Mondrian bis Dutch Design, I. – Architekturschmetterlinge
Auf Reisen / Reportage:Eine Zeitschrift macht Design- und Kunstgeschichte. Als der Architekt und Schriftsteller Theo van Doesburg von Utrecht nach Leiden zog und dort das Kunstjournal "De Stijl" gründete und 1917 erstmalig publizierte, entwickelte es sich schnell zur Plattform einflussreicher Künstler. Mit dabei waren Piet Mondrian, Gerrit Rietveld, J.J.P. Oud, Cornelis van Eesteren, Bart van der Leck, Jan Wils – Maler, Architekten, Bildhauer, Dichter. Ein neuer, universeller Stil, der das Verlangen einer modernen Gesellschaft widerspiegelte – das war es, was die Kreativen von De Stijl suchten. Bei dieser Erkundung beschränkten sie sich nicht auf die Malerei, Bildhauerei und Architektur. Möbeldesign und –bau, Kleidung, Reklame, Straßen und ganze Städte waren ebenfalls Teil ihre Neudefinitionen. Stahlskelette, Betonkonstruktionen und Fensterspiegelfassaden gelten als wichtige Impulse für die fortschrittlichen Ideen der De Stijlisten.
100 Jahre nach der Erstausgabe des Magazins "De Stijl" wirken die geometrisch-abstrakten Bauhaus-verwandten Formen in Kunst und Architektur nach wie vor so wie damals konzipiert: puristisch, reduziert, konzentriert. Während es 2017 also vor Selfiemanie und Digitaldröhnen nur so Trump-etet, erscheinen die Kombinationen rot-gelb-blau und schwarz-grau-weiß wie eine Besinnung, ein Innehalten und ein Weniger ist mehr-Flüstern.
Und weil De Stijl 2017 nichts von seiner Wirkungskraft verloren hat, prägten NBTC Holland Marketing gemeinsam mit diversen Partnern das Jubliläumsmotto "Mondrian bis Dutch Design". Überall im Land finden zu dieser Marke Ausstellungen und Veranstaltungen statt. Für meine Recherchereise hat mir das holländische Tourismusbüro eine Recherchereise mit drei Städten zusammengestellt, die exemplarisch für De Stijl stehen: Leiden, Den Haag und Utrecht.
Open Air Museum de Lakenhal in Leiden
Die Kreativen lachen ein wenig gequält, als wir auf dem Het Gerecht-Platz mit dem "Maison d'Artiste" stehen. Die Qual rührt nicht vom Nachbau des von Theo van Doesburg geschaffenen Wohn- und Künstlerhaus. Im Gegenteil, die Künstler und Gastkuratoren Iemke van Dijk und Guido Winkler zusammen mit der Kuratorin und Projektmanagerin Resi van der Ploeg sind sichtlich stolz auf den Nachbau. Mit Windschutzscheiben-Rakeln wischen sie es trocken und säubern es von Verschmutzungen. Um das Modell im Maßstab von 1:5 wurden Spielburgen und Kindertheater aufgebaut. Kinder rennen umher, Erwachsene wachen über die Szenerie. Für meine Kreativ-Begleitung wird das Künstlerhaus zu sehr in den Hintergrund gerückt. Für mich ist die Konstruktion trotzdem sehr präsent wie auch die berühmtesten Insignien von De Stijl: die horizontalen und vertikalen Linien in Primärfarben. Bei meiner Drei-Städte-Tour durch Leiden, Den Haag und Utrecht werde ich diese Konturen in vielfältiger Form erleben. Sie sind überall: an den Fassaden von Warenhäusern und Bürobauten, an Taschen und Fahrzeugen, auf Bürgersteigen und USB-Speichersticks. Insofern stellen Hüpfburgen und Kindertheater keine Gefahr dar. Das Maison d'Artiste wurde vom Architekturprofessor Mick Eekhout und Studierenden der Universität Delft rekonstruiert. Das Modell ist Teil der Open-Air-Ausstellung des Museums "De Lakenhal" mit dem Motto "100 Jahre nach De Stijl". 20 internationale und nationale Künstler*innen schufen monumentale Wandbilder auf Grundlage der vor 100 Jahren postulierten Kunstrichtung. Die Werke stehen unweit des Maison d'Artiste. Zu sehen sind grafisch-abstrakte Bilder mit Kraft und Wirkung, die so verschieden sind wie die Urheber*innen, mal träumerisch-tänzelnd, mal irritierend-entschlossen und immer wieder mit der Wahrnehmung und der Subjektivität spielend. Zum Beispiel, die geometrisch-räumliche Arbeit von Brent Hallard, die passenderweise auch noch "Architectural Butterfly" heißt. Der Architekturschmetterling besteht aus vier Farbflächen, die sich gegenseitig beeinflussen und die Wahrnehmung des Betrachters verändern. Raum, Farben und Perspektiven werden tatsächlich zu einem Flügelwesen, der sehr frei erscheint.
