Brabant ist offen – Die Kreativstadt
Auf Reisen / Reportage:Der Bahnhof ist ein Radio. Passt gut zu einer Stadt, deren Entwicklung eng verbunden ist mit der Firma Philips. Entworfen wurde der Weltempfänger 1956 vom niederländischen Architekten Koen van der Gaast. Mit seinem Entwurf zitiert er ganz offensichtlich ein in jener Zeit typisches Gerät, inklusive Antenne (Uhrenturm) und Lautsprecher (Loggia). Der ursprünglich als Durchgangsbahnhof geplante Bau bekam vor einigen Jahren ein Makeover mit schwungvollem Tunnel-Redesign und die Kunstinstallation SPACE des niederländischen Techno-Poeten Daan Roosegaarde. Mittels 3D-Linsen zeigt sein 90 Meter langes Wandkunstwerk die Wirkung von Licht auf unseren Planeten. SPACE schafft einen schönen Kontrast zur geerdeten Bahnhofshalle mit dem lichtdurchfluteten Retro-Restaurant „De Restauratie“ und unterstreicht den Anspruch der Technologiestadt Eindhoven, in der großen Liga der Weltmetropolen mitzuspielen.
Stadt der Technologie
Die Stadtgeschichte ist eng verbunden mit dem Aufstieg der Firma Philips. Die Gründer Frederik Philips und sein Sohn Gerard legten 1891 den Grundstein für die Entwicklung der eher unbedeutenden Stadt hin zu einer internationalen Mini-Metropole. Technik und Design waren die beiden Pole, die das Unternehmen und seinen Sitz dorthin beförderten. Von Beginn an profitierten die Arbeiterinnen und Arbeiter vom Wachstum und Erfolg des Konzerns. Es wurden große Bauprogramme aufgelegt, Sozial- und Sporteinrichtungen gefördert. Nach den schweren Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs prägen Bauten der Boom-Jahre das Stadtbild. Besonders der 1921 errichtete Lichttoren von Dirk Roosenburg ist ein Ausdruck dieser Zeit: aufstrebend, strahlend, avantgardistisch. Um ihn herum entstanden in den folgenden Jahren weitere Bauwerke wie die benachbarte „Witte Dame“ (Weiße Dame), ebenfalls von Roosenburg in sachlich-funktionaler Form entworfen.
Das heutige Philips-Museum befindet sich in der ersten Glühlampenfabrik des Unternehmens. Der 1891 fertiggestellte Bau zeigt exemplarisch wie einflussreich die Philips-Technik und das Produktdesign waren und noch immer sind. Designer wie Louis Kalff, Rein Veersema, Knut Yran, Robert Blaich und Stefano Marzano veredelten über Jahrzehnte die technischen Innovationen. Philips brachte Vinyl auf die Plattenteller und Musik in die Welt. Für Michael Jacksons Auftritt entwickelte Philips zusammen mit der schwedischen Stylistin Bea Åkerlund exklusiv einen LED-Handschuh, ein wichtiges Markenzeichen des Sängers für seinen berühmten Moonwalk. „This is everything I ever wanted,“ schwärmte der Sänger. Zur Tour kam es nicht mehr. Er starb vor genau zehn Jahren.
Stadt der Architektur
Anlässlich des 75jährigen Firmen-Jubiläums ließ der Produktdesigner und Architekt Louis Christiaan Kalff eine spektakuläre Spannbeton-Schale landen. Kalff war fast vier Jahrzehnte für Philips tätig. Durch ihn bekam Eindhoven 1966 ein futuristisches Technologiemuseum. Sein letztes Werk avancierte schnell zu einer neuen Architekturikone der Stadt. Noch heute verblüffen Ausmaß und Extravaganz des UFO ähnlichen Ensembles. Nachdem es in den letzten Jahren als Konferenz- und Veranstaltungszentrum der größeren Öffentlichkeit verschlossen blieb, soll das zukünftige Designmuseum/Future Lab (Evoluon 2.0) wieder allen Interessierten offen stehen.
