Aarhus. Dänemark. Mit Arkitema, Schmidt Hammer Lassen, AART, CEBRA und 3XN kommen gleich fünf wichtige dänische Büros aus Aarhus. Neben diesen erschaffen junge Architekten Projekte, die die zweitgrößte Stadt des Landes zu einem Bauhotspot machen. Woran das liegt und warum Aarhus zu Recht die europäische Kulturhauptstadt 2017 ist, zeigen wir in unserer zweiteiligen Fotoreportage, inklusive Gesprächen mit dem Aarhuser Stadtarchitekten Stephen Willacy und Carina Serritzlew, CEO von "The Architecture Project".
"To review and to readdress."
Stephen Willacy, Stadtbaudirektor von Aarhus, über seinen Zugang zur Architektur in der Hafenstadt an der Ostsee
Aarhus bewegt sich. Die wohlhabende Industrie- und Wissensstadt in Jütland entdeckt die Ostsee neu und krempelt seine Wasserkante um. Mit dem Umzug des Containerhafens an eine andere Stelle bekam die Stadt plötzlich große Flächen, die sie nun für neue Stadtquartiere und Großprojekte nutzt. Sie heißen Dokk1, Navitas und Ø (Aarhus Ost) und repräsentieren den Aarhuser Aufschwung in der Architektur und Stadtentwicklung. Das alles kulminiert in den Titel, den die Stadt dieses Jahr trägt: europäische Kulturhauptstadt 2017. Als ob der Bauboom nicht schon genug wäre, haben die Verantwortlichen ein Eventdauerfeuer entfacht, deren Themen rund um “Diversity, democracy, sustainability” kreisen und 400 Veranstaltungen umfassen. Und da Vielfalt, Demokratie und Nachhaltigkeit sperrige Begriffe sind, münden diese in dem griffigen Slogan “Let’s rethink”. Gedanken neu ordnen, Bestehendes hinterfragen, Bewegung ermöglichen. Offenheit einfordern. Mit Arkitema, Schmidt Hammer Lassen, AART, CEBRA und 3XN stammen einflussreiche und wichtige Büros aus der jütländischen Hafenstadt. Die Firmen beschäftigen mehrere hundert Angestellte und machen sie auch im globalen Wettbewerb zu Architekturmaschinen. Sie tragen das berühmte “Danish Design” in die Welt hinaus, sicherlich auch beeinflusst durch die Jan Gehl-Philosophie der Bürgerrechtsarchitektur. Im Schatten der Großbüros konnten sich mehrere junge Gestalter entfalten und erschaffen ihrerseits Aarhus-Architekturen des 21. Jahrhunderts. Ein Faktor für die Hotspotwerdung: Beweglichkeit in der Kreativität, den Prozessen und vor allem in der vernetzten Zusammenarbeit. Stephen Willacy steht für diese Art der Herangehensweise. Als wir, die Kulturjournalistin Karen Grunow (Co-Autorin der Jean Krämer-Monografie) und ich, ihn in seinem Dienstbüro im Aarhuser Rathaus treffen, ist er frisch von einer Reise aus Kroatien zurückgekehrt. Der Stadtarchitekt und Stadtbaudirektor aus Großbritannien beschreibt die Stadtentwicklung seiner dänischen Wahlheimat der vergangenen zehn Jahre als eine der unbedingten Neuausrichtung. “Es geht und ging um die Neubewertung der Stadt, darum, dass man aufmerksam ist und besonderen Wert auf Innovation legt.” Für ihn bedeutet die nun überwundene Rezession: “To review and to readdress.” Fast zwangsläufig, dass das Motto der Kulturhauptstadt “Let’s rethink” werden musste. Denn, so Willacy, die Beteiligung der Menschen stehe im Zentrum jeder Idee und jedes Projekts – so, dass bisherige Prozesse geändert werden mussten. “Das aktive, lokale Engagement und die Beteiligung entscheiden über Erfolg oder Misserfolg. Gleichzeitig muss man einen Balance schaffen, zwischen eben dieser Beteiligung, wirtschaftlicher Anforderungen und der Nachhaltigkeit der Projekte.” An dieser Stelle leuchten “Diversity, democracy, sustainability” an vielen Punkten besonders auf. Und was heißt das konkret? Zum Beispiel im neuen Hafenquartier Ø, Aarhus Ost. Der Anteil der bezahlbaren Sozialwohnungen beträgt 25 Prozent und zahlreiche Studentenapartments bestätigen den