Nachkriegsmoderne und zeitgenössische Architektur: Stadt der Schichten – Architektur in Karlsruhe
Karlsruhe. Deutschland. [Anzeige] Die Stadt des Rechts erneuert sich und wächst. Zahlreiche neue Projekte sind das sichtbare Zeichen dieser Entwicklung. In diesem Rundgang haben wir heutige Bauten und markante Architekturen der Nachkriegszeit erkundet, dem wichtigen Erbe dieser noch jungen Stadt, die mit Schwung ins 21. Jahrhundert gestartet ist.
Karlsruhe boomt und baut. Von der Autobahn A5 kommend und stadteinwärts auf der Ludwig-Erhard-Allee fahrend in Richtung Mendelssohnplatz und Ettlinger Tor, sehen wir die Auswirkungen des Wachstums: Großbaustellen, Absperrungen, Umleitungen. Nach unserer Architekturstory 2018 über den Einfluss des Neuen Bauens in Karlsruhe geht es bei dieser Tour um die Nachkriegsmoderne und die heutige Architektur der Stadt, die sich erfolgreich entwickelt, aber auch unter Wachstumsschmerzen leidet. Seit Jahren steigt die Einwohnerzahl. Erstmals in ihrer Geschichte hat die Stadt die 300.000-Einwohnermarke erreicht. Die Folgen in allen Bereichen sind enorm. Die Nachfrage nach Bauland ist größer als das Angebot.
In seiner jungen 300-jährigen Geschichte als Planstadt kennt Karlsruhe solche Phasen der Expansion und Entfaltung. In den späten 1920er-Jahren war die Stadt ein wichtiges Zentrum des Neuen Bauens in der Weimarer Republik. Von der Epoche zehrt das Bauerbe der Stadt noch heute, denn das Projekt Dammerstock war damals revolutionär: bezahlbarer Wohnraum für alle mit viel Tageslicht und besseren Sanitäranlagen als üblich. Nach einem damals rasanten Bevölkerungsanstieg war Dammerstock mit Projekten von Walter Gropius, Wilhelm Riphahn und Otto Haesler die richtige Antwort. Heute ist das in nur wenigen Jahren gebaute Quartier das Vorzeigeobjekt des stolzen Bauerbes von Karlsruhe.
Maß und Mäßigung
Vieles in der Nachkriegsmoderne war in seiner Durchschnittlichkeit der Eile des Wiederaufbaus geschuldet, einiges jedoch strahlt bis heute eine architektonische Eleganz aus, die sich zudem mit hoher Ingenieurskunst verband. So auch bei der Schwarzwaldhalle. Der Architekt Erich Schelling und der Ingenieur Ulrich Finsterwalder haben Baugeschichte geschrieben. Die Halle hatte als erste in Europa ein parabolisches Hängedach aus Spannbeton mit einer nur sechs Zentimeter dicken Schale. Die klare und reduzierte Gestaltung ist zugleich ein wichtiges Dokument der Architektur der Nachkriegszeit.
Heute ist die schwungvolle Schwarzwaldhalle ein bedeutendes Kulturdenkmal in Baden-Württemberg. Kaum zu glauben, dass der Abriss mal erwogen wurde. Die Halle ist vielleicht das prominenteste Beispiel für eine baugeschichtliche Kulturvergessenheit, die glücklicherweise nicht in der Zerstörung des Erbes mündete. Selbstverständlich erzählen diese Bauwerke viel über Karlsruhes Wiederaufbaujahre, wo Wert auf eine bescheidene, moderate Moderne gelegt wurde. Zeitlos und zugleich in ihrer Epoche verwurzelt wie das Amtsgericht von Fritz Langenbach, das gebogene Verwaltungshochhaus von Clemens Grimm und Hans-Detlev Rösiger und die Industrie- und Handelskammer von Backhaus und Brosinsky.
Nach den moderat-reduzierten 1950ern wurde es expressiver und wuchtiger. Sei es im Wohnungsbau mit der Sichtbetonarchitektur des Rüppurer Schlosses, einer gewaltigen Hochhaus-Wohnanlage mit Terrassenhaus im Stil und in der Unité d’habitation-Tradition von Le Corbusier, sei es im Kulturbereich mit dem Badischen Staatstheater. Der 1975 fertiggestellte Komplex ist formenreich, offen und muss von außen wie von innen erarbeitet werden. Ebenso die postmoderne Heinrich-Hübsch-Schule von Heinz Mohl, einem wichtigen Baumeister für Karlsruhe, der unter anderem am Schlossplatz gebaut hat. Ab den 1990er-Jahren entstand im Südwesten der Stadt mit der Verwandlung des Hallenbaus A zum ZKM ein „Kulturschloss“, flankiert vom futuristischen Multiplex-Kino, dem Ungers-Projekt (Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof) und dem Arbeitsamt von Michael Weindel. All diese Projekte wurden in den 1990ern fertiggestellt.
Karlsruhe heute erscheint mit den aktuellen Großprojekten geschäftig, verkehrsreich, wirkungsvoll. Karlsruhe kann beides: Riesenprojekte und „Human scale“-Vorhaben. Zu letzterem zählen wir die zurückhaltend-souveränen Gebäude von Lederer Ragnarsdóttir Oei, den gelungenen Kirchenneubau von Peter Krebs in der Nordweststadt und den Citypark des Karlsruher Büros Rossmann + Partner. Zum Stadtumbau dagegen gehören die Riesenbauten von dm und Ikea, die Baustellen für Autotunnel und Untergrundbahn, das großflächig angelegte Büroquartier des IT-Unternehmers Ralph Dommermuth für die Firma 1&1. Dass Karlsruher Kulturinstitutionen mit diesem Wachstum mithalten sollen, sieht man an den Plänen für das Staatstheater. Das Wiener Büro Delugan Meissl (mit Wenzel + Wenzel) wird den Bätzner-Bau ein Jahrzehnt lang bis voraussichtlich 2030 sanieren, erweitern, umbauen.
Die stadtweite Umgestaltung ist für Karlsruhe eine enorm wichtige Phase. Die Baukultur wird diesen Schub spiegeln, so wie sie für andere, vergangene Epochen gestanden hat. Dass im Zuge des Sprungs ins 21. Jahrhundert keine Tabula rasa-Architektur entsteht, ist für Karlsruhes Identität der komplexen Vielschichtigkeit essentiell. Vielleicht kann der Ausspruch von Heinz Mohl so verstanden werden – als Anleitung und Anspruch für die neue, alte Karlsruher Architektur:
"Ein Paradigmawechsel zur Ordnung des Herzens, zur Menschlichkeit, zur Fähigkeit zu fragen, zu neuer Einfachheit ist nicht nur am Horizont zu erkennen, er ist bereits eingeläutet."