Von 1900 bis heute – Alte Fabeln und neue Formen
Reportage:Die steinerne Welt des Bamberger Domplatzes ist Zeitreise pur. Wenn man sich ihn ohne Fahrzeuge und die Smartphone-bewehrten Menschen vorstellt, geht es schnell viele Jahrhunderte in die Vergangenheit. 1993 wurde die 140 Hektar große „Altstadt von Bamberg“ als Welterbestätte in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Dazu gehören die Bergstadt mit dem Domberg und dem ehemaligen Benediktinerkloster St. Michael, die Inselstadt und die Gärtnerstadt.
„Wenn die altehrwürdigen Gemäuer reden könnten, würden sie von diesen und anderen fernen Ländern und Orten flüstern“, so unser Eindruck von der mittelalterlichen Altstadt von Regensburg. Beide Städte, Bamberg und Regensburg, sind Welterbestätten, beide befinden sich an Flüssen, die ebenso wichtig waren wie die sie umgebenden Naturräume. Wenn Bambergs Gemäuer sprechen könnten, gäbe es Geschichten über seinen Gründer und Förderer Kaiser Heinrich (973 – 1024), über die Vision eines „Fränkischen Roms“, über die Barockbauten der Fürstbischöfe und über Hegel und E.T.A. Hoffmann, über Philosophie und Literatur.
Dass die 79.000-Einwohnerstadt nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung Deutschlands und der neuen Sackgassen-Lage an der innerdeutschen Grenze nicht einfach so vor sich hinschlummerte, zeigt sich am „Bamberger Modell“. Das bereits in den 1950er-Jahren geschaffene Programm berät und unterstützt Eigentümer bei der Sanierung historischer Gebäude, auch finanziell. Seit 2003 werden die Zuschussmittel für das Modell durch die Stiftung Weltkulturerbe Stadt Bamberg bereitgestellt. Als die UNESCO den Wert der Altstadt als Welterbe anerkannte, begann ab 1993 ein neues Kapitel.
Natürlich steht die gut erhaltene, gut gepflegte historische Bausubstanz im Mittelpunkt der Wahrnehmung. Zahlreiche Bauten sind fabelhafte Beispiele der Gotik, Renaissance und des Barock. Für das heutige Bauen ist das Maßstab und Ansporn zugleich. Denn auch zeitgenössische Architektur muss nicht nur den Anforderungen der Auftraggeber gerecht werden. Sie steht zudem in Kommunikation mit dem Stadtdenkmal, ob sie will oder nicht. Neuere Architektur wird zwangsläufig in Bezug zum Welterbe gestellt und hat es insofern schwerer als Orte mit verhältnismäßig junger Baukunst. Es geht nicht um ein Ausspielen der Epochen, sondern darum, dass es neben der beinah schon an Märchenmagie reichenden Altstadt noch Zeugnisse der jüngeren Baugeschichte gibt. Die Gründerzeit, der Jugendstil, die Neue Sachlichkeit, die Nachkriegsmoderne und heutige Architektur sind Facetten und Formen einer Welterbestadt, die auf diese Weise zeigt, dass sie eben nicht in der Vergangenheit erstarrt ist. Bamberg ist lebendig, beweglich und über den Stadtraum verteilt studentisch. Außerhalb der Altstadt merkt man das an der Architektur immer wieder, z. B. mit den Neubauten und Umnutzungen der Universität auf der Inselstadt und dem Areal der ehemaligen Baumwollspinnerei Bamberg-Erlangen (ERBA). In den letzten zehn Jahren hat sich die Stadt auch brückentechnisch erneuert. Mit der Ketten-, Löwen- und Luitpoldbrücke haben die verantwortlichen Ingenieure und Planer, darunter der Metastadt-Visionär Richard J. Dietrich, drei nahe beieinander liegende Querungen geschaffen, die kein Ensemble bilden, aber in ihrer Individualität so verschieden sind wie die Stadtteile, die sie miteinander verbinden. Von der Löwenbrücke geht es übrigens schnurstracks gen Gärtnerstadt. Der Gemüseanbau auf den weitläufigen Flächen in Sichtweite zur dichtbesiedelten Altstadt sind eine typische Bamberger Tradition. Dieser urbane Gartenbau hat mit zur Ernennung Bambergs zum UNESCO-Welterbe beigetragen:
Einst waren es über 500 Gartenbaubetriebe, heute bewirtschaften noch etwa zwei Dutzend Gärtnerfamilien die historischen Anbaugebiete. Der vom Münchener Architekten und Stadtplaner Stefan Giers konzipierte Rund- und Erlebnisweg macht die Historie, aber auch den heutigen Stellenwert deutlich. Zentraler Punkt ist die Aussichtsplattform (Giers, 2012), die die charakteristischen Materialien von Gewächshäusern aufgreift und sie in einen neuen Zusammenhang stellt, was zur Methode des Architekten passt, der seine Website "architekturundlandschaft" nennt.
