

Der Aufstieg der Hauptstadt
Von einer Inselsiedlung mit einigen hundert Palmenhütten und einfachen Korallenstein-Gebäuden hat sich Abu Dhabi zu einer weitläufigen, wohlhabenden Metropole entwickelt. Einer ehrgeizigen Großstadt mit großem Einfluss in den Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), in der Golfregion und weit darüber hinaus. Die Hauptstadt der VAE generiert über 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der flächenmäßig größte Bundesstaat des Landes besitzt mit 90 Prozent die größten Erdölvorkommen des Landes. Mit der Entdeckung und Nutzbarmachung des Erdöls begann die “spektakuläre Aufholjagd zu einer der weltweit reichsten Öl-Gas-Überflussgesellschaften”, wie es im Architekturführer Vereinigte Arabische Emirate heißt, den Hendrik Bohle und ich geschrieben haben und der 2016 auf den Buchmarkt kam.
Louvre Abu Dhabi
Teil unserer Buchrecherchen war die Baustellenbesichtigung des Louvre Abu Dhabi, ein Erlebnis, das uns damals schon die Dimension und die Eleganz des künftigen Museums vor Augen führte. Das fertiggestellte Museum zu erleben, ist beeindruckend, aber nicht im Sinne einer Überwältigungsarchitektur. Eher die Sinne betörend, denn auf Einschüchterung setzend. Ein Komplex, der in seiner Vielschichtigkeit erkundet werden sollte und viel über die emiratisch-arabische Bautradition erzählt und dem französischen Großarchitekten Jean Nouvel nicht als Abziehbild dient, sondern als Inspiration. Oder wie er es formulierte:
"Der Dualismus von Tradition und Moderne ist während des gesamten Projekts präsent. Diese Verschmelzung von Ideen, Methoden und Design hat das Museum zu einem hoch individualisierten und kontextualisierten Raum gemacht. Ebenso gibt es eine konstant gegenwärtige Beziehung zwischen Oben und Unten, zwischen Sonne, Kuppel und Meer, den Gebäuden und dem Land."
Jean Nouvel, Ateliers Jean Nouvel, 2016, Interview Architekturführer Vereinigte Arabische Emirate
Auf dieses Wechselspiel sollte man beim Besuch des Louvre Abu Dhabi achten, der für das Emirat heute eine ähnliche bedeutende Stellung einnimmt wie die Eröffnung des Cultural Foundation 1981 von TAC – mit Walter Gropius als Mitgründer. Im Louvre Abu Dhabi sind die arabischen Architekturmotive der Kuppel, des traditionellen Sonnenschutzes (“Mashrabiya”) und der städtebaulichen Struktur der Medina nicht einfach Zitate. Sie sind die elementare DNA des Museums. Das Flechtwerk aus Palmmatten ist in dieser Region als Areesh bekannt. Sie schützte die Behausungen der Beduinen. Nouvel übersetzt diese traditonell-regionale Bauweise mittels Geometrie und Präzision. Die gewaltige Größe der Kuppel mit den Stahl-Aluminium-Schichten und einem Durchmesser von 180 Meter ist beides: monumental und licht, futuristisch und tief in der Tradition verwurzelt.
Dieser Dualismus findet sich auch in den Ausstellungsräumen, alleine schon aus der Zusammenarbeit aus Abu Dhabi und Frankreich. Das Areal muss man sich als Museumsstadt vorstellen. Wie jede Stadt hat auch der Louvre Abu Dhabi Plätze und Höfe, Magistralen und Gassen, Höhen und Tiefen. Für Erstbesucher empfehlen wir die Buchung eine der drei Führungen: die allgemeine Tour, die Familientour mit ausgewählten Highlights der Sammlung und die Ausstellungstour. Die Duplizität zieht sich bis in die Dauerausstellung: die Reise von der vorgeschichtlichen zur zeitgenössischen Kunst geschieht nie nur von einem Standpunkt. Nie dominiert eine Zivilisation oder Kultur. Die Kunst der Menschheit wird in seiner Komplexität und Gleichzeitigkeit präsentiert. Eine Marmorstatue aus dem antiken Rom steht neben einer Figur aus Gandhara im heutigen Pakistan, Arbeiten aus Guinea neben einem Kunstwerk aus Frankreich. Manchmal mutet das wie eine Was ist Was-Schau an. Ähnlich wie die Kinder- und Jugendsachbuchreihe widmet sich die Dauerausstellung wichtigen und großen Fragen bzw. Kunstwerken und wird so zu einer Huldigung und einer Best of-Art. Vielleicht nicht der schlechteste Weg, um Kunst zu verstehen und zu sehen, dass es nicht die eine Kunst gibt.










