Area 47 und den Bike- und Radverleih.
Ötztaler Mundart
Das Ötztal gehört zum tirolisch-südbairischen Dialektgebiet, gilt wegen seiner relativ langen Konservierung durch die verkehrsmäßige und geografische Abgeschiedenheit als eine der ältesten Sprachformen des Südbairischen. In ihrer spezifischen Ausprägung ist die Ötztaler Mundart einzigartig, mit etwa 8.000 bis 15.000 aktiven Sprechern lebendig. Es wurde mit 2010 in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen.
DB
Wir haben für die Ötztal-Serie mit der Deutschen Bahn kooperiert. Mit täglich 8 Direktverbindungen mit ICE und EuroCity sowie zahlreichen einfachen Umsteigeverbindungen – vor allem über das an das Hochgeschwindigkeitsnetz angebundene München – sind viele der schönen Ziele in Tirol mit der Bahn entspannt erreichbar, selbst aus Norddeutschland und Berlin. Für Urlauber aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet und Norddeutschland bieten sich zusätzlich zu den schnellen ICE- und EC-Verbindungen die Nacht-ICEs und -ICs aus NRW, Norddeutschland und Hessen direkt nach München an. Tipp: Sparpreise nutzen und früh buchen, da Plätze ab 39 Euro in der 2. Klasse zu haben sind (solange verfügbar). Kurze Verbindungen wie z. B. München–Innsbruck kosten ab 19 Euro. Hinweis: eigene Kinder und Enkelkinder unter 15 Jahren reisen kostenlos mit. Wir sind aus Berlin mit dem ICE angereist. Wer nach 6 Stunden Fahrt noch Zeit und Muße ab München hat, sollte unbedingt mit der Werdenfelsbahn in Richtung Innsbruck fahren. Man fährt an Trutzing, Uffing, Murnau und Garmisch-Partenkirchen vorbei. Bei solchen Ortsnamen folgt die Einstimmung auf die Tiroler Bergwelt automatisch. Ankunftsbahnhof ist Ötztal Bahnhof. Von dort weiter mit dem Bus oder mit Ulli’s Taxi zum Zielort im Ötztal.
Aqua Dome – Tirol Therme Längenfeld
Adresse: Oberlängenfeld 140, 6444 Längenfeld, Österreich. Öffnungszeiten: Therme und Sauna täglich 9–23 Uhr, Spa 3000 10–22 Uhr, Fitness 8–22 Uhr. Das Thermenwasser kommt aus einer Tiefe von 1865 Metern (Temperatur von 26,7 Grad). Die Anlage ist etwa 50000 Quadratmeter groß, die Wasserfläche hat 2200 Quadratmeter. Der Thermendom in Form eines gläsernen Kristalls bietet zwei Innenbecken, in der Freilufttherme sind drei scheinbar schwebende Schalenbecken mit einem Durchmesser von 12 bis 16 Metern: eine Sole-, Massage- und Sprudelschale. Hinzu kommen ein Sportpool, Ruhe- und Kinderbereiche, Gastronomie und ein Fitnesscenter. Das große Saunaangebot ist in seiner Vielfältigkeit unser Favorit der Anlage. Es gibt unter anderem: Loftsauna, Erdsauna, Schluchtensauna, Heustadl, Dampfdom, Dampfbad und Solegrotte. Wie im Text erwähnt: man sollte hier wenigstens einen halben Tag verbringen. Entspannung und Genuss hat auch mit Muße und Zeit zu tun.