Robert Mapplethorpe und Rotterdams Museen – Maximalkultur an der Maas
Reportage:Die große Robert Mapplethorpe-Retrospektive
"Wenn ich vor ein- oder zweihundert Jahren geboren worden wäre, ich wäre ein Bildhauer geworden", erklärte Robert Mapplethorpe einst seine Herangehensweise an die Fotografie. Seine Bilder von Männer- und Frauenkörpern, seine Stillleben mit Tulpen, Lilien und Callas haben tatsächlich etwas Skulpturales – so plastisch und beinah dreidimensional wirken sie in ihrer Tiefe, Detailgenauigkeit und dem Licht- und Schattenspiel. Um solche Bilder zu erschaffen, muss vieles zusammenkommen. Diese Mannigfaltigkeit spiegelt "Robert Mapplethorpe, ein Perfektionist" wieder. Die Kunsthal Rotterdam präsentiert die Retrospektive vom 22.4.–27.6.2017 mit einer Übersicht über das Leben und das Werk des Künstlers. Die Schau zeigt 200 Arbeiten mit seinen Kernthemen Portraits, Akt und Stillleben. Zusammen mit Briefen, Notizen und begleitenden Worten von portraitierten Prominenten seiner Zeit fügt sich so das Bild eines Mannes zusammen, der zu den einflussreichsten Künstlern und Fotografen des 20. Jahrhunderts zählt. Sein mehrere Jahrzehnte umspannendes Werk wird in dieser Retrospektive zur Chronik seiner Zeit. Zugleich ist es größer als nur die Wiedergabe der Themen, Menschen und Gegenstände jener Ära. Seine Bilder sind zeitlos, menschlich, echt. Es geht um Schönheit und Wahrhaftigkeit, Authentizität und Tiefe und um das Maximum, das ein Künstler aus seinem Schaffen herausholen kann.
Kunsthal Rotterdam
Die Robert Mapplethorpe-Retrospektive findet in der Kunsthal Rotterdam statt, einer Kunsthalle ohne eigene Sammlung. Sie veranstaltet jährlich etwa 25 Wechselausstellungen. Bei der Ausstellungsplanung werden die unterschiedlichsten Aspekte der Bildenden, Darstellenden und Angewandten Kunst berücksichtigt sowie weitere kulturelle Themenkreise, wie beispielsweise Meisterwerke des Impressionismus, Geschichte und Design der Dessous, Leonardo da Vinci, Schmuckkunst oder Pop Art. Die Kunsthal wurde 1992 vom Rotterdamer Architekturbüro Office for Metropolitan Architecture (OMA) geplant, der Entwurf stammt von den Architekten Rem Koolhaas und Fumi Hoshimo. Das Gebäude ist Teil des Museumsparks, in der Nachbarschaft befinden sich das Museum Boijmans van Beuningen und das Nederlands Architectuurinstituut (NAi).
Die 3300 Quadratmeter Ausstellungsfläche der Kunsthal verteilen sich auf drei große Ausstellungshallen und zwei kleinere Galerien. Daneben beherbergt das Gebäude ein Auditorium und ein Restaurant. 2014 wurde die Kunsthal von OMA umfassend renoviert und auf den neuesten Stand der (Klima)Technik, Sicherheit und des Energieverbrauchs gebracht. Projektverantwortliche waren OMA-Partner Ellen van Loon and OMA-Mitarbeiter Michel van de Kar and Alex de Jong.
Museum Boijmans van Beuningen
Das größte Kunstmuseum in Rotterdam und nur wenige Minuten von der Kunsthal entfernt beherbergt zahlreiche Gemälde und Skulpturen und wurde im Museumspark Rotterdam von 1928–1935 nach Plänen des Architekten Ad van der Steur errichtet. Von 1963–1972 und 2000–2003 wurde es erweitert. Das Museum ist als Rijksmonument denkmalgeschützt.
Gleichzeitig soll mit dem Depot Boijmans Van Beuningen der Sprung in die Zukunft gelingen. Denn die bisher im Keller des Museums gelagerte Sammlung des Hauses wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das 40 Meter hohe Kunstdepot wurde von Winy Maas von MVRDV entworfen und wird ab 2020 integraler Teil des Museumsparks werden.
