Architekturen an der portugiesischen Riviera – Zarte Zeichnungen und perfekte Pinselstriche
Teil 1 mit den Bauten des Barrio dos Museus: hier.
Festung S. Jorge Oitavos und The Oitavos
Der Avenida República folgend, an der auch das Haus der Geschichten Paula Rego liegt, fahren wir aus Cascais hinaus. Bald tauchen die Kanten der Küste wieder auf, beinah wie eine Natur-Spiegelung der Souto de Moura-Formen. Von der Küstenstraße kommend, sieht die Festung wie viele aus jener Ära aus: geduckt und abweisend. Innen offenbart sich ein Museum, das erahnen lässt wie umkämpft diese Region und die nahe Flussmündung Tejo war. Denn diese Festung beispielsweise war wichtig, um die Bevölkerung vor Feinden zu schützen, die sich auf dem Seeweg oder bei Niedrigwasser über die Felsvorsprünge näherten. Heute hat der Besucher einen beeindruckenden Ausblick auf die Unendlichkeit des Meeres und die Zerklüftung der Küstenlinie.
Unweit von der kleinen Festung befindet sich der Golfplatz Oitavos Dunes mit dem Fünfsternehotel The Oitavos. "Golf Magazin", die größte Golfzeitschrift im deutschsprachigen Raum meint zu der landschaftlich wunderbar angelegten Anlage: "Optisch viel schöner sowie spielstrategisch kaum besser und moderater hätte man den Einstieg ins Links-Golf nicht anlegen können. Dem renommierten Architekten Arthur Hills ist es auf dem topographisch vergleichbaren Platz Oitavos Dunes – gilt als bester Links Course in Kontinentaleuropa – nicht besser gelungen."
Das Luxushotel wurde 2010 eröffnet und wirkt mit seiner Glas-Stahl-Konstruktion wie eine Mischung aus Hightech-Galerie und Kunstinstallation. Von oben betrachtet formt der Entwurf des portugiesischen Architekten José Amaral Anahory ein Ypsilon. Die zwei Y-Riegel schieben sich landeinwärts, der Stamm zeigt gen Küste. Das Resultat dieser Aufteilung ist ungehinderte Meersicht aller 142 Zimmer, da Korridore, Fahrstühle und Treppenhäuser an die Innenseite verlegt wurden. Die kleinsten Zimmer haben 40 Quadratmeter, in der Loftkategorie hat man wenigstens 64 Quadratmeter Platz und die Suiten und die ebenfalls zur weitläufigen Anlage gehörende Villa sind zwischen 120 bis 136 Quadratmeter groß. Die stimmige Innengestaltung setzt auf lichtdurchflutete, fließende Raumübergänge und wird selbst in den sehr breiten Korridoren aufgenommen: blau-ockerfarbene Wände und Böden, Leere und totale Reduktion aufs Wesentliche. Die Malereien und Skulpturen stammen zum großen Teil ebenfalls von Anahory. Hinzu kommen temporäre Ausstellungen von Künstlern der Region. Wer hier nicht übernachtet, sollte wenigstens für einen Kaffee vorbeischauen. Denn selbst wenn man diese Form des Hoteldesigns nicht mag – die puristische Klarheit und der Minimalismus mit der Industrieanmutung wirken als Gesamtspiel sehr überzeugend. Plüsch kann man sich ja woanders genehmigen.
Kirche Senhora da Boa Nova
In der entgegengesetzten Richtung des Oitavos in Estoril und von der Küste die Av. Gago Coutinho kommend, steht die Kirche Senhora da Boa Nova wie eine feine, skulpturale Erscheinung auf einer Anhöhe. Ein Sakralbau wie ein gebauter Schwung und präziser Pinselstrich. Das Grundstück am Rand von Estoril war ein vernachlässigtes Stück Land. Die Menschen bezeichnen diesen Teil als "Viertel des Endes der Welt". Es herrscht zwar viel Verkehr, aber ganz so schlimm empfand ich das Weltende nicht. Im Gegenteil, denn mit dem 2009 fertiggestellten Bau wurde nicht nur das Viertel aufgewertet. In den Komplex sind auch ein Gemeindezentrum, eine Schule und ein Kindergarten integriert. Der Kirchenraum ist wie die Auflösung des klassischen Kirchenbaus. Kein Längsschiff, kein Seitenschiff, nirgends ein Querhaus. Hier sitzt man in konzentrischer Weise um den Altar herum. Innenraum und äußeres Erscheinungsbild sind symbiotisch: eine fließende, geschwungene, freie Architektur.