Ruf der Stadt als Wissens- und Forschungsstandort. Über 50.000 der insgesamt 330.000 Einwohner sind Studierende. “Wir haben zudem auf Übergänge von privaten und öffentlichen Bereichen geachtet, denn das die Stadt grüner werden muss, ist ebenfalls Konsens. Daher haben wir die Investoren und Bauherren dazu verpflichtet, dass ein Teil ihrer jeweiligen Projekte öffentlich zugänglich sein muss.” Diese Öffentlichkeit und Zugänglichkeit passt auch zum Arbeitsplatz von Stephen Willacy. Das Rathaus wurde vom dänischen Großarchitekten Arne Jacobsen in Zusammenarbeit mit Erik Møller entworfen, 1941 eröffnet und gilt als Paradebeispiel des skandinavischen Funktionalismus. Der mächtige, 60 Meter hohe und im Vergleich zu den anderen Baukörpern überproportionale Uhrenturm ist nach wie vor ein wichtiger Bezugspunkt in der Innenstadt. Im Stadtbild fällt es wegen seiner erdig-marmornen Verkleidung aus dem norwegischen Porsgrunn auf. “Wir sind ein offenes Haus”, betont Pförtner und Hausverwalter Benny als er uns durchs Innere führt, Räume öffnet und auf viele Details hinweist. “Das Haus steht seit 1995 unter Denkmalschutz. Natürlich dürfen wir nichts an der Struktur ändern, aber das ist auch nicht nötig. Das Haus ist fantastisch und funktioniert für die heute über 400 Angestellten sehr gut.” Als Architekt stimmt Stephan Willacy in den Lobgesang auf den Jacobsen-Møller-Bau mit ein. Es sei ein Privileg in so einem Haus arbeiten zu dürfen. Auch er stellt die Vorzüge hervor: die Symmetrie, die Lichtführung, die Eleganz der Raumanordnung. Dann zeigt er am Stadtmodell die Transformation der Wasserkante. Bei der Größenordnung denke ich an großzügige Gesten, an überscharfe Renderings und Truman Show-Visualisierungen. Natürlich gibt es die auch hier, aber Willacy legt Wert auf Proportionen. “Ich arbeite lieber mit Modellen.” Mit ihnen könne man Architektur einordnen, die möglichen Auswirkungen wirken lassen, das Funktionale mit Ästhetik und Sichtachsen verbinden.
"Räume für Ideen schaffen, Bürger von Anfang an beteiligen, lokale Lösungen entwickeln."
Carina Serritzlew , CEO und Gründerin von "The Architecture Project" über den Ansatz der Interessensvertretung für Architektur, Bauwesen und Stadtplanung
Funktionalität, Verwandlung und Neuerfindung: das alles scheint hier auf eine gute Art gelungen zu sein. Das Resultat ist ein Ort, der Renommee als neue Kulinarikstadt Dänemarks, als Shoppingdestination Skandinaviens und als Platz für neue Architekturideen genießt. Das letzte Mal war ich in Aarhus vor fünf Jahren in einem Hotelturm am Wasser. Die Übernachtungsstätte ist mir nicht nur wegen ihrer lädierten Einrichtung in Erinnerung geblieben, sondern auch, weil die Umgebung ungeachtet ihrer Lage direkt an der Aarhusbucht trostlos wirkte. Tristesse trotz Wasserstadtstatus? Von wegen. Wie anders sieht die gleiche Stelle heute aus, Stichwort Hochstimmung am Hafen. Der Hotelturm steht an gleicher Stelle, ist zum Glück jedoch in den Hintergrund gerückt. Stattdessen ist dort das Dokk1 gelandet – vom Aarhuser Prestigebüro Schmidt Hammer Lassen entworfen und 2015 fertiggestellt. Das Multifunktionsgebäude vereint Bürgeramt, kinderfreundliche (Universitäts)Bibliothek, Veranstaltungszentrum und bietet eine vollautomatisch gesteuerte Tiefgarage. Gleichzeitig wird das Dokk1 als neuer Verteilerbahnhof des Ausbaus des Stadtbahnsystems fungieren. An dem neuen Tramsystem von Aarhus wird seit 2012 gearbeitet und heißt Aarhus Letbane, eins der wichtigsten Vorhaben, das Stadtarchitekt Stephen Willacy mit verantwortet. Aarhus Letbane ist eine Neuerfindung der alten Straßenbahn, die bis 1971 existierte. Das Dokk1 markiert die Schnittstelle von altem Stadtkern, Gewerbegebiet