#bauhauswow-Tour in NRW – Anarchistenwow
Auf Reisen / Reportage:Bauhaus war ab 1919 eine Bildungsstätte, die Architektur, Design, Malerei und Handwerkskunst in neuartig-kreativer Weise miteinander verband. Erst in Weimar und Dessau und schließlich in Berlin. 1933 erzwangen die Nazis das Ende der Avantgarde. Soweit die typische Erzählung. Dass Bauhäusler im Südwesten und tief im Westen Deutschlands starke Spuren hinterlassen haben, dass Krefeld (mit Berlin) die meisten Mies van der Rohe-Gebäude hat, dass die Montanarchitektur Bauhaus-inspirierte Formen birgt – das alles kann man abseits der Bauhaus-Orte im Osten des Landes erkunden und erleben. Zugleich erzählen die Plätze und Bauten viel über die Entstehung des Bauhaus im Speziellen und die Entwicklung der Moderne im Allgemeinen.
Das Verbund- und Veranstaltungsprojekt „100 jahre bauhaus im westen“ bündelt diese Bandbreite. Zum Jubiläumsjahr sind Projekte, Ausstellungen, Initiativen entstanden, die sich am Motto „Die Welt neu denken“ orientieren, eine Leitidee der für die Kulturpflege zuständigen Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Ein anderer Gedanke, der dem Verbundprojekt wichtig ist: „Gestaltung und Demokratie. Neubeginn und Weichenstellungen in Rheinland und Westfalen.“
Mit diesen Partnern hatte Tourismus NRW zur Vor-Ort Recherche eingeladen. Die Reise führte von Krefeld und Oberhausen über Essen nach Hagen und Dortmund. Zu den Weichenstellern gehören der Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus mit dem Hagener Impuls und Peter Behrens in Oberhausen. Ersterer steht ab 1900 für neue Ideen, ungewöhnliche Denkweisen. In Hagen gibt es das erste Folkwang Museum, eine aktive, vernetzte Künstlerkolonie entstand, Altes sollte abgeschüttelt werden. Osthaus holte den aufstrebenden belgischen Architekten Henry van de Velde nach Hagen noch bevor dieser 1901 als künstlerischer Berater für Industrie und Kunsthandwerk an die Kunstgewerbeschule in Weimar berufen wurde, aus der 1919 das Bauhaus hervorging.
In Oberhausen schuf Behrens mit dem über 90 Meter langen ehemaligen Hauptlagerhaus der Gutehoffnungshütte (GHH) eine monumentale Anlage der gradlinigen Funktionalität. Diese Werke und Visionen waren ein Teil des Mosaiks der Moderne und grundlegend für die Entwicklung der Neuen Sachlichkeit. Der Entwurf von Fritz Schupp und Martin Kremmer für Zeche Zollverein ist geprägt durch nüchtern-symmetrische Rationalität, ähnlich wie der 1925 fertiggestellte Behrensche Backsteinbau für die GHH, in dem sich heute das LVR Industriemuseum befindet. Die beiden Industriearchitekten hatten das Form follows function-Prinzip verinnerlicht: ornamentfrei, sachlich und bis ins Detail durchdacht. Schupp und Kremmer gelten als die bedeutendsten deutschen Architekten von Bergwerksanlagen des 20. Jahrhundert. Schupp plante insgesamt 69 Industrieanlagen.
Visionen in der Provinz und ein Universalist als Urahn
Es gibt eine Menge Schnittmengen, Übergänge und Inspirationen, sicherlich im Sinne von Walter Gropius und anderen Bauhausmeistern. Puristen finden ihr Bauhaus-Zentrum in einer alten, einst wohlhabenden Textilmetropole: Krefeld. Zwischen den 1920er- und 1960er-Jahren waren hier wegen der florierenden Seidenindustrie und der damit verbundenen Aufträge so viele Bauhäusler tätig wie an wenigen Orten Deutschlands: Architekten, Gestalter, Lehrer und Künstler. Wo in Krefeld Bauhaus draufsteht, ist auch Bauhaus drin, insbesondere bei den Mies van der Rohe-Bauten Haus Esters, Haus Lange und zwei Gebäuden im alten VerSeidAG-Areal, die der letzte Bauhaus-Direktor mit Lilly Reich entwarf.
Der Krefeld Pavillon steht im Kaiserpark und wirkt als ein achteckiger Holzbau mit dem geschwungenen Kupferdach wie eine Antithese zur Klare Kante-Schule aus Weimar, Dessau und Berlin. Der Düsseldorfer Künstler Thomas Schütte hat den Pavillon für das Jubiläumsjahr als begehbare Skulptur und Ausstellungs- und Veranstaltungsort konzipiert, in dem mittels Fotos, Filmen und Exponaten das Verhältnis „Bauhaus und Krefeld“ beleuchtet wird. Der Pavillon des Künstlers Schütte passt gut zum Jubiläumsjahr, da die Bauhausmeister fast alle bildende Künstler waren und nicht Architekten.