Van Dijk, Winkler und van der Ploeg betonen beim Gespräch, dass es ihnen auch um den heutigen Stand und Wert von De Stijl geht. Wie hat sich die Kunstrichtung weiterentwickelt? Wo steht sie heute? Bei der Umsetzung beschäftigte sie auch das Wechselspiel aus öffentlichem Raum und Kunst. Denn ursprünglich sollten die Wände in einem eher postindustriellen Umfeld stehen. Umso stärker fällt der jetzige Auftritt aus. Der "De Stijl 2.0 Global" scheint auf dem Pieterskerkhof zunächst wie ein von Herrenhaus-Architektur in Backstein umrahmter Kunstfremdkörper zu sein. Doch wenn von den Spaziergängern, Flaneuren und Vorbeieilenden die meisten stoppen, innehalten und das obligatorische Selfie machen, scheinen die drei Macher*innen etwas richtig gemacht zu machen. Was Iemke van Dijk gerne bestätigt: "Ich liebe es, wenn die Leute mit der Kunst interagieren. Manche vollführen artistische Einlagen zu ihren Fotos, manche bleiben minutenlang vor einem Wandbild stehen."
Das wiederum klingt souverän und nach Kunst, die im Jahr 2017 angekommen ist. Und nach einer gelungenen Bestandsaufnahme. Die abstrakte Kunst des 21. Jahrhunderts scheint hellwach zu sein, ohne die De Stijl-Gedankenwelt des 20. Jahrhunderts zu vergessen.
Unsere redaktionell unabhängige Recherche wurde vom Niederländischen Büro für Tourismus & Convention (NBTC) zusammen mit Leiden Marketing ermöglicht.
100 Jahre De Stijl
Die Niederlande feiern das Themenjahr "Mondrian bis Dutch Design" mit mehreren Ausstellungen und Veranstaltungen. 2017 jährt sich die Gründung der niederländischen Zeitschrift "De Stijl" durch Theo van Doesburg zum 100. Mal. In dem Kunstmagazin gaben berühmte Künstler wie Piet Mondrian, Gerrit Rietveld und Bart van der Leck das Gedankengut der Kunstbewegung "De Stijl" wieder – eine Kunstrichtung, die das "Dutch Design" noch heute stark beeinflusst.
Open Air Museum De Lakenhal
Adresse: Pieterskerkhof, 2311 SR Leiden. Von 2.6.17–27.8.17. Die Kunstwerke sind frei zugänglich.
THE LINK Tipp
Wer nach ausführlicher Erkundung der Freiluftausstellung und des Maison d’Artiste eine Gastropause braucht, kehrt in das kleine Café Old School (Pieterskerkhof 4-A) oder gleich in das Restaurant De Klok (Kloksteeg 3). In ersterem gibt es gutes Barista-Niveau, im letztgenanntem ambitioniert-mediterrane Küche.