und neuem Quartier. Es ist das Tor zum Ø, dem neuen Stadtteil im alten Containerhafen. Als Schnittstelle versteht sich auch "The Architecture Project", 2012 von Carina Serritzlew in Aarhus gegründet. Zusammen mit Signe Marie Davidsen erklärt sie uns im Gespräch im Dokk1, dass sich "The Architecture Project" als Cluster versteht, in dem Architektur, Stadtplanung und Bauwirtschaft partnerschaftlich kooperieren. "Es geht darum, die Menschen aus den verschiedensten Bereichen zusammen zu bringen mit dem Ziel die Stadt lebenswert zu machen", so Serritzlew, die vor der Projektgründung als Kuratorin und Museumsdirektorin an verschiedenen Kulturhäusern gearbeitet hat. Sie und Davidsen betonen, dass es auch um "mindset" geht, darum, die Denkweisen für Andere zu öffnen. "Räume für Ideen schaffen, Bürger von Anfang an beteiligen, lokale Lösungen zu entwickeln." Klingt wie "Let’s rethink". Absolut, so die Beiden. Und konkret? Serritzlew und Davidsen verweisen auf den sozialen Aspekt der Architektur und Stadtplanung, auf den 25 prozentigen Sozialwohnungsanteil im neuen Hafenquartier, auf die Integration von Urban Farming, auf die Verpflichtung der Investoren, Platz für die Öffentlichkeit in ihren Vorhaben zu integrieren. "Aarhus wächst pro Jahr um 5.000 Menschen. Für die Stadt unserer Größe ist das viel. Für die Seele von Aarhus ist es wichtig, Entwicklungen voranzutreiben, die im besten Fall eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten sind." Um Kreative, Stakeholder und Entscheidungsträger zusammenzubringen, schuf Serritzlew mit ihrem Team das "Rising Architecture"-Festival. Die Premiere 2015 war so erfolgreich, dass die nächste Ausgabe passend zum Kulturhauptstadtjahr stattfindet, vom 11. bis zum 15. September 2017. Ist das die Stärke von "Danish Design"? Prozesse und Strukturen hinterfragen und die neuen Gedanken in handfeste Lösungen zu formen? Die "Architecture Project"-Verantwortlichen geben zu, dass große Themen wie Partizipation und Sozialverträglichkeit in der Architektur noch mehr Fragen schaffen, dass es Zeit brauche, aber es oft schon viel bringe, wenn die Leute miteinander redeten. Nach dem Gespräch will ich endlich sehen, wie es Aarhus schafft, wuchtige, global formulierte Themen in fassbare Formen zu gestalten. Von Dokk1 bis zur neuen Hafenstadt sind es etwa 30 Minuten zu Fuß, vorbei am Navitas, dem Lehr- und Forschungszentrum von Kjær & Richter aus Aarhus in Kooperation mit Christensen & Co. (Fertigstellung 2014), am Fährterminal für die Aarhus-Sjaellands Odde-Verbindung, an Baustellen, Absperrungen und dem Salling Tower, bevor man schließlich das Ø-Quartier rund um den Isbjerget erreicht. Der Eisberg ist eine Koproduktion der vier Architekturbüros CEBRA, JSA, SeARCH und Louis Pailllard aus Dänemark, den Niederlanden und Frankreich. Das Ziel für die 210 Wohnungen mit 25.000 Quadratmeter Wohnfläche war die größtmögliche Tageslichteinstrahlung und Sichtbezüge zur Bucht der Stadt bei gleichzeitiger Mischung der Wohntypologien. Die Lösung: die Nutzung der Variantenvielfalt von Dreiecken. Die Kombinationsfähigkeit der triangulären Formen erlaubt die Gestaltung von kleinen Apartments und großzügigen Penthouse-Wohnungen von 55 bis weit über 200 Quadratmetern. Vier L-förmige Blöcke orientieren sich gen Wasser und wurden von den Architekten hintereinander gruppiert. Durch die Zackenform und die schrägen Flächen, so die Planer von CEBRA, kann das Tageslicht optimal genutzt werden, ermöglicht Ausblicke auf die Bucht und den neuen Containerhafen und spielt mit den Sichtachsen zwischen den einzelnen Gebäudeteilen und dem Wasser. Dass im neuen Hafenwohngebiet der Bezug zum Wasser präsent ist, liegt an der