In der europäischen Kulturhauptstadt 2017, Teil 2 – H2Ø-City
Den Gamle By heißt "die alte Stadt". Wer Vorbehalte gegenüber Freilichtmuseen hat, sollte sich von der Anschaulichkeit und der Lebendigkeit dieses Ortes überzeugen lassen. Das Konzept von Museumsgründer Peter Holm: Epochen zeigen, die Geschichten in den Gebäuden erzählen, menschliche Schicksale wiederaufleben lassen. Als er das Museum 1909 gründete, nutzte er auch Imitationen. Das erste Gebäude, das er hierher holte, war ein Kaufmannshof aus dem 16. Jahrhundert. Seitdem ist eine kleine Stadt entstanden mit Wohnhäusern, Werkstätten, Bäckereien, Ställen, Tankstellen, Radiogeschäften, Jazzbars und den Museen.
Nur wenige Gehminuten von der alten Stadt entfernt, ist der Campus der VIA Universität Aarhus. Wir besuchen den Ort, weil er exemplarisch für die Studentenstadt Aarhus und für das von Architecture Project-Leiterin Serritzlew beschriebene Konzept der Vernetzung und Verbindung aller Beteiligten steht. Das aus Aarhus stammende Architekturbüro Arkitema hat einen Campus mit fünf Häusern und Bereichen für insgesamt 5.500 Studierende und 430 Angestellte entworfen. Für das Stadt-in-der-Stadt-Konzept schuf das 1969 gegründete und mittlerweile global arbeitende Büro einen Wissensplatz, die Lernstraße, das Kulturhaus und die Lern Cluster. Arkitemas Ansatz ist funktional und vernetzt und bringt die verschiedenen Bereiche in vertikaler und horizontaler Weise zusammen. Kompetenz und Wissen sollen sich, so die Planer, durch Nähe, Identität, Flexibilität und Professionalität entwickeln, gespiegelt durch die Achsen, Überlappungen und Transparenz der einzelnen Gebäudeteile. Dass der Campus ein Erfolg wurde, liegt auch daran, dass sich VIA-Universität, Bauunternehmer, Grundeigentümer und Beratungsteam auf die Kernpunkte einigen konnten, lange vor der Ausschreibung des Projekts.
Alles Wichtige miteinander verbinden. Sich durch die Komplexität ringen. Am Ende ein Resultat herbeiführen, dass die Essenz birgt, die pure Konzentration, das Neue aus den Verzweigungen holen. Genaugenommen wird das Motto des Kulturhauptstadtjahres "Let’s rethink" schon seit längerem in Aarhus praktiziert. Wie sonst könnte ich mir das Moesgaard Museum erklären. Denn in dem Bau für Archäologie, Ethnologie und Prähistorisches sind Architektur, Natur, Kultur und Geschichte zu etwas neuem geformt worden, das spektakulär und zurückgenommen, stark und sensibel zugleich ist.
Auf 16.000 Quadratmeter haben Henning Larsen Architects mit mit der Landschaftsarchitektin Kristine Jensens Tegnestue im hügeligen Buchenwald von Skåde südlich von Aarhus eine Gebäudelandschaft komponiert. Das auffälligste Merkmal ist das langgezogene, geneigte Dach, auf dem Gras, Moos und weitere Pflanzen wachsen. Eine der Vorgaben für das Projekt: der Bezug zur Umgebung. Die Lösung: das Eingraben des Museums, ähnlich einem Spatenstich eines Archäologen in ein Moorgebiet. Dass das nicht nur eine architektonische Extravaganz ist, sondern auch dem Museumsauftrag dient, zeigt sich in der Dauerausstellung über die Ur- und Frühgeschichte. Aus konservatorischen Gründen sollte auf Tageslicht verzichtet werden. Die Ausstellung über die Prähistorie mit Fokus auf dem skandinavisch-dänischen Raum lässt ihre Themen mit moderner Medientechnik und Projektionstechnik aufleben. Für die beeindruckende Schau wurden keine externen Dienstleister beauftragt. Technikmanager Johan Ahrenfeldt hat mit seinem Museumsteam alles selbst geplant, gestaltet und programmiert. Sie wählten die Ausrüstung aus, verantworteten die Installation und sorgen für die Instandhaltung. Die Verbindung aus Konzept und Technik macht die Urgeschichte zu einem fühlbaren, audiovisuellen Erlebnis, das nie in den Bombast eines Freizeitparks abdriftet, sondern stets den Fokus auf die Geschichte der Menschen der Vergangenheit behält. Der Weg in die Urgeschichte von Homo Sapiens und seinen Verwandten (und Konkurrenten) führt über die Evolutionstreppe, auf der täuschend echte Wachsfiguren-Homini stehen, die die Menschheitsgenerationen symbolisieren. Die Figuren sind von den Paläo-Künstlern Kennis & Kennis erschaffen worden. Vom Foyer können die Figuren dank eines digitalen Dioramas durch mediale Ferngläser betrachtet werden. Schon diese Technik zeigt, dass die Ausrüstung keine Spielerei ist, sondern dem Ziel dient, den Besucher so dicht wie möglich in die Welt der Vorfahren zu führen. Insofern wirkt der Henning Larsen-Bau wie eine Fortsetzung des Ausstellungskonzepts und der multimedial aufbereiteten Informationen und Animationen. Das Foyer ist klar und in seiner Größe erfassbar, am anderen Ende des Eingangs befindet sich das Café und Restaurant, ebenfalls übersichtlich strukturiert. Um die 200 Angestellte arbeiten im Haus und auf dem Gut am unteren Ende des Museums. Die Räume für Büros, Forschungen und Werkstätten sind im Nordwesten des Museums untergebracht, hier sind auch Konferenzsäle und Besprechungsräume. Dass das Gebäude funktional ist und als erstklassige Forschungs- und Bildungsstätte dient, erfüllt einen Teil der Vorgaben. Der andere Teil hingegen ist die kluge, ästhetische und konzeptionelle Verknüpfung aus Landschaft mit Architektur und hoher (Bau)Kunst.
