Kulturzentrum für europäische Raumfahrttechnik KSEVT –  Glänzende Kultstätte

Perlen der Provinz:

Eine Perle der Provinz von den vier wichtigsten Architekturbüros Sloweniens .

Glänzende Kultstätte

Sozialistische Moderne — Slowenien | 

Der Ort ist etwa 20 km von Celje entfernt, drittgrößte Stadt Sloweniens.

Vitanje

Der Ort ist etwa 20 km von Celje entfernt, drittgrößte Stadt Sloweniens.

Bild vergrößern (Vitanje)(Abbildung © Honke Rambow)
Kulturzentrum für europäische Raumfahrttechnologien. Entwurf: OFIS, Sadar+Vuga, Dekleva-Gregorič und Bevk-Perović. Fertigstellung: 2012.

KSEVT

Kulturzentrum für europäische Raumfahrttechnologien. Entwurf: OFIS, Sadar+Vuga, Dekleva-Gregorič und Bevk-Perović. Fertigstellung: 2012.

Bild vergrößern (KSEVT)(Abbildung © Honke Rambow)
Silberne Aluminiumfassade

KSEVT

Silberne Aluminiumfassade

Bild vergrößern (KSEVT)(Abbildung © Honke Rambow)

Als Wanderer mag man auch zufällig nach Vitanje geraten, alle anderen müssen sich gezielt in das Bergdorf auf den Weg machen. Am besten geschieht das von Celje aus, der drittgrößten Stadt Sloweniens, die mit durchaus beeindruckenden Relikten aus ihrer bis zu den Kelten zurück reichenden Geschichte selbst einen Besuch wert ist. Es lohnt sich, die Fahrt nach Vitanje mit dem Bus anzutreten: Wie die Fahrer souverän und leichthändig schmale Schluchten, halsbrecherische Serpentinen und winzige Dorfstraßen meistern, ist durchaus abenteuerlich. Schließlich hält der Bus in Vitanje direkt vor einem fremdartigen, runden, silbrig glänzenden Bau, der gleichermaßen archaisch wie futuristisch zwischen der ansonsten unauffälligen dörflichen Bebauung liegt. Zwei ineinander verdrehte, flache Spiralen bilden die Geometrie des KSEVT über einem dunklen verglasten Eingangsbereich, der sich durch die Schiefstellung der Spiralen keilförmig öffnet. Das Akronym KSEVT (sprich: Kse-ut) steht für „Kulturno Središče Evropskih Vesoljskih Tehnologij“ (Kulturzentrum für europäische Raumfahrttechnik). Nun drängt sich zunächst die Frage auf, warum sich eine solche Institution ausgerechnet hier, in der slowenischen Provinz befindet.

Der Entwurf für das KSVET stammt von den vier wichtigsten Architekturbüros Sloweniens

Die Idee des KSEVT geht auf den slowenischen Regisseur und bildenden Künstler Dragan Živadinov zurück, der seit 1995 an einem auf fünfzig Jahre angelegten Theaterprojekt arbeitet, das sich auf den slowenischen Weltraumpionier Herman Potočnik Noordung bezieht. Zwar stammt Potočnik selbst nicht aus Vitanje, sondern nur seine Familie mütterlicherseits, und es ist nicht einmal nachweisbar, dass er zu Lebzeiten den Ort überhaupt besuchte, dennoch plante Živadinov von Anfang an, das Zentrum dort zu erreichten. Ob das dem Hang zu obskurer Mythologisierung Živadinovs oder schlicht der günstigen Gelegenheit, dass Vitanjes Gemeindehaus, das zuvor auf dem Grundstück stand, baufällig war und ersetzt werden musste, geschuldet ist, bleibt unklar. Tatsächlich gelang es dem überaus umtriebigen und charismatischen Künstler, das slowenische Kulturministerium und im Nachgang auch die EU von seinem Plan zu überzeugen. Der Entwurf sollte aus einem Wettbewerb, zu dem die vier wichtigsten slowenischen Architekturbüros eingeladen waren, hervorgehen. Vasa Perović von Bevk-Perović erinnert sich, dass die vier Büros bei einem ersten Workshop übereinkamen, das Projekt gemeinsam zu realisieren. Zum einen, da zu dieser Zeit wegen der beginnenden Finanzkrise alle Büros um Projekte kämpfen mussten, zum anderen, weil das KSEVT zwar von nationaler Bedeutung war, aber andererseits die Finanzierung mit 2,8 Millionen so knapp aufgestellt, dass nicht viel mit dem Bau zu verdienen war. Die vier Büros OFIS, Sadar+Vuga, Dekleva-Gregorič und Bevk-Perović teilten sich die Arbeitsbereiche je nach ihren herausragendsten Fähigkeiten auf. Nach Perovićs Erinnerung übernahm Sadar+Vuga die Gesamtleitung, OFIS war insbesondere für die Genehmigungsverfahren zuständig, während sich die beiden anderen Büros um die Detailausführung kümmerten. Die runde Grundform stand von Anfang an fest, da sie sich an einer der berühmtesten Entwicklungen Herman Noordungs, dem Habitatring, orientierte.
Das zwischen 2009 und 2012 entstandene Gebäude vereinigt mehrere Funktionen: Während in der inneren der Spiralen ein durchgehender Ausstellungsraum untergebracht ist, ersetzt der davon umschlossene Saal das abgerissene Gemeindehaus, zusätzlich sind im Untergeschoss Räume, die von Vereinen genutzt werden – etwa Duschen und Umkleiden für den Sportverein, der auf dem angrenzende Gelände trainiert –, die äußere Spirale schließlich ist schlicht die Feuertreppe, auf dem Dach befindet sich eine für Besucher zugängliche begrünte Aussichtsplattform.