Der Blick über die innerstädtischen Gärtnereien unweit des Bahnhofareals gen Mittelalter- und Barockbauten ist wie Bamberg in Kurzform: inmitten einer jahrhundertealten Kulturlandschaft, umrahmt von ebenso alter Baukultur auf einer neugeschaffenen Plattform.
Gärtnerstadt
Urbaner Gartenbau mit Aussichtsplattform, eine Kirche zwischen traditionellem Kirchenbau und der Moderne und ein Architekt mit einem schwierigem Erbe: willkommen in der geschichtsträchtigen Gärtnerstadt. In diesem Stadtteil zwischen Bahnhof und dem Main-Donau-Kanal trifft mit der Aussichtsplattform und dem Rundweg des Stadtplaners und Architekten Stefan Giers zeitgenössisches Architekturverständnis auf Baukunst von Otho Orlando Kurz (St. Otto, 1914) und Michael Kurz, der mit der St. Heinrichskirche (1929) die erste, bedeutende Sichtbeton-Kirche Deutschlands schuf. Er verband Neuzeitliches wie kubische Formen mit historisch orientiertem Kirchenbau zu einem Bauwerk der Neuen Sachlichkeit wie man es selten in dieser Region sieht. Zugleich steht hier die 1934 fertiggestellte Erlöserkirche von Bestelmeyer (Wiederaufbau 1950), Mitgründer der Architektenvereinigung „Der Block“ (mit Paul Bonatz und Paul Schmitthenner), der sich als Gegenmodell zum modernistischen „Der Ring“ von Walter Gropius, Bruno Taut und Erich Mendelsohn sah. Bestelmeyer war Mitglied im rassistisch-antisemitischen Kampfbund für deutsche Kultur und wurde 1935 zum Reichskultursenator ernannt. Nicht ausschließend, sondern verbindend sind die neuen Brücken, die Gärtner- und Inselstadt zusammenführen. Der marode Brückenbestand wurde mit der Luitpoldbrücke (2006), Löwenbrücke (2009) und der Kettenbrücke (2010) ersetzt. Der Brückenschlag verlief komplikationsreich und die Kostensteigerungen wurden vom Bund der Steuerzahler angeprangert, vor allem beim Bau der Löwenbrücke. Die Luitpoldbrücke verantwortete mit Richard Johann Dietrich ein Meister der Ingenieurskunst. Dietrich entwickelte in den 1960er- und 1970er-Jahren das Metastadt-Bausystem, die Vision eines Städtebaus der Zukunft.
Inselstadt
Das Zentrum wird vom Main-Donau-Kanal (bzw. vom rechten Regnitzarm) und dem linken Regnitzarm eingefasst und vom mittelalterlichen Stadtdenkmal dominiert. Nur wenige Fußminuten von der malerisch-magischen Altstadt gibt es Straßenzüge mit herrschaftlichen Historismusbauten, feinen Jugendstil-Ensembles, einer Brutalismus-Überraschung und mit Neubauten der Otto-Friedrich-Universität Bamberg den behutsam-architektonischen Weg gen 21. Jahrhundert unweit der Welterbekulisse. Auf dem Markusgelände ist das Seminar- und Hörsaalgebäude des Bamberger Architekten Christoph Ganz mit dem Würzburger Büro kuntz und manz (heute kuntz und brück) entstanden. Der Mittelpunkt ist die Cafeteria von GKT Architekten, die klassische Formen mit heutiger Transparenz verbunden haben: Arkaden, Agora und großflächige Glasfassaden.
