200 Jahre KIT – Stein, Stahl und Geist
Hendrik Bohle /Das Herz der Stadt schlägt wieder – mit U-Bahn-Anschluss, Wasserspielen und akzentuiertem Grün. Oberbaudirektor Friedrich Weinbrenner ließ den zentralen Karlsruher Marktplatz ab 1807 als bürgerliches Gegengewicht zum Schloss errichten. Die steinerne Anlage hat die Anmutung eines römischen Forums und liegt auf der zentralen Achse der Fächerstadt. Im nördlichen Bereich steht die ikonische Pyramide über der Gruft des Markgrafen und Stadtgründers Karl Wilhelm. Sie wurde 1825 anstelle der 1807 abgebrochenen Konkordienkirche errichtet. Der Steinbau mit drei übereinander liegenden, gewölbten Räumen ersetzt ein früheres hölzernes Provisorium und ist heute eines der Wahrzeichen der Stadt. Weitere klassizistische Bauten säumen den Platz und machen ihn zu einem der schönsten im Land, darunter markante Repräsentationsbauten wie das Rathaus und die gegenüberliegende evangelische Stadtkirche. Im benachbarten Lyceum (1807 und 1824) waren an prominenter Stelle die ersten Unterrichtsräume des Polytechnikums untergebracht. Sie entstand unter anderen aus einem Zusammenschluss der Ingenieurschule Johann Gottfried Tullas und Friedrich Weinbrenners privater Bauschule. Sie war bei Ihrer Gründung 1825 eine der ersten ihrer Art im deutschsprachigen Raum. Weinbrenner hatte bereits in seiner Bauschule das Ziel verfolgt, Theorie und Praxis stärker miteinanderzu verzahnen. Nach einer grundlegenden Reform entwickelte sich das Polytechnikum ab 1832 zu einem Musterinstitut, das wesentliche Impulse für die Entwicklung Polytechnischer Schulen zu Technischen Hochschulen setzte. Weinbrenner selbst bildete über hundert Schüler aus. Der badische Baumeister zählt neben Karl Friedrich Schinkel in Berlin und Leo von Klenze in München zu den bedeutendsten Vertretern des Klassizismus in Deutschland.
Neue Schule an neuem Ort
Schnell wurde es eng am Marktplatz und bereits 1833 konnten nur einige hundert Meter weiter östlich die ersten eigenen Unterrichtsräume bezogen werden. Die kluge Wahl des Standortes in einer Baulücke unweit des Schlossviertels machte die spätere Entwicklung des heute weitläufigen und zusammenhängenden Campus Süd erst möglich. Baumeister des neuen Hauptgebäudes war ein ehemaliger Schüler Weinbrenners. Heinrich Hübsch trat 1827 mit nur 32 Jahren die Nachfolge seines Lehrers als Stadtarchitekt und Mitglied der Baukommission an. 1832 übernahm er auch die Leitung der Bauschule, an der er bis 1853 unterrichtete. Hübsch wandte sich in deutlichen Worten gegen den bis dahin stadtprägenden Klassizismus. Fortan bestimmte seine Auffassung die Lehre und Architektur in Karlsruhe und darüber hinaus. Hübsch bevorzugte den Rundbogenstil, eine frühe Variante des aufkommenden Historismus mit klaren Bezügen zu den Palazzi der italienischen Renaissance. So wurde bis 1836 einer seiner ersten Bauten in neuer Wölbtechnik vollendet. Anstatt in damals klassischen Putz hüllte er die Schule in eine streng geordnete Fassadenarchitektur mit roten, fein bearbeiteten Sandsteinquadern und schlichten Verzierungen.
Aufgrund rasch steigender Studierender wurde auch sein Schulpalazzo zügig zu klein. Neben mehrerer Anbauten und dem Neubau der benachbarten Maschinenbauschule durch Friedrich Theodor Fischer entstand in den 1850er-Jahren gegenüberliegend das Chemische Laboratorium von Hübschs Schüler Heinrich Lang. Beide lehrten am Polytechnikum.