Gebautes Gesamtkunstwerk von OFIS, Sadar+Vuga, Dekleva-Gregorič und Bevk-Perović

Der silbernen Aluminiumfassade steht im Inneren grober Sichtbeton gegenüber. Die Struktur der zwei gegeneinander verdrehten Spiralen führt dazu, dass im rampenförmig ansteigende Ausstellungsraum alle Flächen leicht aus der Achse gekippt sind. Selbst der Boden steigt nicht nur an, sondern ist auch zur Seite hin abschüssig, was bei längerem Aufenthalt immer wieder das Raumgefühl irritiert und beinahe zu Empfindungen einer veränderten Schwerkraft führt. Im oberen Saal, der über dem Gemeindesaal liegt, befinden sich vollverglaste runde Kabinette als kleine abgeschlossene Studienräume. Das KSEVT unterhält seit seiner Eröffnung, zu der auch der Astronaut Jurij Malentschenko von der Raumstation ISS eine Grußbotschaft sandte, Forschungskontakte zum Jurij-Gagarin-Trainingszentrum in Moskau, wie auch zur NASA. Gleichermaßen finden in Vitanje auch Architekten-Workshops und immer wieder Projekte internationaler Künstler statt. Ob allerdings der interdisziplinäre Ansatz des Instituts auch in Zukunft gewahrt bleibt und das KSEVT seine Einzigartigkeit bewahren kann, ist derzeit mehr als ungewiss, da die slowenische Regierung die Gründungsleiter und geistigen Väter der Institution, Dragan Živadinov und Miha Turšič vor die Tür gesetzt hat. Unter neuer Leitung soll das KSEVT mit der Bezeichnung „Herman Noordung Zentrum“ zu einem reinen Wissenschafts- und Technologiezentrum mit starker Wirtschaftsausrichtung umgebaut werden. Der Ansatz, die Raumfahrt und das Universum einer Betrachtung unter kulturellen und künstlerischen Gesichtspunkten zu unterziehen, der das KSEVT weltweit einzigartig macht, die Entstehung der Institution überhaupt nur ermöglichte und in Architektur, Ausstellung und Programm derzeit noch eine bemerkenswerte Einheit bildet, würde dadurch verloren gehen. Noch ist das KSEVT in Vitanje allerdings als gebautes Gesamtkunstwerk zu erleben.
Dass das Schild des KSEVT direkt neben der Bushaltestelle den Cineasten sofort an Stanley Kubricks Monolithen aus „2001 – A Space Odyssee“ erinnert, ist vermutlich kein Zufall. Vasa Perović erinnert sich allerdings, dass die schwarze Stele keine Planung des Architektenteams war, sondern vermutlich von Dragan Živadinov entwickelt wurde.

