Funktionalismus im Auftrag von Tomas Bata: Der optimale Ort – Architektur in Zlín
Zlín. Tschechien. Tschechien feiert das 100-jährige Bestehen der Republik. Der Funktionalismus spielt dabei eine besondere Rolle, da er eng mit der Entstehung des Landes verbunden ist. Der Unternehmer Tomas Bata prägte seine Geburtstätte nachhaltig und machte Zlín zum ersten funktionalistischen Ort der Welt. Von hier formte er seine Schuhfirma zu einem Weltkonzern. Mehrere namhafte Architekten realisierten seine Bauvisionen. Wer Brünn besucht, sollte unbedingt zur rationalen Perle der Provinz fahren. Wir zeigen, warum sich die 100 km Fahrt lohnt.
"Gebäude – das sind nur Haufen von Ziegeln und Beton. Maschinen – das sind Massen von Eisen und Stahl. Leben gibt dem allen erst der Mensch."
Tomáš Baťa (1876–1932), Industrieller, Unternehmer, Philantrop
Von der Schuhmacherwerkstatt zur Fabrikstadt
Je höher es geht, desto deutlicher wird die Stadtwerdung von Zlín und höher als jetzt geht es nicht. Denn Dr. Zdeněk Pokluda und ich stehen auf dem einst höchsten Gebäude der damaligen Tschechoslowakei. Hier entstand eines der ersten Hochhäuser in Europa. Hier, das ist das Verwaltungsgebäude Nr. 21, auch als Bata Wolkenkratzer bekannt. Der Historiker Pokluda hat lange als Direktor des Staatsdistriktarchivs in Zlín gearbeitet und forscht zur tschechischen Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Sein Fachgebiet ist die Firma Bata, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zum größten Schuhunternehmen der Welt aufstieg und dessen marktbeherrschende Stellung eng mit dem Geschäftsmann, Industriellen und Aufsteiger Tomáš Baťa (dt. Tomas Bata) zusammenhängt. Pokluda bezeichnet Bata als “Selfmademan, da sein Name fast schon Symbolcharakter besitzt.” Denn mit Bata erhielt Zlín “den Ruf einer Stadt der Gärten und der modernen Architektur, deren Antlitz sie sich bis heute bewahrt hat.” Dieses funktionalistische Gesicht, das nur 100 km von Brünn, der anderen wichtigen Stätte des tschechischen Funktionalismus entfernt ist, erklärt der gebürtige Zlíner von der Dachterrasse des Hochhauses Nr. 21. Er weist auf die stringente Struktur der Werksanlage hin mit der von weitem sichtbaren Nummerierung, auf die Arbeitersiedlungen, die rund um das Werk in mehreren Abschnitten entstanden und auf die Solitäre wie die Markthalle, das mehrstöckige Warenhaus, das Große Kino, die Wohnheime. Was ebenfalls auffällt, ist die Topographie der Stadt mit Anhöhen und der langgezogenen Senke, durchschnitten von großen, mehrspurigen Straßen. Von oben betrachtet durchziehen die Straßen Gahurova und die Nr. 49 bzw. Tomáše Bati den Ort wie logische, lineare Lösungen. Sie passen damit ideal zu der Bata’schen Industriebackstein-Architektur. Serielle Effizienz und auf Zuwachs gepolte Produktivität wurden in den Herstellungsprozessen als auch in der Bauweise der Fabriken miteinander verzahnt. Die Tomas Bata-Story fängt 1894 an, als er zusammen mit seinen Geschwistern Antonin und Anna eine Schuhmacherwerkstatt gründet. Diese leitet er später alleine und baut den Betrieb zu einem Schuhimperium auf, das schließlich einem Mischkonzern gleichen wird u. a. mit Chemie-, Lebensmittel- und Textilproduktion sowie einem Bereich für die Gummi- und Papierherstellung. In der Hochphase der 1920er- und 1930er-Jahre beschäftigte die Firma weltweit über 60.000 Menschen.