Bergstadt
Warum ist Bamberg das "fränkische Rom"? Stadtgründer und Förderer Heinrich II (973–1024) sah den Ort als Gegenstück zu Rom, beide auf sieben Hügeln erbaut. In Bamberg heißen die Hügel Stephansberg, Kaulberg, Altenburg, Jakobsberg, Michelsberg, Abtsberg, Domberg. Die Blicke auf die Stadt, die verwinkelten Gassen und barocken Fassaden sind ein Merkmal dieses Teils der Welterbestadt. Das andere sind sachte und oft von außen nicht sichtbare Eingriffe, z. B. Einbauten in der Klosteranlage St. Michael durch GKT Architekten (2013) oder die Neugestaltung und Renovierung des Diözesanmuseums und Domkapitelhauses durch den Bamberger Architekten Christoph Gatz. Wer einen besonders weiten Blick auf Bamberg haben möchte, sollte die Villa Remeis aus dem 19. Jahrhundert besuchen, heute ein beliebtes Café und Ausflugsziel. Der Jurist und Astronom Dr. Karl Remeis (1837–1882) stammte aus einer wohlhabenden Gerberfamlie und vermachte der Stadt Bamberg sein gesamtes Vermögen mit der Auflage eine Sternwarte zu bauen. Seine Begründung:
Bamberg
Erstmals namentlich erwähnt wurde Bamberg 902. Kaiser Heinrich II. ließ den ersten Bamberger Dom errichten und machte den Ort kurzzeitig zur Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Die Stadt entwickelte sich danach zu einem wichtigen Zentrum des Reichs (Kaiserdom: 1237; Kollegiastifte St. Stephan: 1020, St. Gangolf: 1058 und St. Jakob: 1071). Bamberger Bischöfe hatten über Jahrhunderte als Kanzler oder Vizekanzler bedeutende Rollen im Reich. Nach dem politisch-kirchlichen Aufstieg folgte der wirtschaftliche mit Kaufleuten, denen weitreichende Handelsprivilegien eingeräumt wurden. Nach Mainz war Bamberg der zweite Ort, an dem der Buchdruck ausgeübt wurde (1460). Bischöfe aus dem Haus Schönborn (1693–1746) veranlassten den Aus- und Umbau der Stadt, die zu einer Barockisierung des Stadtbildes führte. Im 19. Jahrhundert wirkten Schriftsteller, Philosophen und Wissenschaftler in Bamberg: E.T.A. Hoffmann, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Georg Simon Ohm. 1919 war Bamberg Sitz der bayerischen Regierung und des Landtags, der hier die erste demokratische Verfassung beschloss („Bamberger Verfassung“). In der Nachkriegszeit und aufgrund der Lage an der innerdeutschen Grenze wirtschaftliche Neuorientierung und Angliederung an Verkehrsnetze und Etablierung als Kultur- und Forschungsstadt. 1993 wurde Bamberg in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes der Menschheit eingetragen.
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Die BambergCard ist Fahrschein, Gutschein, Eintrittskarte und Ermäßigungsausschweis zugleich und ist drei Tage gültig. Mit der BambergCard können in dem Zeitraum Bus und Bahn im Stadtgebiet beliebig oft genutzt werden. Hinzu kommt der freie Eintritt für mehrere Museen, u. a. für das Historische Museum, Diözesanmuseum, das Naturkunder-Museum und das E.T.A. Hoffmann-Haus. Die Karte kann auch online über die Website von Bamberg Tourismus & Kongress Service gebucht werden. Die Karte kostet 14,90 Euro pro Person.