Dachterrasse mit Sonnenschutzelementen

KSVET

Dachterrasse mit Sonnenschutzelementen

Bild vergrößern (KSVET)(Abbildung © Honke Rambow)
Das Forschungskabinett

KSEVT

Das Forschungskabinett

Bild vergrößern (KSEVT)(Abbildung © Honke Rambow)
Obere Saal mit Kabinetten

KSEVT

Obere Saal mit Kabinetten

Bild vergrößern (KSEVT)(Abbildung © Honke Rambow)
Der Gemeindesaal

KSEVT

Der Gemeindesaal

Bild vergrößern (KSEVT)(Abbildung © Honke Rambow)
Ausstellungsspirale

KSEVT

Ausstellungsspirale

Bild vergrößern (KSEVT)(Abbildung © Honke Rambow)
Außenspirale mit Feuertreppe

KSVET

Außenspirale mit Feuertreppe

Bild vergrößern (KSVET)(Abbildung © Honke Rambow)
Außenansicht

KSEVT

Außenansicht

Bild vergrößern (KSEVT)(Abbildung © Honke Rambow)
Kubricks Monolith

KSEVT

Kubricks Monolith

Bild vergrößern (KSEVT)(Abbildung © Honke Rambow)

»Was allein zählt, ist sein Buch.«

Miha Turšic, Direktor des Raumfahrtzentrums, über den Raumfahrtpionier Herman Potočnik

KSVET

(sprich: Kse-ut) „Kulturno Središče Evropskih Vesoljskih Tehnologij“ (Kulturzentrum für europäische Raumfahrttechnik). Adresse und Öffnungszeiten: Na Vasi 18, 3205 Vitanje. Di.-Sa. 9-15 Uhr, So. 10-11 Uhr. Tel.: +386 40 300 052

Herman Potočnik

wurde 1892 in Pula im heutigen Kroatien als Sohn slowenischer Eltern geboren, gestorben 1929 in Wien. Er wuchs zunächst in Maribor auf und besuchte dann die Militärschule in Mähren. Im Anschluss studierte er an der Militärakademie in Mödling bei Wien, spezialisierte sich auf Eisenbahn- und Brückenbau und schloss das Studium 1913 mit dem Rang eines Ingenieurs ab. Nach dem Einsatz im ersten Weltkrieg wurde Potočnik bereits 1919 wegen einer Tuberkuloseerkrankung in den Ruhestand versetzt und begann ein Studium der Elektrotechnik und des Maschinenbaus in Wien. 1929 wurde in Berlin sein einziges Buch veröffentlicht: „Das Problem der Befahrung des Weltraums“. Detailliert entwirft Potočnik, der sich für diese Veröffentlichung das Pseudonym Noordung, unter dem er bis heute bekannter ist, gab, auf knapp 200 Seiten eine dauerhaft bewohnte Raumstation und entwickelt das Prinzip des geostationären Satelliten, das heute insbesondere für Wetter- und Telekommunikationssatelliten üblich ist. Während das Buch zur Erscheinungszeit wissenschaftlich nicht ernst genommen wurde, setzte nach dem zweiten Weltkrieg eine Wiederentdeckung ein. Wernher von Braun bezeichnete es als wesentliche Basis seiner Forschungen und in Stanley Kubricks Film „2001 – A Space Odyssee“ sind wesentliche Ideen Noordungs in die Setdesigns eingeflossen, insbesondere der Habitatring, der durch ständige Drehung künstliche Schwerkraft in der Raumstation erzeugt. Wie visionär Noordungs Ideen waren, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass 1999 die NASA beschloss, sein Buch ins Englische zu übersetzen.

Dragan Živadinov

leitet seit 1995 das Kozmokinetični Kabinet Noordung. Das auf 50 Jahre angelegte Theaterprojekt des Regisseurs ist hervorgegangen aus dem Gledališče Sester Scipion Nasice (Theater der Schwestern Scipio Nasicas) und dem Kozmokinetično Gledališče Redeči Pilot (Kosmokinetisches Theater Roter Pilot), die beide neben der Künstlergruppe IRWIN und der Band Laibach zu den wesentlichen Gruppen der Neuen Slowenischen Kunst (NSK) gehörten. Živadinovs Drama „Noordung 1995-2045“ sieht alle zehn Jahre eine Aufführung vor. Alle Darsteller sind verpflichtet bis 2045 mitzuwirken. Verstorbene Darsteller werden durch robotische Symbole ersetzt. Die letzte Aufführung soll 2045 in einem geostationären Observatorium in 35.900 Metern Höhe über der Erde stattfinden. Živadinov geht davon aus, dass bis dahin alle Darsteller durch robotische Symbole ersetzt wurde, er selbst aber noch als Regisseur fungiert. So abwegig das Konzept zunächst klingt, wird es von Živadinov mit enormer Konsequenz verfolgt. Er selbst absolvierte bereits alle für Astronauten nötigen Gesundheitschecks und Trainings und probte mit seinen Darstellern mehrfach in der Nähe von Moskau bei Parabelflügen in der Schwerelosigkeit. Zahlreiche große installative Kunstwerke Živadinovs sind in Museumssammlungen weltweit zu finden.