Fünf Jahre Werkraum Bregenzerwald – Speicher, Schaukasten, Schatzkammer
Auf Reisen / Reportage:1. Der Werkraum
Ein schlanker, filigraner Glaskörper. Mit feinen Linien und einem wuchtigen Dach. Minimalistisch, transparent und selbstbewusst. Das Gebäude an der Hauptstraße fällt auf. Im Sommer 2013 wurde es fertiggestellt. 2008 erhielt der Schweizer Architekt Peter Zumthor den Planungsauftrag für einen Versammlungsort und eine Präsentationsplattform der Handwerkskultur des Werkraum Bregenzerwald. Zumthors Entwurf fasst zwei Kernpunkte architektonisch zusammen: zum einen dient der 764 Quadratmeter große Raum als Platz der Zusammenkunft. Zum anderen ist er eine Vitrine und ein Schaufenster zur Handwerkskultur der Region. Die wichtigsten Elemente des Baus sind das weit auskragende Holzdach, das auf 14 Stützen und Betontürmen liegt und die Glasfassade, die den großen Raum umfasst. Drinnen hält der Transparenzbau was er von außen verspricht, die Trennung scheint wie aufgehoben. Zur einen Seite der Blick auf die Landesstraße 200, zur anderen die Berghöhen von 1600 bis knapp 1900 Meter. Respektvoller kann ein Gebäude nicht gestaltet sein. Dass der Innenraum bei aller Bescheidenheit sehr selbstbewusst und kantig daherkommt, liegt an der imposanten Höhe der Holzdecke, der dunklen Farbgebung und der Zurschaustellung des Abnutzungsprozesses. Hier ein Riss, dort eine Macke und es wird klar, dass ein Gebäude mit Würde altern kann.
Thomas Geisler, der Geschäftsführer und Leiter des Werkraum, betont, dass die Transparenz zudem eine „soziale Funktion erfüllt“. Die Blicke von außen fallen auf die langen Bänke und Tische, womit „auch das Bild der Markthalle hervorgerufen wird.“ Dass sich Besucher der Ausstellung mit den Handwerkern der Region und auswärtigen Touristen mischen ist dabei mehr als gewollt. Schließlich versteht sich der Werkraum nicht als abgeschlossener Zirkel. Dass die Handwerkskunst angefasst, gefühlt, gerochen werden kann, ist gut an den Leuten im Museumsshop zu sehen. Hier wird deutllich, dass handwerkliche Qualität seinen Preis hat. Ramsch gibt es woanders. Auch das eine Botschaft des Werkraums.
2. Das Depot
„Traditionelles Handwerk bedeutet im Bregenzerwald altes Wissen mit neuen Technologien und zeitgenössischer Gestaltung in eine zeitlose Formensprache überzuführen“, so Werkraum-Geschäftsführer Thomas Geisler. Jedes Stück, ob Unikat oder Kleinserie, mache Freude über Generationen hinweg, so der Leiter weiter. Im Depot im Untergeschoss des Werkraum kann das eindrücklich erkundet werden. Dort stehen die Hauptakteure: Stühle, Liegen und Betten, Filzschuhe, Trachten und Teppiche. Vor der Fertigstellung des Zumthor-Gebäudes befand sich von 2006 bis 2013 der Schauraum des Werkraum im wenige Kilometer entfernten Schwarzenberg. Wir empfehlen bei einem Besuch des Werkraum auch eine Führung im Depot anzufragen. Denn in dem kleinen Raum wird die ganze Qualität und das Niveau des zeitgenössischen Handwerks der Region sicht- und erlebbar.