Der gebaute Schwung mit dem präzisen Pinselstrich.
Estoril
Wer mit der Bahn aus Lissabon kommt, sollte am Bahnhof Estoril aussteigen. Autofahrer sollten für die Parkplatzsuche Zeit mitbringen, je nach Wochentag und Zeit. Am besten geht es zu Fuß entlang der Strandpromende, die Estoril mit Cascais miteinander verbindet. Markantester Bau ist das Casino. Es ist das größte in Europa, das älteste im Land und steht für den alten Estoril-Glanz. Portugal wurde während des Zweiten Weltkriegs und wegen der Neutralität des Landes zur Heimat vieler betuchter Exilanten, aber auch internationaler Spione, besonders Lissabon. Das keine 20 km entfernte Estoril hatte seit 1931 ein Casino, in dem gespielt, geplaudert und mit (geheimen) Informationen gehandelt wurde. Für den James Bond-Autor Ian Fleming war die Atmosphäre so inspirierend, dass die Spielbank zum Schauplatz seiner Geschichten wurde. Ein Drehort von "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" war das Casino. Damit fügt sich das Gebäude in die lange Reihe besonderer und berühmter 007-Bauten ein. 1968 ersetzte ein Neubau die alte Spielbank, entworfen von Filipe Nobre de Figueiredo aus Cascais (Atelier Daciano da Costa) und José de Almeida Segurado. Sie rückten das Casino von der Straße weg, legten den Park an, der das Gebäude in einer königlich-symmetrischen Art inszeniert. Schwarz, Glas, Stahl und Aluminium dominieren den massigen Bau der späten Moderne – ein kantiger Block, der aus vielen weiteren, ineinandergeschobenen Blöcken besteht. Das nahe Belle Époque-Grandhotel Palacio Estoril ist ein Jahr älter als das Casino und gehörte ebenfalls zur Show- und Star-Ära des Küstenortes.
Bei so viel Pomp und Pracht zeigt sich das Postamt des portugiesischen Architekten Adelino Nunes nüchtern und bescheiden. Ein Bau, der den "Staat als handlungsfähig und sorgetragend für die Gesellschaft" symbolisiert, wie es im "Architekturführer Lissabon" (DOM publishers) heißt. Es stand stellvertretend, so heißt es im Buch weiter, "für eine moderne Architektursprache." Das Postamt wie andere Gebäude aus der Zeit auch sollte die politische Erneuerung des Landes unter dem Regime des Diktators António Oliveira Salazar verdeutlichen. Zusammengefasst wird diese Architekturära des Landes unter dem Begriff des "Estado Novo", des "neuen Staates." Seit 1999 ist im Postamt das Museum "Ort der Erinnerung" untergebracht. Es zeigt in einer ständigen Ausstellung mit Fotografien, Dokumenten und Objekten die Zeit zwischen 1936 und 1955 als Estoril Heimat der Staatsmänner und Diplomaten, der adeligen Exilanten und betuchten Flüchtlinge, der Künstler und Spione war.
Die Architekturrecherche wurde unterstützt von Visit Cascais und TAP Portugal. Wir danken Pura Communications für die Mitorganisation.
Estoril
Eine Ortschaft mit knapp 27.000 Einwohnern (Stand 2011) und ehemalige Gemeinde im Kreis (Concelho) von Cascais. Es ist ein Seebad an der Costa do Estoril, der Küste im Westen der portugiesischen Hauptstadt Lissabon, etwa 18 km vom Stadtteil Belém. Estoril hat sich schon im frühen 20. Jahrhundert als eine der Attraktionen des portugiesischen Fremdenverkehrs etabliert. Mondäne Hotels und herrschaftliche Herbergen entlang palmengesäumter Alleen und eine gut angelegte Strandpromenade, die Estoril mit Cascais verbindet, zeichnen den Badeort aus. Die Fahrt mit dem Regionalzug Linha de Cascais von Lissabon nach Estoril (Ausstiegsbahnhof ist Estoril) und nach Cascais dauert keine 40 Minuten.