Ab Mitte der sechziger Jahre übernahm eine neue Architektengeneration. Sie hielt an der Tradition, Institutsgebäude durch eigene Hochschullehrer zu planen, fest. Ein wesentliches Beispiel ist der Aulabau des jungen Josef Durm. Anders als Fischer und Lang kritisierte er das Festhalten am Rundbogenstil. Er orientierte sich an der Neorenaissance eines Gotfried Semper. Durm gruppierte seine vierflügelige Anlage um zwei Lichthöfe und kleidete sie in Sandstein und Terrakotta. Das heutige Kulturdenkmal war der erste Bau auf dem um den ehemaligen Fasanengarten erweiterten Areal. Weitere Solitäre entstanden ohne übergeordneten städtebaulichen Bezug. „Ein Zustand, den der Campus bis heute prägt“, sagt Dr. Gerhard Kabierske. Er betreute bis 2020 das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau am KIT. „Jeder wollte der Hochschule seine Handschrift geben. Mit jedem neuen Professor kam ein neuer Ansatz. Diese Ambivalenz spürt man bis heute, vor allem im Winter, wenn das dichte Grün die Bauten nicht mehr zusammenhält. Es ist aber auch ein Glück, denn an keinem anderen Campus lässt sich die 200jährige Architekturgeschichte der deutschen Hochschullandschaft konzentrierter erleben als hier.“
Bemühungen, die städtebauliche Situation zu heilen, gab es immer wieder. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums und zum Gedenken an die mehr als 200 im Krieg gefallenen Universitätsangehörigen gestaltete Max Laeuger 1925 den Ehrenhof hinter dem Hauptgebäude für die Aufstellung der Broncestatue „Fridericiana“ um. Laeuger war zu diesem Zeitpunkt Professor für Innenarchitektur und Gartenkunst, sowie ein Vertreter der Reformbewegung. Sein ursprünglicher Entwurf war ein Gesamtkunstwerk aus architektonischen, gartenkünstlerischen und plastischen Elementen. Durch umfassende Umbauten im Zuge einer Restaurierung 1975 ist die ursprüngliche Erscheinung leider nicht mehr erhalten. Der Ehrenhof veranschaulicht aber bis heute die Haltung, Bauwerke und Umgebung gemeinsam mit der Kunst zu denken. Bereits seit Gründung des Polytechnikums entstanden Objekte als bauplastischer Schmuck, als Denkmalsetzungen oder als Innenraumgestaltung. Den Beinamen „Fridericiana“ erhielt die Hochschule 1902 anlässlich des 50-jährigen Regierungsjubiläums des Großherzogs.
Als einer der wenigen Hochschulvertreter des Neuen Bauens schuf Hermann Reinhard Alker in der Zwischenkriegszeit das Karlsruher Universitätsstadion. Von der weitläufig in den Hardtwald geschlagenen Anlage ist leider nur noch der Tribünenbau erhalten. Bis heute verblüfft der axialsymmetrische Ziegel- und Kunststeinbau mit seiner Klarheit und sachlichen Eleganz bis ins kleinste Detail. Nur einige hundert Meter weiter entstand 1929 die strahlend weiße Mensa nach Plänen des Architekten Friedrich Hirsch. Der im Krieg stark beschädigte Bau wurde 1995 durch Veit Ruser und Roger Strauß, 2016 dann von SWS Architekten umgebaut. Das Studentenhaus beherbergt derzeit eine Cafeteria, einen Festsaal und Büros der Verwaltung, sowie ein Studierendenwohnheim.