Nach Philips Wegzug nach Amsterdam kam es zu einer kurzen Depression. Ein Großteil der Arbeitsplätze ging verloren, ganze Areale standen leer. „Aber die Eindhovener fühlten sich verpflichtet, Philips’ Erbe zu bewahren“, sagt Erik van Gerwen von Citymarketing Eindhoven 365. „Schließlich hatten sie der Familie und dem Unternehmen viel zu verdanken. So pflegten sie deren Nachlass so wie die Häuser ihrer eigenen Eltern. Es galt, die Seele der Stadt und die Erinnerung an eine goldene Zeit zu bewahren, und ihr zugleich eine neue Zukunft zuzuschreiben.“ So bestimmen die Philips-Gebäude bis heute das Bild der Stadt. Aber nicht als konservierte Monumente der Vergangenheit, sondern als Sinnbild für die Gegenwart und Zukunft einer Stadt, die offen ist für Visionen und Kreativität, und bereit ist, sich der Welt zu stellen.
Stadt des Design
Philips ging, Design und Technik blieben. In Eindhoven befinden sich mit der Technischen Universität und der Design Academy Eindhoven (DAE) die wichtigsten Designschulen des Landes. Seit 2002 findet hier alljährlich die Dutch Design Week (DDW) statt. Sie zählt heute zu den bedeutendsten weltweit. Neben aufsehenerregender Architekturen, wie beispielsweise “De Bijenkorf“ von Gio Ponti (1969), „De Blob“ von Massimiliano Fuksas (2010) und dem Vesteda-Turm von Jo Coenen (2006) sowie den erfolgreich umgenutzten Philips-Bauten im Stadtzentrum, entwickelt sich insbesondere des weiter westlich gelegene Strijp-S zu einem pulsierenden Kreativquartier mit Raum zum Wohnen, Arbeiten und Entspannen. Eine sechzig Meter breite Stadtachse, die durch den gesamten Komplex verläuft, ist die Schlagader von Strijp-S. Die sogenannte „Torenallee“ mit ihrer charakteristischen Beleuchtung und Möblierung ist dicht mit Bäumen bepflanzt und verfügt über eine ganze Reihe offener Räume, die besonders auch während der DDW bespielt werden. Parallel dazu verlaufen zwei städtische Boulevards mit Bars und Restaurants. Strijp-S gilt nicht nur in den Niederlanden als Vorbild einer erfolgreichen und attraktiven Stadtentwicklung, nicht zuletzt wegen des respektvollen Umgangs mit dem baulichen Bestand und der sozialen Struktur des Quartiers.
Stadt der Möglichkeiten
Das Eindhoven nicht nur während der Dutch Design Week vor Kreativität leuchtet, beweisen die vielen ambitionierten Projekte und alltägliche Aktionen in der Stadt. Die DDW ist aber dennoch ein Katalysator für die Realisierung visionärer Ideen. Die vielen städtischen Freiräume ermöglichen darüber hinaus auch die Umsetzung dieser Konzepte.
"Ich wollte das Design zu den Menschen bringen"
– sagt Annemoon Geurts, Gründerin und Kreativdirektorin der Kazerne, einem Hybrid aus Galerie, Hotel und Restaurant. „Und wie ginge es besser als mit Essen, Trinken und Reden.“ Begonnen hat alles mit einer Pop-Up Idee während der Dutch Design Week. Heute zählt die Kazerne zu den außergewöhnlichsten Orten der Stadt. Wo früher Müllwagen gewaschen und Gangster kaserniert wurden, kommen heute erlesene Weine, gutes Essen, Design, Kunst und Technologie zusammen. Ein ganz außergewöhnlicher Ort der Begegnung genauso wie der „Down Town gourmet market“ ein paar Straßen weiter. Er verbindet auf überzeugende Weise gute internationale Küche mit Eindhovener Savoir Vivre und ist darüber hinaus solidarisch organisiert. Food-Stände, die weniger umsetzen, erhalten über die Einnahmen der gemeinsamen Bar, einen entsprechenden Ausgleich. So bleibt auch der qualitätsvolle kulinarische Mix gewährleistet.
