Perlen der Provinz: Diözesanmuseum Paderborn, Teil 2: Wunder Westfalens – Architektur in Paderborn
Paderborn. Deutschland. Das Diözesanmuseum in Paderborn widmet sich der christlichen Kirchenkunst. Neben der Dauerausstellung mit der beeindruckenden Sammlung gibt es immer wieder erfolgreiche temporäre Schauen. Im ersten Teil haben wir den Sammlungscharakter und die Kunst gezeigt. Teil 2 thematisiert die Gottfried Böhm-Architektur, die damit verbundenen Kontroversen, den Umbau und warum Museumsdirektor Christoph Stiegemann nach wie vor gerne hier arbeitet.
"Fantastische, diagonale Raumbezüge und die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen."
Prof. Dr. Christoph Stiegemann, Museumsdirektor Erzbischöfliches Diözesanmuseum und Domschatzkammer, Erzbistum Paderborn
Bevor uns Museumsdirektor Christoph Stiegemann das Diözesanmuseum zeigt, gehen wir raus. Nicht um den Bau von außen zu erkunden, sondern um einen Kaffee im wenige Meter entfernten Markt 5 Café zu trinken. Erst kommt die Geschichte, dann das Gebäude. Hier erläutert er im ruhigen Ton die lauten Stimmen, die das Projekt begleiteten. Er verweist auf die Raumnot und die damals dringende Notwendigkeit zur Erweiterung. Das Gebäude sei ein Quantensprung gewesen. Allerdings eins mit Schwächen. "Es war eindeutig eine Bauskulptur mit einem einzigen, großen Raum. Es war freitragend und transparent, aber es funktionierte nicht als Museum." Er beschreibt die großen Temperaturschwankungen, die Sonneneinwirkung und welche Probleme es in der Winterzeit gab. "Daher musste eine Kühltechnik für die 1200 Quadratmeter her." Hinzu kamen die Proteste der Paderborner, die Böhms Bau rundweg ablehnten. "'Schandmal' war ein Begriff, der häufig fiel", so Stiegemann. Zuvor hatte ein Preisgericht den durch einen begrenzten Wettbewerb ermittelten Entwurf des Kölner Architekten Prof. Gottfried Böhm 1969 einstimmig zum Gewinner auserkoren. Nach sechsjähriger Planungs- und Bauzeit konnte der einem Schmuckkasten nachempfundene Neubau am 25. Mai 1975 eröffnet werden. Die Geschossebenen mit den Fassaden hängen an einer Trägerkonstruktion, die auf vier Stützen ruht. Diese umgreifen mittelalterliche Gewölberäume. Mit seiner umfassenden Transparenz, den prägnanten Bleifassaden und seinem alle trennenden Wände aufhebenden Großraum stand es für die Museumskonzeption der späten 1960er-Jahre. Stiegemann spricht von "fantastischen, diagonalen Raumbezügen und der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen."
"Es soll funktionieren", soll Gottfried Böhm gesagt haben, erzählt Stiegemann. Denn die großartige Idee des fließenden Übergangs der Räume und der Aufhebung der Raumtrennungen – in der Realität misslang die Umsetzung aus konservatorischer Sicht. Experten aus Ausland wurden konsultiert, als das Erzbistum Paderborn, der Träger des Museums, den Umbau beschloss. Die Sanierung übernahm der britische Architekt Michael Brawne, der sich mit Entwürfen zu Bibliotheken und Museen einen Namen gemacht hatte. 1975 hatte er z. B. die Nationalbibliothek von Sri Lanka entworfen. Seine Pläne für den umfassenden Umbau erforderten ein neues Ausstellungskonzept. Die großen Fensterflächen wurden geschlossen, die ehemaligen Magazinräume als Ausstellungsfläche einbezogen, den Eingang verlegte man auf die Südseite und zum Dom hin kam ein Anbau mit der Klimatechnik. Die Architektur des Großraums wurde dadurch zurückgenommen. Zwar sind die Quer- und Diagonalbezüge nach wie vor da, aber insgesamt scheinen die Dimensionen übersichtlicher und reduzierter.
Was wäre, wenn aus dem Schmuckkasten eine Lichtbox wird?
Nach der Geschichte im Markt 5 Café kommt nun das Gebäude. Wer die Bilder des Originalbaus mit dem Umbau vergleicht, erkennt die großen Änderungen sofort. Statt totaler Transparenz gibt es weiße Wandflächen und wuchtige Brüstungen. Die filigrane Böhm-Durchlässigkeit scheint mit dem Brawne’schen Ausstellungspragmatismus ersetzt worden zu sein. Der Erfolg, den das Haus ab 1995 mit Wechselausstellungen zu Themen der christlichen Kultur und Kunst hat, gibt den Befürwortern der Neugestaltung Recht. Vor allem ist es Stiegemann und seinem Team zu verdanken, dass das Haus mit der Vermittlung von Kunst und Kultur in seiner Gesamtheit über Paderborns Grenzen bekannt wurde. Zu den Großausstellungen “Kunst und Kultur der Karolingerzeit” (1999), “Canossa – Erschütterung der Welt” (2006) und “CREDO – Christianisierung Europas im Mittelalter” (2013) kamen hunderttausende Besucher. Als Stiegemann 2015 das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland verliehen wurde, betonte Prof. Dr. Egon Wamers, Direktor des Archäologischen Museums Frankfurt, in seiner Ansprache, dass “Paderborn heute ein ‘erstklassiger’ Ausstellungsstandort im nationalen und internationalen Vergleich ist. Er würdigte damit Stiegemann als Museumsmann und Ausstellungsmacher, der dies alles nicht nur mit einem enormen Einsatz an Zeit, sondern auch in der ihm unnachahmlichen Weise mit viel Geist und Herz zustande gebracht habe. Dass die Proteste weniger wurden, führt Stiegemann auch auf das Gespräch mit den Bürgern zurück. Die Wahrnehmung habe sich geändert. “Unsere konstruktive Museumsarbeit hatte auch seinen Anteil daran. Wir haben mit den Möglichkeiten des Museums gearbeitet, haben die Menschen hierher eingeladen, mit ihnen gesprochen. Das Architekturthema war immer präsent. Man kann es nicht aussitzen.” Es hört sich nach einem Museumsdirektor an, der seine Arbeit auch nach 37 Jahren im Haus, davon 26 Jahre als Leiter, gerne und mit Engagement macht. Gleichzeitig klingen seine Worte wie auch die des Direktors des Archäologischen Museums Frankfurt wie ein Appell auch Geist und Herz des Gebäudes zusammenzubringen. Oder vielmehr der ursprünglichen Seele des Hauses wieder Platz zu geben: seine großräumliche, lichte Transparenz. Stiegemann verweist beim Abschied auf die heutigen Möglichkeiten der Technik und der Innengestaltung. Tatsächlich hat sich die Museumsarchitektur weiterentwickelt, was man z. B. am 2009 eröffneten Akropolismuseum von Bernard Tschumi und Michael Photiadis sehen kann. Hier ist der Innenraum gebaute Bewegung, keine Aneinanderreihung verschiedener statischer Räume, sondern ein einziger fließender Rundgang auf einer dreidimensionalen Promenade. Nach heutigem Stand der Technik ist es also möglich durch umlaufende Fensterbänder Tageslicht und den Außenraum einzubeziehen. Aus dem ehemaligen “Schandmal” könnte wieder ein Lichtkasten werden. Würde man das angehen, wäre es über drei Jahrzehnte nach der Ersteröffnung tatsächlich ein Paderborner Wunder.