Das Mosaik der Moderne
Diese Orte und Gebäude sind Teil eines Modernemosaiks, das viel zur Legendenbildung beigetragen hat. Für die Kulturpolitik, Wissenschaft und die Tourismusbranche ist diese Saga nicht nur ein weiteres Jubiläumsjahr. Über 40 lokale und regionale Partner haben sich zu „100 jahre bauhaus im westen“ zusammengetan, „den es in dieser Zusammenstellung, Größenordnung und Reichweite bislang noch nicht gab“, so das Kuratorium mit Milena Karabaic (LVR), Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger (LWL) und Dr. Hildegard Kaluza vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW. Hier wird weiter fleißig am Mythos Bauhaus gearbeitet. Zugleich ist es löblich, dass der Veranstaltungsverbund keine reine Rückschau betreibt. Es ist wichtig zu zeigen, warum das Bauhaus zur einflussreichsten Bildungsstätte der Architektur, der Kunst und des Designs im 20. Jahrhundert avancierte. Gleichzeitig müssen wir uns fragen: „Was hat das Bauhaus mit unserer Zeit und uns zu tun?“
Vielleicht das: Nicht-Akademiker, Vordenker, Querköpfe prägten die Moderne ebenso wie Visionäre und Fantasten, die z. B. in der tiefsten Provinz Großes schufen und (Hagener) Impulse setzten. Es gab Universalisten wie Behrens, der sich als Architektur-Autodidakt, nicht beirren ließ und schon zu Beginn seiner Karriere Monumente realisierte. Dass man diese und viele weitere Avantgardisten und Anarchisten ehrt ist das eine. Das andere ist, dass ihre Werke wie mumifiziert wirken, wenn man vergisst wofür sie auch standen: Radikalität, Furchtlosigkeit, eine bedingungslose Offenheit. Gut, wenn dem Jubeljahr 2019 ein „Bauhaus21“ zwischen Experimentierfreude, Forschergeist des 21. Jahrhunderts und den Möglichkeiten des digitalen Zeitalter folgt.
Tourismus NRW e. V. hat uns zu der Recherchereise eingeladen, unterstützt von „100 jahre bauhaus im westen“ und weiteren Partnern in Krefeld, Oberhausen, Essen, Hagen und Dortmund. Weitere Einblicke und Informationen auf unseren Instagram– und Twitterkanälen unter den Hashtags #bauhauswow und #deinnrw.
Krefeld Pavillon
von Thomas Schütte 7.4.–27.10.2019. Im Kaiserpark, Wilhelmshofallee/Kaiserstraße, D-47800 Krefeld. Mi.–Fr. 15–21 Uhr, Sa., So. und Feiertage 12–20 Uhr. Kontakt für Fragen und Buchungen (Gruppen, Schulklassen usw.): info@projektmik.com
Haus Lange und Haus Esters
Wilhelmshofallee 91–97, D-47800 Krefeld. Di., Do.–So. 11–17 Uhr, Mi. 15–21 Uhr. Ausstellung „Anders Wohnen / Alternatives for Living“ – Entwürfe für Haus Lange Haus Esters 17.3.2019–26.1.2020.
Mies van der Rohe Business Park
Girmesgath 5, D-47803 Krefeld. Ausstellung Mies im Westen von 16.5.–30.6.2019, Di.–Fr. 10–18 Uhr, Sa. und So. 12–18 Uhr
Sammlungsdepot des LVR-Industriemuseums, Peter-Behrens-Bau
Essener Straße 80, D-46047 Oberhausen. Di.–Fr. 10–17 Uhr, Sa., So. und Feiertage 11–18 Uhr. Dauerausstellung „Peter Behrens - Kunst und Technik“, Sonderausstellung „nützlich & schön - Produktdesign von 1920 bis 1940“ von 19.5.2019–23.2.2020.
Zeche Zollverein
Gelsenkirchener Straße 181, 45309 Essen. Öffnungszeiten: 6-24 Uhr. Gemeinsam mit der benachbarten Kokerei Zollverein gehören die Schachtanlagen 12 und 1/2/8 der Zeche seit 2001 zum Welterbe der UNESCO. Zollverein ist Ankerpunkt der Europäischen Route der Industriekultur und Standort verschiedener Kultureinrichtungen sowie der Folkwang Universität der Künste. Jährlich kommen 1,5 Millionen Menschen zu dieser Ikone der Montanarchitektur mit seinen Restaurants, Cafés, Museen, Ateliers, Werkstätten und der Industrienatur. Das Gelände ist jederzeit frei zugänglich.
Osthaus Museum
Museumsplatz 1, D-58095 Hagen. Öffnungszeiten: Di.–So. von 12–18 Uhr, Mo. geschlossen. Sonderausstellung „Zwischen Bauhaus und Diktatur: die Zwanziger Jahre in Hagen“ von 13.4.–2.6.2019. Weitere Sonderausstellungen zu Bauhaus und Hagen folgen.
Der Hohenhof
Stirnband 10, D-58093 Hagen-Eppenhausen. Di.–So. von 12–18 Uhr, Mo. geschlossen
Museum für Kunst und Kulturgeschichte MKK
Hansastr. 3, D-44137 Dortmund. Di., Mi, Fr., So. 10–17 Uhr. Do. 10–20 Uhr. Sa. 12–17 Uhr. Montags geschlossen. Der Eintritt in die Dauerausstellung ist frei. Sonderausstellung Weimar im Westen – Republik der Gegensätze 19.5.–23.6.2019. Die multimediale Wanderausstellung des LWL und LVR ist Teil des Verbundprojekts „100 jahre bauhaus im westen“. Sonderausstellung „Rausch der Schönheit. Die Kunst des Jugendstils“ von 9.12.2018–23.6.2019.