Jugendstil in Karlsruhe, Teil 2 – Kunstvoll komponiert
Auf Reisen:Jugendstil in Karlsruhe, Teil 1: hier.
Hermann Billings Handschrift war expressiv, farbenfroh und floral. Bei ihm gerieten selbst die Grundrisse in Schwung. Seine Dekorationselemente verschmolzen beinahe natürlich miteinander. Besonders imposant ist seine Villenkolonie in der Baischstraße mit dem ursprünglich viergeschossigen Torhaus an der Stephanienstraße (1901–1903) als Auftakt. Der gesamte Baukörper ist plastisch durchkomponiert, insbesondere im Bereich der Loggien über der Durchfahrt.
Besonders detailreich ist die Hofapotheke in der Kaiserstraße 201, die er 1901 zusammen mit Josef Mallebrein entwarf. Das Haus steht auf einem spitzwinkligen Grundstück. Mit ihren Türmchen und Risaliten wirken die mächtigen Ansichten verspielt. Durch großflächige Verglasungen scheinen sich die Erdgeschosszonen aufzulösen. Billing legte besonderen Wert auf die kunstvolle Ausgestaltung der Fassaden. Er fügte sie aus rosa Sandstein, aus dem er auch sämtliche Figuren, Ornamente, Laibungen und Bögen fertigen ließ. Durch die Reduktion auf nahezu ein Material scheint die gesamte Gebäudehülle organisch miteinander zu verschmelzen. Darüber legte er ein feines Netz aus hellen Fugen. Im Kontrast dazu stehen grün oder weiß gefasste und vergoldete Ornamente. Heute befinden sich in dem Haus die drei ältesten Läden der Stadt: die Hof-Apotheke, der ehemalige badische Hof-Juwelier Kamphues sowie das 1840 gegründete Geschäft Schirm Weinig.
Billings Brunnen am Stephanplatz zeugt von der Kraft seines Könnens. Die Anlage erregte bei ihrer Fertigstellung 1905 etliche Gemüter. Man empfand sie als obszön und gefährdend für die heranwachsende Jugend. Vierzehn Hermen umschließen den Brunnen kreisförmig. Als solche sind nach der antiken Kunst jene Pfeiler bezeichnet, die an Weggabelungen zu Ehren des Gottes Hermes aufgestellt waren und sein Gesicht zeigten. In Karlsruhe zieren sie karikierte Gesichtszüge bekannter Künstler der Stadt. Im Zentrum der Anlage steht eine nackte Quellnymphe von Hermann Binz. Nicht zuletzt dieses Werk verlieh Billing große Aufmerksamkeit, jedoch nicht im positiven Sinne. Seinen gewonnenen Wettbewerbsentwurf für den Karlsruher Hauptbahnhof durfte er nicht zuletzt wegen seines als Provokation empfundenen Werks nicht mehr ausführen. Stattdessen übernahm der damals drittplatzierte August Stürzenacker die Planungen. Er entwarf ein schlichtes Bauwerk mit geometrisch, abstrahierender Ornamentik. Er ist heute einer der wenigen gut erhaltenen Jugendstilbahnhöfe in Deutschland.
Die Architektur von Curjel und Moser war vergleichsweise zurückhaltend mit freien geometrischen Variationen. Ihr 1901 fertiggestelltes Bankhaus Homburger in der Karlstraße 11 gilt, abgesehen von den neo-romanischen Rundbögen, als eines der ersten reinen Karlsruher Jugendstil-Gebäude. Das Duo ließ botanische Ornamentik über die ansonsten schlichte Natursteinfassade ranken. Dabei weist die das konstruktive Prinzip betonende, funktionale Gliederung der beiden Straßenansichten bereits klar in die Moderne. Auch bei ihrer zeitgleich entstandenen Christuskirche am Mühlburger Tor finden sich neben frei angeordneter floraler Motive immer wieder geometrische Formen, die sie mit neogotischen Bauelementen verbanden. Ihre in der Oststadt gelegene Lutherkirche entwarfen sie als kubisch angelegte Großform mit einer reinen Natursteinfassade und einer dekorativen, geometrisch gefassten Ausgestaltung des Innenraums (1907). Hinzu kam eine ganze Reihe von Wohnbauten wie zum Beispiel das Wohnhaus Junker an der Ludwig-Marum-Straße 10.
In ihrem Zusammenspiel veranschaulicht die Karlsruher Jugendstil-Avantgarde die ganze Bandbreite der europäischen Epoche. Mit seiner Abkehr vom Historismus und gegen den Verfall der Handwerkskunst ebnete der Jugendstil zugleich den Weg zur Moderne, die mit der Dammerstock-Siedlung auch in Karlsruhe einen wegweisenden Eindruck hinterlassen hat. Sie zählt heute zu den bedeutendsten Zeugnissen des Neuen Bauens in Deutschland.
Karlsruhe
Über 313.000 Einwohner (Stand Dez. 2018) und zweitgrößte Stadt des Bundeslandes Baden-Württemberg. Oberzentrum der Region Mittlerer Oberrhein. Einst Haupt- und Residenzstadt des ehemaligen Landes Baden. 1715 vom heutigen Stadtteil Durlach als barocke Planstadt gegründet. Charakteristisch für den ursprünglichen Stadtplan sind die 32 ringsum vom Schloss in die Parkanlagen und den Hardtwald ausstrahlenden Straßen. Der Beiname "Fächerstadt" geht auf diesen fächerförmigen Grundriss zurück. Im Zentrum steht das barocke Karlsruher Schloss. Am Bau ab 1715 waren u. a. Jakob Friedrich von Batzendorf, Balthasar Neumann, Wilhelm Jeremias Müller beteiligt. Heute ist in dem Gebäude das Badische Landesmuseum und ein Teil des Bundesverfassungsgericht untergebracht. Die Bauten des Karlsruher Architekten Friedrich Weinbrenner (1766–1828) waren stadtbildprägend für seine Heimatstadt, da er hauptverantwortlicher Planer und Baumeister für die Umwandlung der kleinen Residenz Karlsruhe in die Hauptstadt des Landes Baden war. Nachdem viele seiner Bauten im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, wurde einige nach 1945 rekonstruiert, z. B. das Markgräfliche Palais, das Rathaus, die evangelische und katholische Stadtkirche. Seit 1950 ist Karlsruhe Sitz des Bundesgerichtshofs und des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof und seit 1951 des Bundesverfassungsgerichts. Karlsruhe wird daher auch „Residenz des Rechts“ genannt. Zahlreiche Behörden und Forschungsanstalten mit überregionaler Bedeutung sind in Karlsruhe angesiedelt. Unter den neun Hochschulen ist das renommierte Karlsruher Institut für Technologie (KIT) die älteste und größte. Die Stadt ist einer der bedeutendsten europäischen Stadtorte der Informations- und Kommunikationstechnik. Daran knüpft mit dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) auch eine der wichtigsten Kultureinrichtungen der Stadt an. Das ZKM feiert 2019 das 30-jährige Bestehen. 2014 überschritt die Einwohnerzahl von Karlsruhe erstmals die 300.000. 2015 feierte Karlsruhe den 300. Stadtgeburtstag.