Miho Museum – Ein Tempel für die Kunst
Auf Reisen / Reportage:
»I consider light, daylight especially, of fundamental importance to architecture. There is no space without light; there is no form without light. It is not an exaggeration to say that light is the key to architecture.
«Aus Gero von Böhms "Light is the Key. Conversations with I. M. Pei" (Prestel Verlag)
Mit einem Glockenturm fing alles an. Pei baute ihn neben dem Hauptquartier der säkularen Sekte Shinji Shumeikai, deren Anhänger an die Heilung durch Licht, den Segen natürlicher Landwirtschaft und die spirituelle Reinigung durch Kunst glauben. Beauftragt hatte ihn Mihoko Koyama, die Chefin der Sekte und Erbin eines der größten Vermögen in Japan. Begeistert von dem Ergebnis lud sie ihn ein, in Sichtweite des Turms ein Museum für ihre Sammlung von Utensilien der klassischen Teezeremonie zu errichten. Pei willigte ein, machte aber zur Bedingung, den Kunstschatz zu einem Angebot von internationalem Zuschnitt auszuweiten.
Unterstützt von ihrer Tochter begab sich Frau Koyama auf Einkaufstour und trug derart viele antike Preziosen zusammen, dass I. M. Pei seinen Bauplan laufend erweitern musste. Um dennoch den Auflagen der Naturschutzbehörde nachzukommen, verlegte er achtzig Prozent des Gebäudes unter die Erde und setzte eine gläserne Dachlandschaft aus Tetraedern darüber, die das Auf und ab der umliegenden Berge nachzeichnet. Zu dem Gelände des Museums auf einer steilen Anhöhe schuf er einen beschwingenden Zugang durch einen Tunnel und über eine Brücke. So stiegen die Baukosten bis 1997 fast auf das Doppelte des im gleichen Jahr eröffneten Guggenheim Museums in Bilbao.
Viele der jährlich 100.000 Besucher nehmen die mühsame Anreise, die in den Wintermonaten nicht möglich ist, vor allem der Architektur wegen auf sich. Doch auch die gezeigten Objekte aus fünf Jahrtausenden Kultur, von China und Japan über Indien, Persien, Mesopotamien, Ägypten bis Griechenland und Rom, müssen keinen Vergleich scheuen. Und ihren Auftritt hat I. M. Pei perfekt inszeniert.
»For me the important distinction is between a stylistic approach to the design and an analytical approach giving the process of due consideration to time, place and purpose. These three elements are all variables ... My analytical approach requires a full understanding of the three essential elements time, place, purpose – to arrive at an ideal balance among them. Design considerations exist during the entire process. Design becomes the dominant force in the end to make the project a work of architecture ... I am confident that the stylistic approach to architecture is not mine. I have developed a certain analytical process and design sensibility which are peculiar to myself. I think that somehow it would indeed give my work a certain personality. That is what I hope.«
Aus Gero von Böhms "Light is the Key. Conversations with I. M. Pei" (Prestel Verlag)

Augenöffner
Der Ausgang des Zubringertunnels und die Hängebrücke schaffen einen spektakulären Rahmen für das Museum.

Der Weg als Ziel
Von Kirschbäumen gesäumt startet die rund sechshundert Meter lange Strecke zum Museum am großzügigen Empfangsgebäude über den Parkplätzen. Elektrobusse sorgen für bequemen Transport, zur Einstimmung in I. M. Peis kühne Architektur empfiehlt sich der Weg zu Fuß.

Instagram Highlight
Gerne nutzen jüngere Besucher den Zugang, um sich ins rechte Licht zu setzen.

Kontemplation
Silberne Blechplatten kleiden den Tunnel ein. Mit ihren Lochmustern dämpfen sie Geräusche und fangen mit einem raffinierten System leichter Winkel auch schwache Lichtstrahlen ein. So verbreiten sie zur Kirschblüte im April sogar ein zartes Rosa.

