Architekturschaufenster e.V. – Programm statt Podest
Reportage /
Später Nachmittag in der Waldstraße in der Karlsruher Innenstadt: Pläne an der Wand, Modelle auf dem Tisch, Stimmen im Raum. Kein White-Cube-Schweigen, sondern Arbeitsluft. Seit 2007 bringt das Architekturschaufenster e. V. (ASF) Architektur unter Leute – als Ausstellungen, Podien, Werkstätten, Führungen. Der Anspruch ist klar: Architektur gehört in die Öffentlichkeit. Oder, wie man hier sagt: „Wir wohnen alle in der Architektur. Man kann nicht nicht in der Architektur sein.“ Der Satz der Leiterin des Architekturschaufensters Stefanie Lampe ist die Leitplanke des Hauses: Er richtet den Blick auf den Alltag – und damit auf die Verantwortung, die gebaute Umwelt verständlich zu machen.
Programm mit Haltung
Das Haus zeigt mehrere Ausstellungen pro Jahr, mit Laufzeiten von wenigen Wochen bis rund zwei Monaten. „FORSCHUNGSDRANG“ bzw. „Junger Forschungsdrang“ holt Abschlussarbeiten und laufende Recherchen aus KIT/HKA in die Öffentlichkeit. Zuletzt standen „Menschen in der Stadt“ (ein Fotoprojekt mit Lichtwert e. V.) und die Buch-/Wanderausstellung „The Joinery Compendium“ (Kooperation u. a. mit dem BDA Stuttgart) auf dem Programm – zwei Beispiele dafür, wie das Haus zwischen lokaler Beobachtung und externer Expertise pendelt. Das Ziel ist immer dasselbe: öffnen, erklären, verhandeln.
Seit Dezember 2023 steuert Stefanie Lampe das Haus. Kunsthistorikerin, KIT-Alumna, Stationen u. a. am Deutschen Architekturmuseum (Mitarbeit an „Fahr Rad. Die Rückeroberung der Stadt“ und „Schön hier. Architektur auf dem Land“), Lehrtätigkeit an der HKA. Ihr Kompass: nahbar, präzise, offen. Begriffe wie „Kubatur“, „Innen-/Außenraum“ oder „Situation“ werden im Programm ins Alltägliche übersetzt, ohne die fachliche Schärfe zu verlieren. „Ich will nahbar sein“, erklärt Lampe – und genau so klingt die Arbeit: weniger Distanz, mehr Gespräch.
Woran Karlsruhe arbeitet
Karlsruhe ist im Wandel. Vieles ist im Umbau, manches dauert zu lange, anderes verschwindet leise. In den Gesprächen tauchen immer wieder konkrete Orte auf: Landratsamt, Peek & Cloppenburg, Postgiroamt – Bauten, an denen sich Fragen nach Bewahren, Weiterbauen, Neuordnen entzünden. Gleichzeitig gibt es eine starke Gegenbewegung: zwei Architekturstudiengänge vor Ort, viele kleine Büros, die hochwertige Umbauten realisieren, eine lebendige Umbaukultur. Das Haus wirkt hier als Verstärker: Es macht Konflikte öffentlich verhandelbar, statt sie in Fachgremien zu verkapseln. Die Stabsstelle Gestaltungsbeirat ist angebunden; Verwaltung, Büros, Hochschulen, Handwerk und Nachbarschaften sitzen regelmäßig am selben Tisch.
Wie Themen entstehen und für wen das gedacht ist
Programmiert wird etwa ein halbes Jahr im Voraus – und doch bleibt das Haus beweglich. Viele Anfragen kommen von außen; manches wächst aus Karlsruhe selbst, anderes wird bewusst in die Stadt geholt. Beispielhaft: die Zusammenarbeit zum 70-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft Karlsruhe–Nancy („carte blanche“), die den Blick auf europäische Stadtgeschichten schärft. Oder Formate, in denen Dissertationen und Studien auf die Praxis treffen: Was heißt „Nachverdichtung“ in einer Blockrandstraße? Wie sieht energetische Sanierung aus, wenn man das Straßenbild ernst nimmt? Hier wird Forschung anschlussfähig, weil sie mit Orten verknüpft wird. Das Publikum ist bewusst gemischt. Studierende und Büros kommen ebenso wie Verwaltung, Handwerk und Nachbarschaften. Niedrigschwelligkeit ist kein Etikett, sondern Methode: viele Veranstaltungen kostenfrei, offene Gesprächsführung, klare Sprache. Rund 150 Mitglieder tragen den Verein. Die Finanzierung ist transparent: etwa die Hälfte kommt über die Architektenkammer, dazu ein Viertel Stadt Karlsruhe und ein Viertel Mitgliedsbeiträge. Diese Mischung bindet unterschiedliche Perspektiven – und verpflichtet auf Ausgewogenheit.
Warum es diesen Ort braucht
Weil Baukultur nur dann Wirkung entfaltet, wenn sie verstanden wird. Das Haus zeigt, wie aus einer Ausstellung Gesprächsstoff wird, aus einem Podium Handlungswissen und aus einer Stadtdebatte konkretes Entscheiden. Karlsruhe profitiert von einem Ort, der nicht nur zeigt, sondern übersetzt: vom Fach in den Alltag und zurück. So entsteht jene Streitkultur auf Augenhöhe, ohne die Umbau, Denkmalschutz, Mobilität oder Energiefragen nicht zu lösen sind.
Auf die Frage nach dem Traumprojekt kommt die Antwort ohne Zögern: ein langfristiges Format, das Stadtgesellschaft und Fachwelt dauerhaft zusammenbringt – ohne Budgetgrenzen, ohne Schubladen. Bis dahin passiert das, was das Haus stark macht: konsequente Vermittlung, Kooperationen, die Karlsruhe in größere Zusammenhänge stellen, und eine Programmhaltung, die Zugänglichkeit nicht gegen Qualität ausspielt. Wer wissen will, wie diese Stadt über ihre gebaute Umwelt spricht, findet hier die Bühne – und wird schnell Teil des Gesprächs.
Architekturschaufenster Karlsruhe e.V.
Waldstraße 8, 76133 Karlsruhe. Gegründet: 2007. Leitung: Stefanie Lampe (seit 12/2023). Mitglieder: ca. 150. Viele Formate kostenfrei. Programm: ca. 6 Ausstellungen/Jahr (Laufzeit ~2 Monate), sowie Führungen, Buch- & Gesprächsabende. Themen: Umbaukultur, Nachverdichtung, Denkmalschutz, Mobilität, Energie, Stadtgesellschaft. Netzwerk: KIT/HKA, Büros, Handwerk, Initiativen; angebunden an die Stabsstelle Gestaltungsbeirat. Mitmachen: Mitglied werden, Themen vorschlagen, Kooperationen anfragen.