Das Moesgaard Areal komplettiert mit seiner tiefgeerdeten Ruhearchitektur die neue Hafeneuphorie. Der an der Schnittstelle von Wald und Hügellandschaft liegende Prähistorienbau blickt stoisch gen Aarhusbucht. Fast wie eine Ermunterung. Baut mutig mit Bedacht. Und achtet das Wasser. Und die Menschen.
Unsere redaktionell unabhängige Recherchereise wurde von VisitAarhus und VisitDenmark ermöglicht und unterstützt. Teil 1 dieser Reportage: hier.
Aarhus
Zweitgrößte Stadt Dänemarks in der Region Midtjylland mit 330.000 Einwohnern. Sie liegt im Osten Jütlands an der Aarhusbucht und hat ihren Ursprung in einer Wikingersiedlung. Im Mittelalter war der Ort eine florierende Seehandelsstadt. Seit der Industrialisierung und dem Ausbau des Hafens hat sich die Stadt zum wirtschaftlichen Zentrum Jütlands entwickelt und verfügt über den größten Containerterminal des Landes und einen der wichtigsten Umschlagsplätze Nordeuropas. Maschinen- und Textilindustrie sind weitere wichtige Wirtschaftsfaktoren. Große Firmen wie Arla Foods, Hummel, Vestas haben ihren Sitz in Aarhus, insgesamt befinden sich vier der zehn größten Unternehmen Dänemarks in der Gemeinde von Aarhus. Die Universität Aarhus wurde 1928 gegründet. Heute gibt es über 50.000 Studierende. Seit 2008 verzeichnet die Stadt einen Bevölkerungszuwachs von 5.000 Menschen pro Jahr. 2017 sind Aarhus und Paphos auf Zypern die Kulturhauptstädte Europas.
Aarhus 2017
2017 ist Aarhus Kulturhauptstadt Europas. Die Region Midtjylland sowie die 18 anderen Gemeinden der Region unterstützen das Projekt. Politisch und kulturell handelt es sich um das bedeutsamste Projekt in Dänemark seit Jahrzehnten. Aarhus betont die Beteiligung als wichtigen Faktor. Denn das Projekt ist das Ergebnis eines Prozesses, an dem sich mehr als 10.000 Menschen aus der gesamten Region beteiligt haben. Das offizielle Motto „Let’s Rethink“ signalisiert, dass Aarhus 2017 die Region Midtjylland in ein kulturelles Laboratorium verwandeln wird, in dem alternative Lösungen wachsen und gedeihen können. 400 Veranstaltungen begleiten das Kulturhauptstadtjahr, von Kunstausstellungen bis hin zu Theater, Tanz, Musik, Lesungen sowie Festivals wie Rising Architecture Week.
Moesgaard Museum
Adresse: Moesgård Allé 15, 8270 Højbjerg. Öffnungszeiten: Di., Do.–So.: 10–17 Uhr, Mi.: 10–21 Uhr. Der Eintritt ist für unter 18jährige frei, Erwachsene zahlen DKK 140. Die Buslinie 18 fährt vom Hauptbahnhof in Aarhus bis zur Endhaltestelle Moesgaard in 26 Minuten.
Den Gamle By
Adresse: Viborgvej 2, 8000 Aarhus C. Öffnungszeiten und Eintrittskosten variieren. In den Sommermonaten hat die alte Stadt von 10–18 Uhr geöffnet, sonst von 10–17 Uhr. Eintritt schwankt zwischen DKK 75–135, für unter 17jährige ist der Zugang kostenlos.
Arkitema
Die Firma wurde 1969 in Aarhus von Helge Tindal, Ole Nielsson, Michael Harrebæk, Eriling Stadager und Lars Due gegründet, Absolventen der Aarhus School of Architecture, nachdem sie den Wettbewerb für die Gestaltung des Rathaus von Køge Town gewonnen hatten. Es wurde 1976 fertiggestellt. Ihr Aarhus City Tower mit 94 Meter Höhe und der dunklen Fassade wurde 2010 komplettiert. Hinzu kommen mehrere weitere Projekte im gesamten skandinavischen Raum. Das Büro beschäftigt um die 500 Angestellte und hat Niederlassungen in Kopenhagen, Stockholm, Oslo und Malmö.
Henning Larsen Architects
1959 vom dänischen Architekten Henning Larsen gegründet. Heute hat die Firma 300 Mitarbeiter an den Standorten Kopenhagen, München, Oslo, den Färöern, Riad und Hongkong. 2011 wurde das Konzerthaus Harpa in Reykjavík zu einem der weltweit zehn besten Konzerthäuser gewählt. In Deutschland ist die Firma besonders für den Bau des im Dezember 2011 eröffneten neuen Spiegel-Hauptgebäudes in der Hamburger Hafencity bekannt. Henning Larsen hatte in den 1950ern für Arne Jacobsen und Jørn Utzon gearbeitet, bevor er sein eigenes Büro eröffnete. Henning Larsen Architects unterhält eine Abteilung für Forschung und Nachhaltigkeit, dessen Ergebnisse stark in die Architektur einfließen. Das Büro hat unter anderem den Aga Khan Award (für das Außenministerium in Riad, Saudi-Arabien, 1989), den Mies van der Rohe Award for European Architecture für die Harpa (2012) und mehrmals den LEAF Award gewonnen.