Laufsteg
Aufgehängt an 88 Stahlkabeln überspannt die Hängebrücke eine tiefe Schlucht. Von der namhaften Association for Bridge and Structural Engineering an der ETH Zürich bekam sie 2002 den „Outstanding Structure Award“ für die artistische Eleganz ihrer Konstruktion. Louis Vuitton machte sie im Mai 2018 zum Catwalk für die Models seiner Cruise Collection.

Sakrale Anleihen
Mit der Neigung seines Dachs und dem Aufstieg über die Treppe erinnert der Eingang zum Museum an viele der Tempel in den Bergen Japans.

Einbezogene Natur
Ab der Eingangstür auf Gleitschienen öffnet das Gebäude immer wieder den Blick auf Bäume und Berge. Der runde Rahmen in der Tür nimmt Bezug auf Formen, die Pei aus den chinesischen Gärten seiner Jugend vertraut waren.

Geometrische Muster
Die Dachlandschaft über der Eingangshalle gibt vor, wofür I. M. Pei auch bei anderen Bauten berühmt wurde: klare Muster, bestimmt von gleichschenkligen Dreiecken, und das raffinierte Spiel mit dem Licht.

Historisches Material
Die Sitzbank in der Eingangszone stammt aus einem 350 Jahre alten Keyaki-Baum, einer seltenen Ulmenart, deren hartes Holz in den Bögen der Samurai und den Nagado Daikos, den mächtigen japanischen Trommeln, Verwendung fand.

Warmes Licht
Aus dem traditionellen Baustoff Bambus hätte der Architekt die Lamellen gerne gehabt, die das Licht von oben filtern. Technische Gründe sprachen dagegen, doch in Form und Farbe haben die Jalousien aus Aluminium nun die gleiche Anmutung, ein perfektes Pendant zu dem honigfarbenen Kalkstein aus Frankreich.

Sorgsame Pflege
Auf Peis nachdrücklichen Wunsch hat eine immergrüne Birkenfeige, ein subtropisches Gewächs von der Insel Okinawa, in einer der langen Passagen ihren Platz gefunden.

Ausgesuchte Standorte
Rund dreitausend Objekte haben Mutter und Tochter Koyama erworben, etwa ein Zehntel davon ist ständig zu sehen. Für jedes der Exponate, wie hier das römische Mosaik mit Dionysos und Ariadne auf Naxos, hat Baumeister Pei einen besonderen Raum geschaffen.

Meister des Lichts
Für alle Kunstwerke entwarf Pei eine eigene Lichtregie. Im ägyptischen Raum mit der Statue der Königin Arsinoe II. aus dem dritten Jahrhundert vor Christus, die sie als Fruchtbarkeitsgöttin zeigt, hat er bewußt den Wechsel des Tageslichts eingesetzt.

Kontrast in Stein
Fast überall im Gebäude bringt der helle Kalkstein Magny Doré aus Burgund Böden und Wände zum Leuchten. Für den Buddha aus dem südasiatischen Ghandara schafft der dunkle Pietra Serena aus der Toskana eine sakrale Atmosphäre.

Tief im Berg
Für die vielen Objekte der ostasiatischen Sammlung hat I. M. Pei, wie er es nennt, eine Schmuckkasten-Lösung mit Vitrinen ersonnen. Der Raum ist mit dem Zukauf des sechs Meter langen Teppichs aus dem Persien des 16. Jahrhunderts in die Höhe gewachsen.

Wesensmerkmale
Im Treppenhaus zum Obergeschoss konzentrieren sich Charakteristika des Baus: geometrische Muster, bambusartige Lamellen und und der warme Ton der Sandsteinplatten.

Konstruktive Raffinesse
An die 100 unterschiedlichen Verbindungen halten die Stahlrohre zusammen, von denen die ausgedehnte Dachlandschaft mit ihrer Fenstervielfalt getragen wird.