3. Die Ausstellung
Dass die Natur eine gute Baumeisterin ist, haben wir bereits in dem prachtvollen Bildband Architektier von Ingo Arndt festgestellt. Mit der Ausstellung „Alphabet des Lebens“ vom 23.6.–6.10.2018 zeigt der Werkraum nun was der Mensch von der Natur lernen kann. Biomimikry heißt der Fachbegriff für die Nachahmung der Natur. Wie effizient ist die Natur? Wie ressourcenschonend? Wie intelligent? Die Antworten darauf liefert die Schau, indem Biologen, Handwerker und Designer zusammenarbeiten, um die Muster, Abläufe und die Bedeutung für die Menschen zu erforschen. Den Kuratorinnen Elisabeth Kopf (Projekt- und Kommunikationsdesignerin) und der Biomimicry-Expertin Dr. Regina Rowland ist wichtig, dass „Alphabet des Lebens“ ein übergreifenes Forschungs-, Bildungs- und Ausstellungsprojekt ist und Fachleute wie Laien, Kinder, Jugendliche und Erwachsene am „Design Table“ versammeln soll – dem gemeinsamen Arbeitsort im Biomimicry-Prozess. Die Architekten Claus Schnetzer und Gregor Pils von SchnetzerPils ZT aus Wien haben das Ausstellungsdesign verantwortet, das zum Werkraum passt: reduziert, pointiert und ästhetisch zielgerichtet.
Andelsbuch
Gemeinde mit 2.500 Einwohnern (Stand 2017) im österreichischen Bundesland Vorarlberg und eine der Ausgangspunkte der Besiedelung des Bregenzerwaldes auf einer Höhe von 613 Meter. Der Einsiedler Diedo ließ sich Mitte des 11. Jahrhunderts in Andelsbuch nieder und 1170 wurde der Ort zur Pfarre erhoben. Das Handwerk hat in Andelsbuch eine große Rolle, ebenso das Bau- und Baunebengewerbe, was 2012 mit dem Bau des Werkraum Bregenzerwald von Peter Zumthor manifestiert wurde. Landwirtschaft und Tourismus sind ebenfalls wichtige wirtschaftliche Quellen. Der Ort hat 759 Gebäude und 6 Hotels und Pensionen.
Werkraum Bregenzerwald3
Seit 1999 ein Zusammenschluss von etwa 100 regionalen Handwerksbetrieben. Ziel ist die Verbesserung der wirtschaftlchen und gestalterischen Möglichkeiten des Handwerks und die öffentliche Präsenz. Diese wirkt nach außen mit Ausstellungen, Wettbewerben, Vorträgen, und nach innen mit Entwicklungsarbeit und Nachwuchspflege. Betriebe finden hier Anregung, Austausch und die Möglichkeit zur Zusammenarbeit. Kernelement dafür ist der alle drei Jahre stattfindende Wettbewerb „Handwerk+Form“. Viele ländliche Regionen kämpfen mit Landflucht, Standortproblemen und der Abwanderung qualifizierter Fachkräfte. Der Werkraum steuert dem seit seiner Gründung entgegen. Heute ist das neue Handwerk im Bregenzerwald ein Wirtschaftsfaktor – seit 2013 mit eigenem Haus. Entworfen vom Schweizer Architekten Peter Zumthor, der dem Handwerk sehr verbunden ist.
Peter Zumthor
Geboren 1943 in Basel, Schweiz. International bekannter Architekt und ehemaliger Denkmalpfleger am Denkmalamt seines Wohnkantons Graubünden in Chur. 2009 erhielt er den Pritzker-Preis, die weltweit renommierteste Architekturauszeichnung. Die Jury hob hob die hohe Qualität seiner Arbeiten, die „fokussiert, kompromisslos und außergewöhnlich zielstrebig“ sei. Er studierte Innenarchitektur und Design an der Kunstgewerbeschule Basel und Architektur am Pratt Institute in New York. Zuvor hatte er eine Ausbildung als Möbelschreiner bei seinem Vater gemacht, einem Schreinermeister in Basel. Zumthor legt bei seinen Arbeiten Wert auf eine strenge Auswahl der Materialien. Auch bei der Formgebung ist ihm die Individualität wichtig, damit kein Bau dem anderen gleichen soll. Der mit zahlreichen Preisen geehrte Architekt (Mies van der Rohe Award für das Kunsthaus Bregenz, 1998; Praemium Imperiale; Architekturpreis NRW für das Kolumba in Köln, 2011) spielt in seiner Freizeit Jazz mit dem Kontrabass.