Mies am See – Haus Lemke
Bauwerk :Im Auftrag der Bescheidenheit
Das Landhaus Lemke war das Ende und der Beginn zugleich für Mies van der Rohe. Es war 1933 sein letztes, realisiertes Projekt in Europa, bevor er Nazideutschland verließ und in Nordamerika eine neue Phase seiner Karriere begann. Zuvor hatte er die Direktorenhäuser Esthers und Lange in Krefeld und Villa Tugendhat in Brno entworfen – prachtvolle, große Bauten mit ebenso großen, parkähnlichen Gärten. Das für den Unternehmer Karl Lemke und dessen Frau Martha geplante, eingeschossige Landhaus Lemke mit Flachdach und der Ziegelfassade wirkt von der Straße aus gesehen zurückhaltend und ungekünstelt. Zwar gibt es wie bei den Villen in Krefeld und Brno ein Wechselspiel der Hausansichten, doch gerade das Imposante dieser Anwesen wollten die Lemkes nicht kopieren. Karl Lemkes finanzielle und formale Vorgaben beeinflussten den Entwurfsprozess. Der Wunsch: ein „kleines und bescheidenes Wohnhaus“, das „an schönen Tagen zum Garten hin erweitert“ werden könnte. Das Resultat ist ein schlichtes, L-förmig angelegtes Wohnhaus in Massivbauweise, in dem Mies van der Rohe sein Konzept des „fließenden Raumes“ umsetzen konnte. Der Ziegelbau öffnet sich mit wandgroßen Fensterflächen zur Parklandschaft und zum Obersee, der nur wenige Meter vom Haus entfernt ist.
Die Einheit aus Haus, Garten und See
Vor der Übernahme des Landhauses durch das Bezirksamt Hohenschönhausen 1990 hatte es eine wechselvolle Geschichte mit teils fahrlässigen Nutzungen. Nach dem Ende Zweiten Weltkrieg bis 1962 war es Lager und Garage der sowjetischen Militärverwaltung. Von 1963–1976 wohnte hier ein Stasi-Offizier, danach wurde es bis in die Achtzigerjahre als Wäscherei und Gästehaus der Stasi genutzt. Nach der 2002 erfolgten, denkmalgerechten Instandsetzung für etwas über eine Million Euro können Gäste das Landhaus so erleben wie von Mies konzipiert: als gestalterische Einheit von Haus, Garten und See.
Wer von der Tramhaltestelle Oberseestraße kommt, wird nirgends Schilder oder Hinweise finden. In dieser zerteilten Gegend aus Platte, Stadthäusern und Gründerzeitbauten, aus Dorfgefühl und Berliner Kiezurbanität soll ein Werk des berühmten Architekten Mies van der Rohe stehen? Erst kurz vor dem Haus gibt es einen Wegweiser, der ebenso zurückgenommen wirkt wie der Mies-Bau. Diese Bescheidenheit macht es gerade im Bauhaus100-Jahre zu einem besonderen Ziel, ähnlich wie seine anderen Werke im Westen der Republik, die er mit seiner Partnerin Lilly Reich realisierte.
Im Jahr der Fertigstellung des Landhaus Lemke wandte sich der Architekt an die Studierenden der Bauhaus-Schule. Mit der Mitteilung vom 10.8.1933 leitete er als Bauhaus-Direktor die Schließung der weltweit einflussreichen und von den Faschisten verschmähten Schule ein. Das Ende war einige Jahre später der Anfang seines neuen Lebens- und Karriereabschnitts in den USA.
Mies van der Rohe Haus
Oberseestraße 60, D-13053 Berlin, Tel. +49 30 – 970 006 18. Di.–So. 11–17 Uhr, einschließlich Feiertagen. Eintritt frei. Anfahrt mit der Tram M5 bis Station Oberseestraße. Parkmöglichkeiten: direkt vor dem Haus.
Ausstellung
Neuheiten und Rezepte. Avanti-Avanti-100. Alte Malkünste neu belebt. Mit Kunst von Sabine Boehl. Daniel Buren, Günter Fruhtrunk. Von 21.7.–29.9.2019
Mies van der Rohe
Geboren 27.3.1886 in Aachen; gestorben am 17.8.1969 in Chicago; eigentlich Maria Ludwig Michael Mies. Deutsch-amerikanischer Architekt, der als einer der bedeutendsten Baukünstler der Moderne gilt. Mit den Mitteln der technischen Zivilisation wollte er diese architektonisch ordnen und repräsentieren. Seine Baukunst galt dem Ausdruck konstruktiver Logik und räumlicher Freiheit in klassischer Form. Dafür entwickelte er moderne Tragstrukturen aus Stahl, die eine hohe Variabilität der Nutzflächen und eine großflächige Verglasung der Fassaden ermöglichten. Dieses Konzept war so rational und universal, dass es auf viele zeitgenössische Architekten einen großen Einfluss ausübte (International Style) und bis heute, den technischen Innovationen entsprechend, immer weiterentwickelt wurde. Das Verhältnis von Proportion, Detail und Material in seinem Werk sowie seine Werke in Berlin hatten ebenfalls große Wirkung. Berühmt wurde er auch als Vertreter des Minimalismus in der Architektur, ausgedrückt durch die Formel "Weniger ist mehr" (mit Material von Wikipedia).