Eine andere Form der Solidarität praktiziert „Precious Plastic“. Ziel des Kollektivs ist es, so viel Plastik wie möglich zu recyceln, um der weltweiten Umweltverschmutzung entgegenzuwirken. Dazu entwickeln sie Maschinen, deren Bauanleitungen im Netz frei zur Verfügung stehen und mit deren Hilfe praktisch jeder von zu Hause aus Plastik recyceln kann. Erfinder von Precious Plastic ist Dave Hakkens. Der 1988 im benachbarten Helmond geborene Niederländer beschäftigt sich bereits seit seinem Studium an der Design Academy in Eindhoven mit der Frage, wie man mit Ressourcen bewusst umgehen, Elektroschrott vermeiden oder Plastik recyceln kann. Mittlerweile haben sich weltweit weitere Initiativen diesem Projekt angeschlossen.
Eindhoven ist eine Stadt, die ihr Erbe respektiert und zugleich offen ist für Neues, eine große Spielwiese für Kreative, lebenswert und ein bemerkenswertes Beispiel für eine Stadt, die in die Zukunft schaut.
Eindhoven
liegt im Süden der Niederlande in der Provinz Noord-Brabant. Die heutige Stadt entstand durch das Zusammenwachsen der Kirchspiele Eindhoven, Woensel, Strijp, Tongelre, Gestel und Stratum als Folge der industriellen Entwicklung um 1900, als die Glühlampenfabrik Philips immer mehr Arbeitnehmer anzog. Später trug auch DAF (Automobile) zur Expansion der Stadt bei. Während des Zweiten Weltkrieges war die von Nazideutschland besetzte Stadt ein wichtiges Ziel während der Operation Market Garden. Auch wegen der Philips-Röhrenwerke wurde die Stadt angegriffen. Schwere Bombardierungen der Alliierten zerstörten große Teile der Stadt. Beim Wiederaufbau wurden nur sehr wenige historische Gebäude erhalten. Ein Beispiel für die moderne Architektur Eindhovens ist das 1966 als Museum errichtete Evoluon. Heute ist Eindhoven mit etwas mehr als 200.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt der Niederlande und gilt als Technologiezentrum im Süden des Landes. Durch die Studentinnen und Studenten der Technischen Universität Eindhoven und durch einige höhere Schulen hat Eindhoven einen relativ niedrigen Altersdurchschnitt. (mit Material von Wiki)
Philips Museum
Emmasingel 31, 5611 AZ Eindhoven. Di.–So. 11–17 Uhr.
Evoluon
Noord Brabantlaan 1 A, 5652 LA Eindhoven
Strijp-S
Microlab, Kastanjelaan 400, 5616 LZ Eindhoven. Videolab, Torenallee 20, 5617 BC Eindhoven. Klokgebouw, Klokgebouw 50, 5617 AB Eindhoven. Apparatenfabriek, Torenallee 34, 5600 AJ Eindhoven.
De Blob / Admirant Shopping
Nieuwe Emmasingel 1, 5611 AM Eindhoven. Mo. 12–18 Uhr, Di.–Do. 9.30–18 Uhr, Fr. 9.30–21, Sa. 9.30–17 Uhr, So. 12–17 Uhr.
Effenaar
Dommelstraat 2, 5611 CK Eindhoven
Kazerne – Home of Design
Paradijslaan 2-8, 5611 KN Eindhoven. Ausstellung tägl. 12–24 Uhr, Kazerne Bar und Restaurant tägl. 12–24 Uhr, Restaurant Benz Di.–Sa. ab 18 Uhr. Das Hotel hat 8 Luxuszimmer von 35 bis 140 Quadratmeter Größe und ist Mitglied bei Design Hotels™.
Down Town gourmet market
Smalle Haven, 5611 EH Eindhoven. Di.–Do. 12–23 Uhr, Fr. + Sa. 12–24 Uhr, So. 12–23 Uhr