70 Jahre Planstadt – Stadt der Bäume
Auf Reisen / Reportage:Ein Zeichen an Italien: das neue Gorica als Ausdruck des nationalen Selbstbewusstseins, der Modernität und Aufbruchsstimmung
Unter Slowenen genießt Nova Gorica heute keinen sonderlich herausragenden Ruf. Selbst Architekten und Architekturwissenschaftler raten nur selten zum Besuch, obwohl der Plan ursprünglich von Edvard Ravnikar stammt, der die slowenische Architektur bis heute prägt. Als Grund dafür wird meist die wechselvolle Realisierungsgeschichte der Stadt an der italienischen Grenze angeführt, während der Ravnikars Originalpläne mehrfach geändert wurden. Dennoch zeigt Nova Gorica heute mehr denn je eine der zentralen Ideen des Architekten und Stadtplaners.
Zunächst ist jedoch die Entstehungsgeschichte der Stadt interessant. Auf dem Bahnhofsvorplatz, der heute „Trg Europe“ heißt, ist sie bis heute sichtbar. Im Frieden von Paris 1947 trennten die Alliierten die historische Stadt Gorica (italienisch: Gorizia, deutsch: Görz) vom Bahnhof und schlugen sie Italien zu. Auf der jugoslawischen Seite verblieb nur der Bahnhof, der in den Partisanenkämpfen entscheidende Bedeutung erlangt hatte, eine Häuserzeile und kleinere Vorstadtsiedlungen auf der anderen Seite der Gleise. Heute markieren einige Blumenkübel die absurde Grenzziehung mitten durch den Platz. Mehr noch als die geringe Nutzbarkeit des Bahnhofes im Niemandsland, war es wohl die Schmach, als die Jugoslawien die Grenzziehung empfand, die die Tito-Regierung dazu bewog, auf der slowenischen Seite eine komplett neue Planstadt zu errichten. Das neue Gorica sollte Ausdruck des nationalen Selbstbewusstseins, der Modernität und Aufbruchsstimmung des jungen Staates und ein deutliches Zeichen an Italien, unter dessen faschistischer Führung die jugoslawischen Teilrepubliken maßgeblich gelitten hatten, sein. Edvard Ravnikar war aus verschiedenen Gründen prädestiniert für die Planung, zum einen hatte er 1939 für ein halbes Jahr mit Le Corbusier gearbeitet und dessen Ideen nach Jugoslawien gebracht, zum anderen war er selbst ab 1942 in italienischer Gefangenschaft, zuletzt im Konzentrationslager Renici-Anghiari, wo beeindruckende Zeichnungen, Bilder und Tonarbeiten von ihm entstanden.
1947 wurde Ravnikar mit der Planung der Stadt beauftragt, 1948 erfolgte die Grundsteinlegung. Ravnikar sah ein langgezogenes Rechteckraster aus breiten Alleen vor, sowie eine klare Einteilung der Stadt in Wohnen, Arbeiten, Verwaltung und Freizeit. Die zentralen Rechtecke bilden eine Achse aus Fußgänger-Einkaufszone und Verwaltungs- und Kulturbereich, an dem sich um eine Rasenfläche gruppiert heute das Rathaus von Vinko Glanz (1950) und das postmoderne PDG Theater und Kulturzentrum von Vojteh Ravnikar (1994), der nicht mit Edvard Ravnikar verwandt ist, befindet. Von Edvard Ravnikar selbst sind heute noch die sogenannten „russischen“ Wohnblocks sowie das Apartment- und Geschäftshaus „Cebelnjak“ (Bienenstock) zu sehen.
35 Jahre nach Beginn seiner Planungen schrieb Edvard Ravnikar:
Die Bitterkeit dieses Zitates wird schnell verstehbar, wenn man weiß, wie rasch dem Architekten die Planung aus der Hand gerissen wurde. Das eigentlich von ihm als erstes Gebäude der neuen Stadt geplante Rathaus, das zeichenhaft die neue Zeit einläuten sollte, wurde nicht gebaut. Dann wanderte die Zuständigkeit für das Gesamtprojekt von der nationalen auf die regionale Verwaltungsebene, die mit Ravnikar nicht mehr kooperierte, sondern andere, wechselnde Generalplaner einsetzte, die die ursprünglichen Pläne immer wieder veränderten. Bedingt dadurch schritt der Bau der Stadt wesentlich langsamer voran als geplant. Was einmal aus einem Guss entstehen sollte, stellte sich noch Jahre später als eine Straße mit wenigen realisierten Gebäuden und viel Brachland dar.
Vielleicht würde heute Edvard Ravnikars Urteil über Nova Gorica milder ausfallen. Nicht nur weil mittlerweile einige sehenswerte Gebäude der nachfolgenden Architekten-Generationen, von Ofis, Sadar+Vuga und Ravnikar Potokar die Stadt ergänzen, sondern vor allem, weil eine wesentliche Idee Ravnikars heute die Stadt in einzigartiger Weise prägt. Wer die beeindruckenden Entwurfszeichnungen des Architekten kennt, wird bemerkt haben, dass dort im Vordergrund fast immer Blätter in das Bild hineinragen. Majda Kregar, Schwiegertochter Ravnikars und selbst Architektin, die große Teile seines Nachlasses bewahrt, erzählt, dass Ravnikar dabei nicht dekorative Interessen verfolgte, sondern eine innige Liebe zu Bäumen und Pflanzen hegte und tatsächlich die umgebende Natur als integralen Bestandteil seiner Entwürfe sah. Nirgends sonst gab er dieser Vorstellung so umfangreich und konsequent Ausdruck wie bei der Planung Nova Goricas. Er plante die Stadt mit einer umfangreichen und flächendeckenden Bepflanzung und wählte dafür über zweihundert verschiedene einheimische und exotische Bäume aus. Heute, 70 Jahre nach Baubeginn prägt diese Idee die Stadt. Das gebaute Nova Gorica verschwindet zu großen Teilen hinter der abwechslungsreichen Bepflanzung, die neben rein ästhetischen Gründen auch das Stadtklima durch Verschattung und Schutz vor Austrocknung verbessert. Wer heute durch Nova Gorica spaziert, erlebt eine Stadt, die beinahe einem Arboretum ähnelt. Eine gebaute Parklandschaft. Und darin ist es dann doch noch zuletzt eine unverwechselbare Planung Edvard Ravnikars geworden, eine Stadt der Bäume, die vieles, was im schmerzhaften Planungsprozess schief gelaufen ist, mehr als wett macht.
... die Natur als integraler Bestandteil von Edvard Ravnikars Entwürfen.
Nova Gorica
(Dt. Neu-Görz) Eine Stadt im Westen Sloweniens an der italienischen Grenze mit ca. 35.000 Einwohnern. Als Musterarbeitersiedlung am 13.6.1948 gegründet und vom Architekten, Stadtplaner und Urbanisten Edvard Ravnikar als Stadtneugründung geplant. Seit 1995 auch eine Universitätsstadt. Die Stadt wird vom slowenischen Tourismusverband als Unterhaltungs-, Kultur und Spielzentrum präsentiert.