Nach Aufenthalten in den USA bei dortigen Fabrikanlagen begann er mit dem Aufbau der Gebäude nach amerikanischem Muster. Ein wichtiges Merkmal war die Standardisierung von 60 x 20 Meter, drei Etagen, unverputztem Mauerwerk und Decken und Säulen aus Holz. 1918 kam ein weiterer Typ hinzu: 80 x 20 Meter, fünf Etagen, Stahlsäulen. Eine eigens für das Eiltempo der Bauarbeiten hochgezogene Ziegelei beschleunigte die Bauzeiten um ein Vielfaches. 1927 wurde ein einheitliches System aus Stahlbetonskeletten mit einer Spannweite von 6,15 x 6,15 Meter, die mit Hilfe von verschiebbarer Schalung realisiert wurde. Die unverputzte Ziegelausmauerung mit den großen, geteilten Fenstern wurde zum Markenzeichen des einheitlichen Erscheinungsbildes der Zlíner Bata-Architektur.
Die typisierten Industriebauten wurden schachbrettartig angelegt, zu größeren Ensembles zusammengefasst und waren miteinander über Transportanlagen verbunden. Man senkte mit der Standardisierung die Kosten bei zugleich schnelleren Bauzeiten. Die Errichtung eines fünfstöckigen Gebäudes mit einem Grundriss von 80 x 20 Meter dauerte von der Planung, Grundsteinlegung bis zur Fertigstellung gerade einmal fünf Monate. Architekten waren maßgeblich an der konstant betriebenen Entwicklung beteiligt, darunter waren Jan Kotěra (1871–1923), František Lydie Gahura (1891–1958) und Vladimír Karfík (1901–1996). Alle drei stehen stellvertretend für die verschiedenen Phasen der Bata-Ära. So entwarf der Otto Wagner-Schüler Kotěra aus Brünn die ersten Wohnsiedlungen und beeinflusste als Hochschulllehrer die nächste tschechische Architektengeneration, als er z. B. Bohuslav Fuchs unterrichtete. Der gelernte Stuckateur Gahura studierte zunächst Bildhauerei, dann Architektur beim slowenischen Baumeister Josef Plečnik und von 1919 bis 1923 bei Jan Kotěra. Gahuras Architektur in Zlín ist durch modulare, transparente Skelettbauweise geprägt. Er entwarf das Rathaus (1924), Bata-Krankenhaus (1927), das Bata-Warenhaus (1932) und das Bata-Denkmal (1933). Der in Slowenien geborene und in Brünn verstorbene Architekt und Pädagoge Vladimír Karfik studierte u. a. bei Kotěra, arbeitete im Pariser Architekturbüro von Le Corbusier und später bei Frank Lloyd Wright. Als er 1930 in die Tschechoslowakei zurückkehrte, wurde er Leiter der Planungsabteilung der Bata-Werke in Zlín bis 1946. In der Stadt realisierte er Schulen, Wohnhäuser, eine evangelische Kirche (1937) und sein berühmtestes Projekt: das Verwaltungsgebäude Nr. 21 (1939).
" … the word architecture is not only the designation of the mere construction of buildings … it has to be clear to us, that it encompasses all that visible in human endeavours and creations, and in which proportion and rhythm coexist."
František Lydie Gahura (1891–1958), Architekt
Zlín damals und heute
Das Tomas-Bata-Denkmal und das Hochhaus Nr. 21 erscheinen wie die Essenzen des Zlíner Funktionalismus. Stahlbeton und Glas: mehr benötigte der aus der Zlíner Region stammende Gahura nicht für den Bau des Denkmals für den 1932 bei einem Flugzeugunglück verstorbenen Tomas Bata. Das lichte Transparenzgebäude scheint wie eine Spiegelung der Eigenschaften des Bata-Konzerngründers zu sein. Es ist klar und auf eine feine, schlichte und kantige Form komprimiert. Die Glas-Architektur ist außergewöhnlich, spektakulär hingegen ist die städtebauliche Integration des Denkmals in den Gahura Prospekt, einer Grünanlage, die den Gartenstadt-Charakter der Bata-Pläne repräsentiert. Das Denkmal thront auf dem höchsten Punkt des Grünzugs mit einem weiten Blick über Zlíns Struktur und Höhen. Das von Karfík entworfene Hochhaus zählt zu den wichtigsten Werken der tschechoslowakischen Moderne. Es hat sechzehn Stockwerke, ist 77 Meter hoch und war lange das höchste Gebäudes des Landes. Wie bei den Produktionsgebäuden basiert es auf dem gleichen modularen System mit 6,15 Meter x 6,15 Meter. Eine Etage misst 80 x 20 Meter. Die Tragkonstruktion ist aus Stahlbeton, die Außenwand besteht aus den charakteristisch-geteilten Fenstern und der Ziegelausfachung. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Verwaltungsgebäude der Bata-Werke unbeschadet. 2004 wurde es saniert und ist nun der Sitz des Finanz- und des Kreisamtes der Region Zlín. Diese Umnutzung steht auch für den Wandel nicht nur des Bata-Areals, sondern der ganzen Stadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die neuen, kommunistischen Herrscher die Familie Bata als Ausbeuter und Feindes des Volkes dar. Das Nachfolgeunternehmen ging Bankrott. Die Bata-Erben in Kanada dagegen waren mit dem Neustart erfolgreich. Heute ist Bata ein Konzern mit 30.000 Beschäftigten mit Sitz in Lausanne, Schweiz. Zlín heute lebt und arbeitet mit dem Bata-Gen. Zahlreiche Gebäude auf dem Werksgelände wurden und werden saniert und umgenutzt. Es gibt Büros, Gastronomie, die Universität ist dazugekommen, Einrichtungen der Forschung und das 14/15 Bata Institut (Entwurf: Jiří Voženílek, Fertigstellung: 1949). Nach einem umfangreichen Umbau (durch Centroprojekt) sind eine Galerie, Bibliothek und das Museum Südostmähren in die Produktionsgebäude 14 und 15 eingezogen. Das 1931 fertiggestellte und von Gahura entworfene Kaufhaus am Platz der Arbeit wird seit einiger Zeit umgebaut. Die Fassade strahlt hell, so dass besonders die oberen, sich verkleinernen Fensterreihen zur Geltung kommen. Am Fuße des zehnstöckigen Warenhauses ist 2013 der Gahura-Prospekt vom Zlíner Architekturbüro Ellement umgestaltet worden. Die Idee der Architekten Jitka Ressová, Hana Maršíková und Jan Pavézka: Klarheit und Gradlinigkeit mit Betonung der Aufenthaltsqualität. Dafür vertieften sie die Gehwege und schufen mit den Betonelementen zugleich Sitzgelegenheiten. Von hier zeigt sich, dass die Stadt um ihr bedeutendes und europaweit einmaliges Ensemble-Erbe weiß. Zugleich stellt sie sich der neuen Zeit, das ein elliptisches Glas-Metall-Jahrhundert zu werden scheint in Form des Kultur- und Universitätszentrum (KUC), entworfen von Eva Jiřičná (*1939). Die gebürtige Zlínerin und mehrfach ausgezeichnete Architektin lebt und arbeitet in London. Für das KUC kehrte sie in ihre Geburtstadt zurück und schuf mit ihrem 1999 gegründeten Büro A.I. Design zwei große, elliptische Körper, die zusammen ein V bilden und den Vorplatz dadurch zur einladenden Geste gen Bata-Areal machen. Ein weiteres Merkmal ist die dornenartige Dachkrone des Kulturzentrums und die Glas-Paravents an der Fassade. Diese Formen und Materialien: gab es Kontroversen in der Stadt, wurde protestiert? "Nein, das nicht", so Pokluda, der Bata- und Zlínkenner. "Es wurde engagiert diskutiert, aber den Menschen hier ist bewusst, dass sie sich der neuen Zeit nicht verschließen können." Er spricht über die Abwanderung der Jugend nach Prag, den Strukturwandel der Region und wie man hier mit dem funktionalistischen Erbe umgeht – auf eine zeitgemäße Art und mit Achtung vor der Bata-Ära. Dazu passt, dass an der gleichen Stelle eine Gahura-Schule stand, ebenfalls mit mehreren Baukörpern, die einen sich zur Stadt öffnenden Vorplatz formen. Bedachter und zugleich gegenwartsnaher kann eine Stadt ihrem funktionalistischen Erbe nicht begegnen.
"Zlín is a shining phenomenon … here in Zlín I have discovered the sense behind some of the original fundamental principles, like for instance the basis principle of the standardisation of all of the locations, factories, halls of residence, schools the Tomas Bata Memorial, and social institutions, have that unified skeleton … Zlín is, generally speaking, one of the ardently burning places of the new world. One (can) live here!"
Le Corbusier, Architekt
Unsere redaktionell unabhängige Recherchereise wurde organisiert und ermöglicht durch die Tschechische Zentrale für Tourismus – CzechTourism und von der Ostmährischen Touristischen Zentrale.