Nederlands Architectuurinstituut / Het Nieuwe Instituut
Gegenüber des künftigen Kunstdepots und unweit des Museum Boijmans van Beuningen befindet sich das Nederlands Architectuurinstituut NAi. Das NAi war der zentrale Ort in den Niederlanden für die Archivierung der hiesigen Architektur und der Architekturvermittlung. Das NAi wurde 1988 gegründet und residierte seit 1993 in einem von Jo Coenen entworfenen Neubaum im Museumspark Rotterdam. Es ging 2013 in Het Nieuwe Instituut auf. Coenen war von 2000–2004 Reichsbaumeister der Niederlande und hat, neben der Artothek Breda (1992), dem Centre Céramique in Maastricht (2002), der Vesteda-Turm in Eindhoven (2006), dem Zentralen Öffentlichen Bibliothek in Amsterdam (2007) auch in Deutschland gebaut: das Düsseldorf Office Center Kaistraße DOCK.
Museumspark Rotterdam
Der Park befindet sich in der Innenstadt von Rotterdam. Das Boijmans van Beuningen Kunstmuseum, das Niederländische Architekturinstitut und das Naturhistorische Museum sind in eine Parkanlage eingebettet, die auch für Veranstaltungen genutzt wird. Hinzu kommen das Chabot Museum und die Villa Sonneveld, das, 1934 erbaut, als Meisterwerk der klassischen Moderne gilt.
Das ehemalige Land der Familie van Hoboken wurde nach dem Tod des Landherrn Anthonie van Hoboken 1924 von der Stadt Rotterdam aufgekauft, in deren Händen es immer noch ist. Die Stadt beschloss das innerstädtische Gelände als Museumspark zu nutzen und die Grünanlage zu erhalten. 1935 und um 1990 gab es einen deutlichen Entwicklungsschub für das Gelände als Museumspark. 1935 entstand am nördlichen Rand des Geländes das Kunstmuseum Boijmans van Beuningen. Die Villa der Familie van Hoboken am südlichen Westzeedijk wurde als Volkshochschule umgenutzt. 1987 bezog das Naturhistorische Museum die ehemalige Villa.
Um 1990 kam es zur zweiten intensiven Bautätigkeitsphase und einer grundsätzlichen Umgestaltung des Museumsparks. International bekannte Architekten wurden für die Neubauten gewonnen. Das Büro OMA entwarf die Kunsthalle mit ihren Wechselausstellungen, Jo Coenen das niederländische Architekturinstitut. Von Burle Marx stammt die Fußgängerbrücke. Im Zuge der Veränderungen entschloss sich auch das Naturhistorische Museum zu einer Erweiterung. Das Boijmans van Beuningen Museum erhielt neben einer umfassenden Renovierung einen weiteren Neubau und den van Beuningen de Vriese Pavillon im Park.
Der Park wurde auf Grundlage eines umfassenden Konzeptes des französischen Landschaftsarchitekten Brunier in Zusammenarbeit mit dem niederländischen Architekturbüro OMA in vier Zonen unterteilt: einen Teil mit der Kunsthalle und dem Naturhistorischen Museum, einen romantischen Garten in ländlicher Künstlichkeit, einen Bereich für öffentliche Veranstaltungen mit Asphaltfragmenten und einen Vorhof in urbaner Künstlichkeit für das Niederländische Architekturinstitut.
Nederlands Fotomuseum im Las Palmas
Das ehemalige Lagerhaus an der Wilhelminakade auf der Kop Van Zuid wurde aufwändig erneuert und renoviert. Vom Museumspark sind es etwa 20 Minuten zu Fuß bis zum Las Palmas-Gebäude. Der 1953 von Van den Broek & Bakema entworfene Bau ist das einzige verbliebene Haus am Wilhelminapier aus der Zeit der Neuerfindung Rotterdams nach den verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs durch Deutschland und die Nazis. Heute kombiniert das neue Las Palmas Büro- und Gewerbeeinheiten mit Kulturangeboten in Form des Nederlands Fotomuseum.