Der Palast
“Es erwarten sie Wunder”. Das Besucherfaltblatt lässt keine Zweifel. Auch dass es sich um den Qasr Al Watan mehr als um einen Palast handelt: “Einen bautechnischer Meilenstein.” Tatsächlich macht sich die Anlage unsichtbar. In unmittelbarer Nachbarschaft ist das Kempinski Emirates Palace. Das Märchenhotel der Luxusklasse ist als Gebäude an der Spitze der Insel Abu Dhabi präsenter als der Palast. Das liegt auch an der feudalen Weitläufigkeit des Qasr Al Watan, der im März 2019 für die Öffentlichkeit geöffnet wurde. Das emiratische Versailles ist Sitz des Kabinetts der VAE und des Obersten Gerichtshofs. Hier werden die Staats- und Regierungschefs empfangen, hier sind die offiziellen Büros des Präsidenten, des Vizepräsidenten und des Kronprinzen von Abu Dhabi. Der Entwurf des Architekturbüros Gulf House Engineering (GHE) zeichnet sich außen wie innen durch klare Sichtachsen und strenge Symmetrie in Verbindung mit Machtsymbolik aus. Wasserbecken, Grünanlagen, Kolonnaden und Weite prägen die Außenanlage. Der Palast mit den zahlreichen Kuppeln strahlt mit der Betonung klassisch-arabischer Tradition zeremonielle Förmlichkeit und Monumentalität. Die riesenhaften Dimensionen und die Materialfülle imponieren. Ähnlich wie beim Emirates Palace, der streng nach den Lehren der klassischen Baukunst und des Goldenen Schnitts gestaltet wurde, geht es hier um Zeitlosigkeit, Repräsentanz, Größe. Zugleich konzentriert sich die Gestaltung auf zwar wenige, dafür exquisite Materialien. Dazu gehört auch eine fokussierte Farbauswahl, die das Kolossale ein wenig erdet und Ruhe und Reinheit vermitteln. Ein entrückter Prunkbau, ziemlich nah an emiratisch-orientalischer Wunderarchitektur.










Scheich-Zayid-Moschee / Sheikh Zayed Grand Mosque
Das architektonische Sakralkunstwerk ist eine Stätte der Superlative. Die Scheich-Zayed-Moschee, auch als Sheikh Zayed Grand Mosque bekannt, hat Platz für über 40.000 Gläubige und eine Fläche von 22.000 Quadratmeter, was sie zur größten Moschee des Landes und zu einer der größten der Welt macht. Der Architekt Yousef Abdelki und das Ingenieursbüro Halcrow Group achteten bei der Positionierung, dem Aufbau und der Architektur auf Symbolik, Symmetrie und die Symbiose unterschiedlichster arabisch-islamischer Baustile. Für alle, die vom Festland kommen, gen Abu Dhabi-Insel und über eine der drei Brücken fahren, ist die Anlage wie für den perfekten Blick positioniert. Alles ist detailliert umgesetzt und aufeinander abgestimmt. Maurischer Stil wurde mit osmanischem Stil und der Mogul-Architektur verbunden. Diese ist gut an den Kuppelformen und dem streng gleichmäßigen Grundriss zu erkennen. Ein Vorbild ist die Badshahi-Moschee, die Kaiserliche Moschee in Lahore, Pakistan, die mit ihrer Symmetrie und Detailgenauigkeit zu den wichtigsten Bauten der indo-islamischen Mogularchitektur zählt. Die Besucherzahlen sind enorm und steigen jährlich, 2018 kamen 6,1 Millionen Menschen. Um diesem Andrang gerecht zu werden, konzipierte das emiratische Büro Architectural Consulting Group (ACG) das Besucherzentrum und die Plaza. Zwei Stahl-Glas-Kuppeln markieren die Eingänge. Plaza und Moscheevorplatz sind mit einem 360 Meter langen, unterirdischen Gang verbunden. Zeitweise waren über 2.000 Arbeiter und Ingenieure auf der Baustelle tätig. Wie oben beschrieben – auch unter der Erde wird in Superlativen geklotzt.







"At Gulf House Engineering GHE, we reinforce the links between past and present by integrating traditional elements in modern architecture. We improve quality of life, by supporting a sustainable built environment, whilst strengthening our regional identity."
GHE, Architekturbüro aus Bahrain