Zertrümmerung und Neuanfang
Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren 40 % der Gebäude zerstört. Die Zukunft der Hochschule war ungewiss. Nachdem einige Jahre Zwischenlösungen bezogen waren, gab schließlich das 125-jährige Jubiläum den Anstoß für einen rasanten Wiederaufbau, auch vorangetrieben von Egon Eiermann. Er hatte 1947 als Nachfolger Herman Alkers und Vertreter einer kompromisslosen modernen Baukultur den Lehrstuhl für Architektur bezogen. Insbesondere die Erweiterungen in den 1950er- und 1960er-Jahren griffen im Norden bis weit in den Hardtwald hinein und führten im Westen bis an den Schlosspark. Otto Ernst Schweizer, Professor für Architektur und Städtebau, legte 1952 einen Plan nach dem Prinzip eines offenen und „elastischen“ Systems der Bebauung unter Einbindung von Grün- und Freiflächen vor.
Leider stand seiner Idee einer grünen Hauptentwicklungslinie nach Norden Alkers Hochschulstadion im Weg. Es musste bis auf den Tribünenbau weichen. An seiner Stelle entstanden bis 1968 die brutalistischen „Chemietürme“ von Schmitt, Kasimir + Partner. Direkt dahinter wuchs Erich Schellings „Physikhochhaus“ aus Beton und Stahl in den Himmel. Der gegenüberliegende Bücherturm von Otto und Peter Haupt begründete bereits 1966 den Anfang der Campus-Skyline. Alle entstanden in einer neuen typisierten Fertigbauweise, die am Karlsruher Campus entwickelt wurde. „Und sie wirkte weit darüber hinaus“, legt Gerhard Kabierske dar. „Auch die Ruhr-Universität in Bochum und die naturwissenschaftlichen Institute der Philipps-Universität Marburg entstanden in dieser neuartigen Typenbauweise.“ 1967 wurde die Hochschule zur Universität. Die Anzahl der Studierenden und Lehrstühle stieg in den 1960er-Jahren stark an. Der Campus verdichtete sich. Neben weiterer Gebäude entstand mit dem ambitionierten „Kunst-am-Bau-Programm“ des Landes Baden-Würrtemberg eine Fülle an Kunst im öffentlichen Raum. Sie macht den Campus Süd bis heute zu einer weitläufigen Open-Air-Galerie der Kunst und Baukultur.
Fusion und Neuausrichtung
2006 ging die Technische Universität Karlsruhe (TH) eine Kooperation mit dem Forschungszentrum Karlsruhe ein. Dem neu fusionierten KIT (Karlsruher Institut für Technologie) wurde noch im selben Jahr der Titel deutsche „Eliteuniversität“ zuerkannt. Es besitzt derzeit elf Fakultäten und über 140 Institute mit etwa 270 Professorinnen und Professoren. Unter den etwa 18.000 Studierenden zählen fast 2.500 ausländische aus mehr als 80 Ländern
Mit der Fusion bekam die Tradition der „hochschuleigenen Architektur“ Risse. Fortan entstanden auch Bauten von anderen Architekt*innen. Heute stehen auf dem etwa 56 Hektar großen und stark durchgrünten Areal vorwiegend Bauwerke als Solitäre von über 150 verschiedenen Architektinnen und Architekten, darunter Heinrich Hübsch, Josef Durm, Hermann Reinhard Alker, Egon Eiermann, sowie Bruno Fioretti Marquez und Bernhardt & Partner Architekten. Die Vielfalt architektonischer Stile – vom Rundbogenstil des 19. Jahrhunderts über den Typenbau der Nachkriegszeit bis hin zu zeitgenössischer Architektur – unterstreicht die Innovationskraft und Flexibilität des KIT. Der Campus selbst wandelt sich nach und nach zu einem nunmehr autofreien Quartier mit Wildwiesen, Pop-up-Bars und Open-Air-Kunst. Bei der Freiraumgestaltung, den Durchwegungen und der Pflege ist noch einiges zu tun. Gleichzeitig bildet der Campus Süd, mit dem Schlosspark, dem Botanischen Garten und dem Hardtwald schon jetzt eine zusammenhängende Grünfläche im Herzen der Stadt – beste Vorraussetzungen also für eine lebenswerte Stadt der Zukunft.