Verschiedenartigkeit der Architekturen, aber auch an der Zugänglichkeit. Die Bauten schotten sich nicht ab, die meisten öffnen sich und halten die Balance aus Innenhof-ähnlicher Intimität und einladender Durchlässigkeit. Demnächst soll im Quartier das höchste Gebäude Dänemarks mit 120 Meter Höhe entstehen, ein weiteres Leuchtturmprojekt. Alltagseinrichtungen wie Supermärkte, Bäckereien, Spielplätze und Gastronomie sind rar gesät. Cafés und Restaurants sind auf der anderen, stadtnahen Seite am Fiskerikajen geplant. Die Entstehung eines neuen Stadtquartiers für über 10.000 Menschen brauche Zeit, so Stephan Willacy, der Stadtarchitekt. Er konstatiert: "Das hier hatte mehrere Jahrhunderte Zeit, um zu wachsen und zu entstehen", und zeigt im Stadtmodell im Rathaus auf die Innenstadt rund um den Bahnhof, um in der nächsten Handbewegung auf den Hafen zu zeigen. "Das hier jedoch ist erst seit Kurzem da, das Dokk1, Navitas und Aarhus Ost. Auch dass das Grün noch fehlt, liegt schlicht daran, dass Bäume einfach Zeit brauchen, um zu wachsen."
"Visible from afar, the work divides Aarhus into various colour zones and acts as a beacon for people moving about the city ..."
Studio Olafur Eliasson über Your rainbow panorama, 2011
Wir verlassen das Wasserquartier und wenden uns vier Arealen zu, die zum einen für 500 Jahre Stadtkultur, zum anderen für den Aarhuser Architekturaufschwung stehen. Denn auch an anderen Stellen ist Architektur mit Anspruch entstanden. Dazu geht es zurück in die Innenstadt am Rathaus vorbei zu dem Gebäude, das Aarhus auf die internationale Kultur- und Kunstkarte gesetzt hat: das ARoS. Das zentrale Kunstmuseum der Stadt ist zugleich eins der größten in Nordeuropa. Es vereint Räume für Sonderausstellungen und die "Neun Räume" mit internationaler Installationskunst. Die großen Säle der oberen Etagen beherbergen die Kunstsammlungen des Museums ab dem 19. Jahrhundert. Der wortwörtliche Höhepunkt ist die Installation Your rainbow panorama von Olafur Eliasson. Mit seinem Studio hatte der dänisch-isländische Künstler 2007 den Wettbewerb für die Umwandlung des Dachs des ARoS gewonnen. 2011 war Your rainbow panorama fertiggestellt: eine 150 Meter lange ringförmige Skulptur mit 116 individuellen Scheiben in 42 Farben. Der begehbare, drei Meter breite und drei Meter hohe Rundweg leuchtet in allen Facetten des Farbspektrums. Er ruht auf schlanken Säulen etwa drei Meter über der Dachterrasse und ragt mit seinen 52 Meter Durchmesser über die Seiten des ARoS hinaus. Diese Krönung kontrastiert mit dem eher nüchternen Backsteinbau von Schmidt Hammer Lassen, der im Inneren mit seinem schwungvollen Treppenturm den Regenbogen auf dem Dach andeutet. Das Spiel mit Farben und Formen, der weite Rundumblick, die Verbindung aus Architektur und Kunst – das alles macht das ARoS zu einem spektakulären Bau, das sich als Kunstmuseum zu einem der besucherstärksten Häuser in Skandinavien entwickelt hat. 2015 kamen knapp 820.000 Menschen. Im zweiten Teil geht es jahrhundertealte Stadtkultur, die Lern- und Forschungsstadt von Arkitema und den beeindruckend vergrabenen Kantenbau von Henning Larsen Architects südlich von Aarhus.
"For me, architecture is more about creating spaces and environments that accommodate the people working and living in them. All through the process it is important for us as well as the client to have an environment that is inspiring and designed with the human being in full focus. I believe that architecture creates behavior."
Kim Herforth Nielsen, Gründer und Geschäftspartner von 3XN
Unsere redaktionell unabhängige Recherchereise wurde von VisitAarhus und VisitDenmark ermöglicht und unterstützt. Zum zweiten Teil der Reportage: hier.