Seit den späten 1980ern fungiert das Nederlands Fotomuseum als Hüter des Fotografie-Erbes des Landes. Gleichzeitig ist das Haus Plattform für ambitionierte Fotokunst und internationale Künstler. Aktuell zeigt das Museum die Ausstellung "Europa. What else?" mit Werken von Henri Cartier-Bresson, Otto Snoek und Nico Bick. Die Frage nach der Alternative beantwortet die Schau auf eine zunächst menschlich-dokumentarische Art und Weise. Hier beeindrucken die Bilder von Cartier-Bresson (1908–2004), dem französischen Groß-Fotografen, Regisseur, Zeichner, Maler und Mitbegründer der berühmten Foto-Agentur Magnum. Seine Reisen in den 1940ern und 1950ern führten ihn unter anderem nach Pakistan, in die USA und durch Europa. Vor allem diese Bilder zeigen ein Europa der Unterschiede, aber auch der Gemeinsamkeiten – Dokumente aus einer anderen Ära und doch sehr vertraut und uns 21. Jahrhundertmenschen ähnlich.
Die Bilder der beiden niederländischen Fotografen Otto Snoek und Nico Bick sind die Jetztzeit-Antworten auf die Klassiker von Cartier-Bresson. Snoek hat sich an Feiertagen unter die Menschen gemischt. Sie sehen aus wie man eben aussieht, wenn man feiert: freudig und ausgelassen, mit glasigen Augen und roten Nasen, mit würdelosem Outfits und prachtvoller Folklore. Da Snoek überzeugt ist, dass Bilder leben und nicht für Ewigkeiten in Museen konserviert werden sollten, können die großformatigen Fotos sogar mitgenommen werden. Nico Bick wiederum hat einen architektonisch-politischen Blick auf Europa. Er fotografierte die Parlamente der EU-Staaten und typologisierte sie nach Innengestaltung, Sitzverteilung und weiteren Faktoren. Das starke Resultat: Europas Parlamente sind so menschlich, so verschieden und so bunt wie es der Kontinent nun mal ist. Leider gibt es noch keinen Ausstellungskatalog mit Bicks Bildern. Wird Zeit, dass sich ein Verlag diesen Fotografien annimmt. Sie sind wie eine Mahnung und eine Antwort: "Europa. Nothing else."
Unsere redaktionell unabhängige Recherchereise wurde von Rotterdam Partners unterstützt.
Kunsthal Rotterdam
Addresse: Museumpark, Westzeedijk 341, 3015 AA Rotterdam. Tel: +31 (0)10 – 4400 300. Die Kunsthal ist im Museumspark, etwa 20 Gehminuten vom Rotterdamer Hauptbahnhof entfernt. Öffnungszeiten: Di.–Sa.: 10–17 Uhr, So.: 11–17 Uhr. Eintritt: 2–12 Euro. Die Robert Mapplethorpe-Ausstellung ist vom 22.4.–27.8.2017 zu sehen.
Robert Mapplethorpe: The Photographs
Von Britt Salvesen und Paul Martineau, herausgegeben von J. Paul Getty Museum und LACMA, erschienen bei Getty Trust Publications im März 2016. 330 Seiten, auf Englisch, 24,1 x 3,6 x 30,5 cm, ISBN-13: 978-1606064696.
Nederlands Fotomuseum
Im Las Palmas Gebäude an der Wilhelminakade 332, 3072 AR Rotterdam. Öffnungszeiten: Di.–Fr.: 10–17 Uhr, Sa.–So.: 11–17 Uhr. Eintritt: 6–12 Euro. Die Ausstellung "Europa. What else?" ist noch bis 7.5.2017 zu sehen. Ab dem 20.5. bis 27.8.2017 zeigt das Fotomuseum "Etnomanie" der 1965 geborenen niederländischen Künstlerin und Stylistin Ellie Uyttenbroek. Aus mehreren hundert ethnografischen Bildern des Bestands des Fotomuseums hat sie 100 ausgewählt. Diese bildeten die Grundlage für die Neuinterpretationen: Uyttenbroek hat die Portraitierten aus einer anderen Epoche verfremdet, ihr Aussehen überspitzt, sie mit Accessoires versehen und ihnen einen Look verpasst, der den Betrachter irritiert und bekannt zugleich vorkommt – vieles erinnert an heutige Mode- und Popkulturen.
Museum Boijmans Van Beuningen
Adresse: Museumpark 18-20, 3015 CX Rotterdam. Tel: +31 (0)10 44.19.400. Öffnungszeiten: Di.–So. 11–17 Uhr. Eintritt: 3,50–18,50 Euro.
Het Nieuwe Instituut
Adresse: Museumpark 25, 3015 CB Rotterdam. Di.–Mi.: 11–17 Uhr, Do.: 11—21 Uhr, Fr.–So.: 11–17 Uhr.