1. Festung S. Jorge Oitavos (Forte de S. Jorge de Oitavos)
Estrada do Guincho, 2750-642 Cascais. Täglich von 10–17 Uhr geöffnet, außer montags und an Feiertagen. Tel. +351 214 815 949.
2. Hotel The Oitavos
Wir waren während unserer Recherchen in diesem gläsern-lichten Puristiker-Traum untergebracht. In der Nebensaison bietet das Fünfsternehotel Zimmer zu vergünstigten Preisen. Wem das immer noch zu teuer ist, sollte sich wenigstens die Kunst im und am Haus anschauen. Beim Kaffee und mit Blick auf die Golflandschaft und den Atlantik kann man dann darüber sinnieren, ob The Oitavos nun ein Hotel mit viel Kunst ist oder ein Kunstraum mit angeschlossener Luxusherberge. Adresse: Rua de Oitavos, Quinta da Marinha. Tel.: +351 214 860 020
3. Kirche Senhora da Boa Nova (Igreja Senhora da Boa Nova)
Adresse: Rua Campo Santo 441. São João do Estoril.
4. Postamt Estoril (Estação dos Correios do Estoril – Espaço Memória dos Exílios)
Av. Marginal, 7152 A, 2765-247, Estoril 12. Öffnungszeiten montags–freitags von 10–18 Uhr.
5. Casino Estoril
Praca José Teodoro dos Santos. Von 15–3 Uhr.
Roseta Vaz Monteiro Arquitectos
Filipa Roseta und Francisco Vaz Monteiro sind Partner des 2001 gegründeten Lissabonner Architekturbüros. Beide haben an der de Arquitectura da Universidade Técnica de Lisboa studiert. Roseta ist zudem als Autorin tätig. Monteiro hat von 2006 bis 2008 in London für Foster + Partners gearbeitet.
Estado Novo-Architektur und die Távora-Siza-Entwicklung
Der Estado Novo, der "neue Staat" war ein totalitär-faschistisches Regime, das in Portugal von 1928 bis 1974 und damit fast ein halbes Jahrhundert andauerte. Es beendete die modernistischen Anfänge und ersetzte sie durch eine teilweise monumentale und neuklassizistische Formensprache. In den 1950ern waren die Forschungen von Keil do Amaral und dem Architekten aus Porto, Fernando Távora, zur volkstümlichen portugiesischen Architektur wichtig. Die Ergebnisse beeinflussten die nachkommende Architektengeneration nachhaltig, darunter vor allem Álvaro Siza Vieira, Portugals erster Pritzker-Preisträger (1992). Seine ersten Entwürfe wie z. B. Casas de Matosinhos (die Matosinhos-Häuser), Casa de Chá da Boa Nova (Teehaus), Quinta da Conceição (ein Stadtpark, im Zusammenarbeit mit seinem Professor in Porto, Fernando Távora) und die Piscina de Leça (ein Schwimmbad) zeigten schon damals die Stärken seiner Ideen: die behutsame Integration der zeitgenössischen Architektursprache mit den von Tradition und Geografie gekennzeichneten Ort. Kurz: die Verbindung aus Avantgarde und Lokalem. Konsequenterweise wurde er zu einem Anhänger des kritischen Regionalismus.
Kritischer Regionalismus
Eine Richtung der modernen Architektur, die funktional regionale Besonderheiten im Entwurf berücksichtigt. Anders als im Historismus oder der Postmoderne wird Tradition nicht oberflächlich zitiert, sondern in den Mittelpunkt der Ausführung gerückt. Allgemein strebt der kritische Regionalismus eine Relokalisierung der Moderne an und ist eine späte Gegenbewegung zum sogenannten Internationalen Stil. (Wikipedia)
Fernando Luís Cardoso Meneses de Tavares e Távora
25.8.1923 (in Porto) – 3.9.2005 (in Matosinhos, Portugal). Távora war ein portugiesischer Architekt und gilt als einer der Begründer der Schule von Porto. Er lehrte an den Architekturfakultäten in Porto und Coimbra. Berühmteste Schüler Távoras waren Álvaro Siza Vieira und Eduardo Souto de Moura.
Mehr über die Architektur an der Atlantikküste Portugals https://thelink.berlin/2016/11/haus-der-geschichten-paula-rego-casa-das-historias-paula-rego-eduardo-souto-de-moura-castro-guimaraes-santa-marta-zitadelle-kulturzentrum/