Offen zur Landschaft
Pine View heißt das große Lokal für den kleinen Appetit. Durch seine Panoramascheiben fällt der Blick auf altehrwürdige Kiefern, die der Architekt im Garten hat pflanzen lassen, und auf die Kiefernwälder im Naturschutzgebiet.

In Sichtweite
Auf dem Hügel gegenüber dem Museum zeichnet sich zart Peis Glockenturm ab. Daneben erhebt sich das Hauptquartier der Sekte Shinji Shumeikai. Entworfen hat es Minoru Yamasaki, der Architekt der 2001 zerstörten Twin Towers in New York.

Japanischer Flügel
Der Nordflügel bleibt mit Wechselausstellungen der japanischen Kunst vorbehalten.

Spirituelles Zitat
Der Innenhof des Nordflügels bezieht sich mit seinen Felsen, Moospolstern und dem sorgsam geharkten Kies auf ein berühmtes Vorbild: den Garten des Ryoanjii Tempels in Kyoto.

Beschwingter Abgang
Der Weg zurück unterstreicht Ieoh Ming Peis Philosophie, dass das Vergnügen an Architektur in der neugierigen Bewegung liegt, nicht im Ziel.
»I would say that the play of forms and spaces should be the major preoccupation for architects. Now, when you talk about form and space, you have to take into consideration light and the movement of people, which animate both form and space to create architecture. When you take them all together, you can have a wonderful time with architecture.
«
»Most buildings are designed with a parallel grid which has two vanishing points. The triangular grid has three vanishing points. As one moves through such a space, the additional vanishing point adds complexity to one's perception of space.«
Beide Zitate aus Gero von Böhms "Light is the Key. Conversations with I. M. Pei" (Prestel Verlag)
Ieoh Ming Pei
"Light is the Key" heißt der Band mit Interviews, die Gero von Böhm über fünf Jahre mit I. M. Pei führte. Ausführlich wie sonst kaum äußert sich der zurückhaltende Baumeister darin über sein Leben und seine Arbeit. Geboren 1917 im südchinesischen Guangzhou kam er mit achtzehn Jahren in die USA und studierte in Harvard bei Walter Gropius und Marcel Breuer. Nach dem Weltkrieg arbeitete der naturalisierte US-Bürger zwölf Jahre lang für den Immobilien-Tycoon Zeckendorf, eine Erfahrung, die es ihm nach eigenem Bekunden erst möglich machte, die politischen Intrigen beim Umbau des Louvre zu überleben. Zuvor schon hatte er mit dem East Wing der National Gallery of Art in Washington seine Meisterschaft im Museumsbau bewiesen, nun machte er aus einer verkrusteten Institution eine funktionale Attraktion, öffnete den Gebäuderiegel zur Stadt und schuf mit der Glaspyramide über dem Eingang eine Ikone. Die Jury des Pritzker-Preises, den er 1983 erhielt, sah in seiner Vielseitigkeit und Kunstfertigkeit im Gebrauch von Materialien eine nahezu poetische Qualität. In Hongkong setzte er mit dem Bank of China Tower ein markantes Zeichen in der Stadtsilhouette: eine Hochhausfassade aus Dreiecken, deren innovative Struktur dem Druck der Taifune standhält und mit ihren spiegelnden Scheiben dennoch sehr leicht wirkt. Auch kleineren Projekten wie dem Schauhaus für das Deutsche Historische Museum in Berlin widmete Pei sich gerne, da sie ihm erlaubten, in eine fremde Kultur einzutauchen und sein Design zu verfeinern. Für sein letztes großes Werk, das 2008 in Doha eröffnete Museum für Islamische Kunst, ging er lange auf Suche nach der Essenz islamischer Baukunst. Auf einer künstlichen Insel, in gebührendem Abstand zur banalen Skyline der katarischen Hauptstadt, hat er in einer eher strengen Architektur gegeneinander versetzte Blöcke aufgetürmt, denen die Wüstensonne mit ihren Schattenwürfen und Farbschattierungen Leben verleiht.