Neue und alte Baukunst in der georgischen Hauptstadt – Politisches Bauen
Auf Reisen:Lage, Lage, Lage lautet das Mantra der Immobilienmakler. Georgiens Hauptstadt Tiflis oder Tbilisi, wie die Einwohner sie nennen, hat reichlich davon. Auf den gut dreißig Kilometern, die sich der Fluss Mtkvari (Kura) durch die Stadt windet, hat er sich teilweise tief in die Uferfelsen eingegraben und spektakuläre Bauplätze geschaffen. Mit fast 1.400 Kilometern länger als der Rhein durchfließt er die Türkei, Georgien, Armenien und Aserbaidschan und galt schon mal als die Grenze zwischen Europa und Asien.
Der Handel entlang der Seidenstraße und die fruchtbaren Ebenen des Flusses brachten Wohlstand, doch wurde das früh christianisierte Reich immer wieder zur Beute fremder Eroberer. Nach den Arabern, Mongolen, Türken und Persern bestimmte zweihundert Jahre lang der russische Nachbar im Norden die Geschicke des Landes. Die Hauptstadt orientierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an westlichen Großstädten, mit Prachtbauten im Klassizismus, Neobarock und Jugendstil, vor allem entlang des Rustaveli Boulevards zwischen dem Freiheitsplatz und dem Platz der Republik.
In den siebzig Jahren der georgischen Sowjetrepublik wuchs die Bevölkerung Tbilisis rasch an, fast jeder dritte der knapp vier Millionen Georgier lebt heute hier. Massenhaft hoch gezogene Wohnblöcke bestimmen immer noch Teile des Stadtbildes, darunter mischt sich mancher brutalistischer Prestigebau. Nach dem Ende der Sowjetunion fast ein gescheiterter Staat stabilisierte Georgien sich um die Jahrtausendwende unter Präsident Eduard Shevardnadze wieder, litt allerdings unter Kapitalmangel und der tief gestaffelten Korruption.
Symbolarchitektur für die neue Zeit
Der Bruch mit dem Sowjeterbe hätte schärfer nicht ausfallen können. Mit seinem Amtsantritt als Präsident 2004 öffnete Mikheil Saakashvili Georgien nach Westen. Er beseitigte radikal die Alltagskorruption in Polizei und Bürokratie, gewann Investoren und holte europäische Architekten ins Land, die mit einer Fülle symbolhafter Bauten die neue Ausrichtung unterstreichen sollten. Doch bei allen Erfolgen handelte er zunehmend autokratisch. Vor allem die Bautätigkeit, als deren Chefarchitekt er sich verstand, nahm bizarre Formen an. So sollte binnen eines Jahrzehnts an der Schwarzmeerküste Lazika entstehen, eine neue Stadt mit bis zu einer halben Million Einwohnern. Außer einer dreißig Meter hohen Skulptur des Berliner Baukünstlers Jürgen Mayer H. und einer im Niemandsland stehenden Public Service Hall von Multiverse Architects aus Tiflis ist davon nichts geblieben.
Die Ära Saakashvili lief 2013 aus. Bidzina Ivanishvili gewann mit seiner Partei Georgischer Traum die Wahlen, stellte sich ein Jahr lang als Premierminister zur Verfügung und zieht seither die politischen Fäden im Hintergrund. In Russland hatte der Georgier als Oligarch geschätzte fünf Milliarden Dollar angehäuft, zurück in seiner Heimat machte er sich mit erheblichen Summen als Mäzen einen Namen. Nach seinem Wahlsieg setzte er Lazika und anderen Projekten Saakashvilis ein rasches Ende und stieg mit den Jahren selbst zu Georgiens größtem Bauherrn auf, vor allem in der Hauptstadt.
Georgien
Eurasischer Staat an der Grenze zwischen Europa und Asien in Transkaukasien. Nachbarstaaten sind Russland (im Norden), Türkei und Armenien (Süden) und Aserbaidschan (Osten). Die Landesteile Abchasien und Südossetien sind abtrünnig und werden nur von wenigen Staaten als souverän anerkannt. Georgien hat etwas über 3,7 Millionen Einwohner, der größte Teil der Bevölkerung lebt in der Hauptstadtregion Tiflis. Weitere große Städte sind Batumi, Kutaissi und Rustawi. Das Land erfreut sich eines rasch wachsenden Tourismus, vor allem aus den Nachbarstaaten. Obwohl es für Europäer keine Visumpflicht mehr gibt, ist ihr Anteil gering, die deutsche Quote liegt bei rund einem Prozent. Das Land von der Fläche Bayerns lockt im Jahr etwa fünf Millionen Besucher an seine Schwarzmeerstrände, in den Großen Kaukasus mit seinen Fünftausendern, in die Weinregionen oder in die weltstädtische Kapitale Tiflis. Zum reichen kulturellen Erbe zählen steinalte Kirchen und befestigte Klöster. Die Neuzeit macht mit auffallenden Bauten die schwierige Balance Georgiens zwischen Ost und West augenfällig.